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Knappe Mehrheit für neuen Namen der Mössinger Gottlieb-Rühle-Schule

Farrenberg-Grundschule statt Gottlieb-Rühle-Schule: Gemeinderat stimmt nach kontroverser Diskussion zu.

Das ist bald Vergangenheit: Aus der Gottlieb-Rühle-Schule wird die Farrenberg-Grundschule.  FOTOS: FÖRDER
Das ist bald Vergangenheit: Aus der Gottlieb-Rühle-Schule wird die Farrenberg-Grundschule. FOTOS: FÖRDER
Das ist bald Vergangenheit: Aus der Gottlieb-Rühle-Schule wird die Farrenberg-Grundschule. FOTOS: FÖRDER

MÖSSINGEN. Die Sitzung hatte gerade begonnen, da wurde sie auch schon unterbrochen. Die linke Liste wollte die Entscheidung über die Umbenennung der Gottlieb-Rühle-Schule vertagen. Mit großer Mehrheit lehnte der Gemeinderat den Antrag jedoch ab, ebenso wie den zweiten Antrag der Linken, nach dem zwar beraten, aber noch nichts beschlossen werden sollte. Die große Mehrheit im Mössinger Gemeinderat wollte eine Entscheidung, und die fiel dann auch nach kontroverser Diskussion in geheimer Abstimmung mit knapper Mehrheit: mit 13 gegen 9 Stimmen bei 3 Enthaltungen für die Umbenennung der Gottlieb-Rühle-Schule in Farrenberg-Grundschule.

Das war der Wunsch der Lehrer und Elternvertreter, der auch für die Außenstelle, die Langgass-Schule, gelten sollte. Dies lehnte der Gemeinderat jedoch mit 21 gegen 4 Stimmen ab, trotz eines Plädoyers von Schulleiterin Frauke Kessler-Betz für einen gemeinsamen Namen der beiden organisatorisch verbunden Schulen: »Wir wollen die Langgass-Schule damit nicht abwerten, aber es geht um das Wir-Gefühl: Wir sind eine Schule.«

Eigentlich war im Grundsatz alles klar: Bereits im Januar vergangenen Jahres hatte der Gemeinderat mit 24 Ja-Stimmen bei einer Enthaltung beschlossen, dass die Gottlieb-Rühle-Schule einen neuen Namen bekommen und nicht mehr nach dem Mann benannt sein soll, der nicht nur von 1946 bis 1962, sondern auch von 1933 bis 1945 Mössinger Bürgermeister war. Der, wie OB Michael Bulander zur Einführung erklärte, eine »zweifelhafte Vergangenheit« habe: »Wir haben jetzt die Chance, die Schule umzubenennen, denn bei objektiver Betrachtung ist der Name für eine Schule nicht mehr angemessen.«

Verdienste nach dem Krieg

Franziska Blum, Leiterin des Archivs und der Mössinger Museen, beleuchtete die Biografie von Gottlieb Rühle, der von 1921 an Ratschreiber in Mössinger war und von den Nazis 1933 als Nachfolger des abgesetzten Bürgermeisters Karl Jaggy eingesetzt wurde. Sie wies auf Rühles Verdienste nach dem Krieg hin, beschrieb aber auch sein Verhalten in der NS-Zeit, als dieser sich für die »Arisierung« der Pausa einsetzte und als korrekter Verwalter bei Zwangssterilisierungen und der Ermordung von als »geisteskrank« eingestuften Menschen in Grafeneck bewährte. Ihr Fazit: »Gottlieb Rühle war ein Teil des Systems, das nach Grafeneck führte.«

Obwohl sie im vergangenen Jahr den Beschluss zur Umbenennung der Schule mitgetragen hatte, machte vor allem die FWV das Fass wieder auf. »Ich kann der Umbenennung nicht zustimmen«, eröffnete Elmar Scherer die Diskussion. Rühle, führte er aus, sei nie abgesetzt und immer wieder gewählt worden. »Es gab keinen Bürgermeister, der nicht in der NSDAP war. Rühle war auch nicht in der SS, sondern nur in der SA, die bald an Bedeutung verlor.« Bei der Arisierung habe er nur die Vorgaben von oben ausgeführt, wie auch bei den Maßnahmen gegen Menschen mit Behinderungen. Auch für Daniel Müller war die Sache klar: »Rühle hat etwas geleistet für Mössingen. Deshalb bin ich dafür, dass der Name bleibt. Fertig.«

Dass es in der Fraktion unterschiedliche Ansichten dazu gebe, erklärte Fraktionssprecher Steffen Eissler. Er verwies auch auf den Jakob-Stotz-Platz neben der Schule, benannt nach dem KPD-Mann und führenden Kopf des Generalstreiks von 1933, der sich nach dem Krieg dafür einsetzte, dass Rühle schon 1946 wieder als Bürgermeister gewählt werden konnte. »Stotz und Rühle müssen nebeneinander bleiben«, forderte Eissler. »Sonst legen wir ein rotes Tuch über Mössingen.«

Als die damalige Breite-Schule 1965 nach Gottlieb-Rühle benannt wurde, habe man nur das gesehen, was nach 1945 war. »Das war unsere Republik. Nur deshalb ist diese Namensgebung so erfolgt«, erklärte Arno Valin (SPD). »Aber war das richtig? Nein, das war nicht richtig.« Das Nazi-Regime seien nicht nur ein paar Leute in Berlin gewesen, und allein schon die Beteiligung an den Maßnahmen zur Euthanasie sei eine Beteiligung am Massenmord. Seine Schlussfolgerung: »Wer da mitgemacht hat, hat das Recht verwirkt, dass eine Schule nach ihm benannt ist.«

Für die Grünen war klar, den Antrag der Schule zu unterstützen. »Wir respektieren den Prozess, den die Schule gegangen ist, nachdem sie von uns ein Signal zur Namensänderung erhalten hat«, erklärte Julia Terbrack. Auch wenn in der NS-Zeit viele als Rädchen ihre Arbeit gemacht hätten: »Die Verantwortlichkeit des Einzelnen bleibt bestehen. Warum sollten wir als Gemeinderat gegen den Willen der Schule an diesem Namen festhalten?« Und Katharina Matheis ergänzte: »Rühle mag ein netter Mensch gewesen sein, aber an seiner Beteiligung gibt es nichts zu zweifeln. Ich finde es verstörend, wenn man jetzt wieder sagt, dass er ja nur ein kleiner Teil des Systems gewesen sei.«

Nicht zufrieden mit Verfahren

Während sich CDU-Sprecher Dr. Eberhard Heinz nicht eindeutig äußerte, war für seine Fraktionskollegin Judith Rexer klar: »Es geht nicht darum, den Stab über Gottlieb Rühle zu brechen. Aber er war keine herausragende Persönlichkeit.« Und in Anlehnung an das berühmte Buch der jüdischen Philosophin Hannah Arendt über den Prozess gegen den Holocaust-Organisator Adolf Eichmann forderte sie: »Wir dürfen keinen Beitrag zur Banalisierung des Bösen leisten.« Denn wie Eichmann hatte auch Rühle seine Namenslisten.

Nicht zufrieden mit dem Verfahren an der Schule zeigte sich Claudia Jochen (LiSt), die sich mehr Bürgerbeteiligung gewünscht hätte: »Eine Schulkonferenz ist nicht öffentlich. Wie eine Schule benannt wird, entscheiden wir im Gemeinderat und nicht die Schulkonferenz.« Dass es nicht bei Gottlieb Rühle bleiben soll, war für sie klar: »Rühle hat Mössinger Bürger nach Grafeneck geschickt. Man benennt eine Schule doch nicht nach einem Menschen, der nur seine Pflicht getan hat.« Mit der Entscheidung für den Farrenberg war sie auch nicht einverstanden: »Warum soll sich eine Schule nach einer Erderhebung benennen?« Sie brachte den Namen von Anna Nill in die Diskussion, einem Mössinger Mädchen, das mit 15 Jahren nach Amerika ausgewandert war, es dort zu einem großen Vermögen gebracht und ihrer Heimatstadt viel Geld für eine Stiftung gespendet hatte.

Geheime Abstimmung beantragt

Dass der Name der Schule geändert werden sollte, ist auch die Meinung der Jugendvertreter, berichtete deren Vorstandsmitglied Finn Dieter. »Allerdings darf die Geschichte von Gottlieb Rühle nicht in Vergessenheit geraten. Sie soll auf jeden Fall aufgeschrieben werden.«

Für OB Michael Bulander ist die maßgebliche Frage: »Wen ehren wir?« Und da gibt es für ihn keine andere Antwort als die Schule umzubenennen: »Wir können keine Person ehren, die so eine Vergangenheit hat.«

Die FWV beantragte eine geheime Abstimmung. »Das Thema ist sehr emotional und die Entscheidung nicht populär«, begründete Steffen Eissler den Antrag. Damit tat sich Bulander schwer: »Der Grundsatz im Gemeinderat ist die offene Abstimmung.« Es gebe allerdings Ausnahmen, etwa wenn es zu Konflikten kommen könne oder zum Schutz der Meinungsbildung. »Beides«, so Bulander, »haben wir nach meiner Meinung bei dieser Abstimmung nicht. Aber das muss der Gemeinderat entscheiden.« Und der entschied mit 13 gegen 12 Stimmen für die geheime Abstimmung. Die Mehrheit kam mit den Stimmen von FWV und CDU zustande. Nur Volker Gurski (FWV) und Judith Rexer (CDU) stimmten mit den anderen Fraktionen und dem OB gegen dieses Verfahren. (GEA)