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Kastanienhof bei Bodelshausen heizt jetzt klimafreundlich

Der Kastanienhof in Bodelshausen ist nicht nur ein inklusiver Wohn- und Arbeitsort, sondern mit seinen Café und Hofladen ein beliebter Anlaufpunkt für die Bevölkerung. Künftig wird dort zudem CO2-negativ geheizt.

Modernste Heiztechnik sorgt im Bodelshausener Kastanienhof dafür, dass Kohlenstoffdioxid in Pflanzenkohle gespeichert wird.
Modernste Heiztechnik sorgt im Bodelshausener Kastanienhof dafür, dass Kohlenstoffdioxid in Pflanzenkohle gespeichert wird. Foto: Alexander Thomys
Modernste Heiztechnik sorgt im Bodelshausener Kastanienhof dafür, dass Kohlenstoffdioxid in Pflanzenkohle gespeichert wird.
Foto: Alexander Thomys

BODELSHAUSEN. Das Kastanienhof in Bodelshausen ist nicht nur ein beliebtes Naherholungsziel, sondern auch Wohn- und Arbeitsort für Menschen mit Behinderung. Und der Hof ist zugleich ein energieintensiver Betrieb: Schließlich mögen es nicht nur die Bewohner und Gäste warm, sondern auch die zahlreichen Pflanzen, die in den Gewächshäusern gedeihen. 140.000 Liter Heizöl verbrauchte der Kastanienhof daher in der Vergangenheit pro Jahr, was zusammen mit einer ebenfalls betriebenen Flüssiggasheizung rund 390 Tonnen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid freisetzte, das erheblichen Anteil am Klimawandel hat.

Weshalb sich die Bundesrepublik auf den Weg gemacht hat, die CO2-Emissionen zu senken und ganz nebenbei unabhängiger von fossilen Brennstoffen und deren mitunter fragwürdigen Lieferanten - Stichwort russisches Gas - zu werden. Ein Mittel hierfür ist auch die CO2-Bepreisung, die langfristig auch dem Kastanienhof zu schaffen gemacht hätte. »Wenn wir unsere Gewächshäuser in zehn Jahren noch mit Öl heizen würden, wären die Weihnachtssterne so teuer, dass wir sie nicht mehr verkaufen könnten«, erklärte Wolfgang Welte, Stiftungsvorstand der Körperbehindertenförderung (KBF), dem Träger der gemeinnützigen Firma »Arbeit in Selbsthilfe« (AiS), die den Kastanienhof betreibt. Die Investition in eine neue Heizungsanlage sei daher »wirtschaftlich unabdingbar« gewesen.

Walter Welten (links) von der KBF und AiS-Geschäftsführer Marcus Hölz weihten die neue Heizungsanlage auf dem Kastanienhof ein.
Walter Welten (links) von der KBF und AiS-Geschäftsführer Marcus Hölz weihten die neue Heizungsanlage auf dem Kastanienhof ein. Foto: Alexander Thomys
Walter Welten (links) von der KBF und AiS-Geschäftsführer Marcus Hölz weihten die neue Heizungsanlage auf dem Kastanienhof ein.
Foto: Alexander Thomys

Drei Millionen Euro wurden aber nicht nur in eine neue Heizungsanlage samt Nahwärmenetz investiert, sondern in eine hochmoderne Anlage, die Ökonomie, Ökologie und Inklusion verbindet: In dem Neubau sollen nicht nur Hackschnitzel aus den Streuobstwiesen - die AiS kümmert sich in der Region unter anderem im Auftrag der Stadt Mössingen um rund 12.000 Bäume - verbrannt werden, sondern durch ein aufwändiges Pyrolyseverfahren zu Pflanzenkohle weiterverarbeitet werden. »Wir schließen Rohstoffkreisläufe«, sagt dazu AiS-Geschäftsführer Marcus Hölz und ergänzt, dass auch die Abfälle aus dem Hofcafé hierbei verarbeitet werden könnten.

Wie das Pyrolyseverfahren funktioniert, erläuterte Dieter Neth, der sich als ehrenamtlicher Projektleiter für die neue Anlage stark gemacht hatte. Holzhackschnitzel aus den Streuobstwiesen werden dabei auf einer Transportschnecke langsam auf 700 bis 800 Grad Celsius unter Sauerstoffmangel erwärmt. Die austretenden Pyrolysegase werden anschließend verbrannt und dienen der Energiegewinnung, während aus dem zurückbleibenden Material hochwertige Pflanzenkohle entsteht. Die Gasverbrennung erfolgt dabei nahezu Rückstandsfrei, weiß Neth: Ähnliche Anlagen in der Schweiz hätten nicht nur alle Grenzwerte eingehalten, manche Stoffe seien gar unter den Nachweisgrenzen geblieben. »Der Feinstaub bleibt in der Pflanzenkohle gebunden«, fasst Neth pragmatisch zusammen.

Die Pflanzenkohle, die zugleich als CO2-Speicher dient, wird auf dem Kastanienhof anschließend noch mit speziellen Pilzen veredelt, um als echter Bodenverbesserer an Landwirte und Privatpersonen verkauft zu werden. AiS-Geschäftsführer Hölz sieht hier einen wachsenden Markt, denn ab 2027 wird die Verwendung von Torfprodukten in der Europäischen Union für Privatpersonen untersagt. »Bis dahin wollen wir ein exzellentes Ersatzprodukt liefern«, kündigt Hölz an. Bei dessen Entwicklung ist auch die Universität Tübingen mit dem Boot, der Kastanienhof wird hierfür zu einem »Reallabor«.

Die moderne Hackschnitzelheizung und Pyrolyseanlage dehnt sich über zwei Stockwerke aus.
Die moderne Hackschnitzelheizung und Pyrolyseanlage dehnt sich über zwei Stockwerke aus. Foto: Alexander Thomys
Die moderne Hackschnitzelheizung und Pyrolyseanlage dehnt sich über zwei Stockwerke aus.
Foto: Alexander Thomys

Und weil die neue Pyrolyseanlage nicht nur Kohlenstoffdioxid bindet, sondern auch inklusive und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für mehrere Menschen mit Behinderung schafft, gab es rundum Lob für das zukunftsweisende Projekt, das statt eines CO2-Ausstoßes von 390 Tonnen künftig sogar dieselbe Menge Kohlenstoffdioxid pro Jahr in der Pflanzenkohle speichern soll - für die Atmosphäre bedeute dies damit eine jährliche Reduktion um 780 Tonnen des Treibhausgases. Dazu trägt auch eine 80-Kilowatt-Peak-PV-Anlage bei, die die neue Heizungsanlage ergänzt und die künftig rund 60 Prozent des Energieverbrauchs der Gewächshäuser mit ihren Lüftungsanlagen abdecken soll.

Von einer »wertvollen Brücke zwischen ökologischer Verantwortung und Inklusion«, die in Bodelshausen auf dem Kastanienhof geschlagen würde, sprach Androniki Petsos vom Kommunalverband Jugend und Soziales (KVJS) Baden-Württemberg, welcher das Projekt mit einem Zuschuss von 55.000 Euro und einem Darlehen über 100.000 Euro unterstützte. Tübingens Landrat Joachim Walter freute sich, dass der Grünschnitt aus den Streuobstwiesen nun einer wirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden könne, das Rohmaterial hierfür kommt künftig auch aus den Häckselplätzen der kommunalen Abfallwirtschaft. Schon seit seiner Zeit beim Umweltamt des Zollernalbkreises vor vier Jahrzehnten sei er auf einer Suche nach einer Lösung gewesen, schilderte Walter - nun sei sie gefunden. Vom Plenum-Programm zum Erhalt der Streuobstwiesen wurde die neue Anlage daher ebenfalls mit 68.000 Euro gefördert, freute sich der Landrat. (GEA)