GOMARINGEN. Feuerwehr, Verwaltung, Gemeinderäte, besorgte und betroffene Anwohner - sie alle waren da, als die Ingenieure Markus Heberle und Janosch Brinkmann die fertiggestellten Starkregen-Karten für die Gemeinde Gomaringen in der Sport- und Kulturhalle der breiten Öffentlichkeit präsentierten. Das Unwetter vom Sommer 2021 steckt der Gemeinde - das konnte man durch die Veranstaltung weg spüren - noch in den Knochen. Zahlreichen Gomaringern liefen die Keller und Grundstücke voll, einzelne Schäden gingen sogar bis in den sechsstelligen Euro-Bereich. »Nur durch Glück ist kein Mensch gestorben«, brachte es Heberle auf den Punkt. Die Katastrophe sollte sich in dem Ausmaß, da waren sich alle einig, nicht wiederholen.
Doch das ist nicht leicht zu bewerkstelligen. Regen ist eine komplexe Angelegenheit. Wann er fällt, ist schon nicht ganz sicher vorherzusagen. Viel schwieriger ist indes abzuschätzen, wie viel und wie schnell das Wasser vom Himmel fällt. Was aber gut zu bewerkstelligen ist: berechnen, wo das Wasser im Extremfall hinfließt.
Drei Szenarien berechnet
Über Jahre - insbesondere seit dem Unwetter im Sommer 2021 - haben die Verwaltung und das Rottenburger Ingenieurbüro Heberle daran gearbeitet, genau zu analysieren, bei wie viel Niederschlag welche Häuser, Grundstücke und Gemeindegebiete unter Wasser stehen könnten. Die mathematischen Berechnungen wurden nun auf den sogenannten Starkregen-Karten der Gemeinde veröffentlicht und drei Szenarien in den Vordergrund gerückt: selten, was einem Starkregen-Ereignis entspricht, das einmal alle 30 Jahre auftritt; außergewöhnlich, was einen Jahrhundertregen gleichkommt; und extrem, dem schlimmsten aller denkbaren Fälle, dem »worst case scenario«. »Das wird am größten je gemessenen Niederschlag in Baden-Württemberg festgemacht, was 130 Millimetern in einer Stunde entspricht«, erklärte Diplom-Ingenieur Markus Heberle. Zum Vergleich: 2021 sind in Gomaringen 58 Millimeter Regen in einer Stunde gefallen.
Dargestellt sind die Ergebnisse intuitiv verständlich in immer dunkler werdenden Blautönen - je tiefer, desto höher sammelt sich das Regenwasser auf Flächen, Grundstücken und möglicherweise auch in den Kellern. Auch die Fließrichtung des Wassers - ebenfalls farbig für unterschiedliche Geschwindigkeiten dargestellt - ist abgebildet. Die fertigen Karten dienen Gemeinde und Bewohnern zur Einschätzung und als Warnsystem, weil ganz klar nachvollzogen werden kann, welche Objekte betroffen sind. Sie sind online auf der Internetseite von Gomaringen einsehbar. »Unser Ziel ist es, ein Bewusstsein für die potenziellen Gefahren zu schaffen, die auf die Gemeinde zukommen können«, sagte Heberle. »Wenn Sie sich heute Gedanken darüber machen, wie Sie sich und Ihr Haus schützen können, haben wir einiges erreicht.«
Private Vorsorge notwendig
Die Krux ist nämlich: Die Gemeinde kann nicht vollumfänglich dafür Sorge tragen, dass Schäden in Zukunft gänzlich abgewendet werden. Durch die Schaffung von Regenrückhaltebecken, zusätzliche Verdolung - also vergitterte oder anderweitig geschützte Ablaufrohre, die häufig in die Kanalisation münden - oder Strukturen wie Dämme und Gräben kann die Verwaltung kritische Infrastruktur schützen. Alternativ kann Gomaringen Gebiete durch vorgelagerte Auffangbecken entlasten, wie beispielsweise für das Industriegebiet Untere Halde - tiefblau auf der Extrem-Karte eingezeichnet.

Trotzdem - daran lassen weder die Ingenieure noch Bürgermeister Heß irgendwelche Zweifel - ist jeder Haus- und Grundstücksbesitzer selbst gefragt. »Es gibt keine Kommune auf der Welt, die ihre Kanalisation darauf auslegen kann, Starkregenereignisse abzufangen«, so Ingenieur Heberle. Grob gesagt zögen die Maßnahmen des Regenwasser-Managements ohnehin erst dann, wenn die Kanäle bereits voll sind - woraus für die Eigenheimbesitzer noch ganz andere Probleme resultieren, ergänzte Kollege Brinkmann: »Häufig gelangt durch den Rückstau Wasser in die Häuser.« Im Prinzip drücke dabei das Wasser aus swm gefluteten Kanal durch die Rohre zurück ins Haus. Das könne auch nach Beseitigung des Schadens gesundheitliche Folgen für die Bewohner haben, weil das Wasser durch Fäkalien belastet ist.
Landesweite Verpflichtung
Zwar sind in Baden-Württemberg die Eigentümer verpflichtet, Rückstausicherungen einzubauen, aber gerade bei älteren Objekte können diese fehlen oder fehlerhaft installiert sein. »Schleifen müssen über das Rückstauniveau führen«, erklärte Brinkmann. Das heißt: Das Rohr muss über den möglichen Hochwasser-Pegel gehen, der außerhalb des Hauses herrscht. Eine andere Möglichkeit sind Rückstausperren im Rohr, die Wasser lediglich in Richtung Kanalisation abfließen lassen.
Baustellen: Riedstraße, Erdmannsbach, Wiesaz-Flussbett
Insbesondere Bewohner der Riedstraße, die unter dem Hochwasser 2021 gelitten hatten, meldeten sich an dem Infoabend zu Wort und konfrontierten die Gemeindeverwaltung mit ihren Beschwerden. »Viel Unrat und Steine und auch damals gesetzte Pflanzen liegen da noch rum«, bemängelte eine Anwohnerin, die nahe des Erdmannsbachs wohnt. Aufschüttungen bei Bauprojekten wie der Brücke hätten auch dazu geführt, dass sich das Wasser in der Senke, in der einige Häuser stehen, mittlerweile gut sammeln könnte.
Eine andere Bürgerin, die in der Kirchstraße an der Wiesaz wohnt, führte aus, dass sich der Schlamm im Flussbett immer höher ansammle. Von den Abbagger-Maßnahmen, wie von der Gemeinde beteuert, habe sie nichts gesehen. »Das ist dringend nötig. Das Bett steigt an.«
Bürgermeister Heß hörte seinen Bürgern geduldig zu und versprach: »Wir sind an Lösungen dran. Nur geht das nicht von heute auf morgen.« Insbesondere wollen man sich die »Baustelle Riedstraße« nochmal genauer anschauen. (pru)
Für das Eigenheim können schon erhöhte Bordsteine an den Schächten und Kellereingängen dazu führen, dass das unliebsame Regenwasser nicht eindringen kann. Einige Zentimeter können bereits helfen, wenn das Wasser die Möglichkeit hat, sich in großer Fläche außerhalb des Hauses zu verteilen. »Deswegen darf das Grundstück nicht als Ganzes abgeriegelt werden«, sagte Brinkmann, da man damit das Problem häufig nur verlagere. Auch sei deshalb die Versiegelung der Freund des Hochwassers: Je weniger Möglichkeiten das Wasser hat, um im Boden zu versickern, desto schlechter ist das für die Häuser.
Gomaringen indes setzt den Fokus bei der Starkregen-Vorsorge aufs große Ganze. Zusammen mit den Ingenieuren hat die Gemeinde einen 30-Punkte-Plan mit Maßnahmen erarbeitet, die helfen können, Katastrophen wie im Sommer 2021 zu verhindern oder die Folgen zumindest so abzuschwächen, dass keine existenzgefährdenden Schäden entstehen. Einige davon könne bereits der Bauhof übernehmen, andere bedürfen einer Entscheidung im Gemeinderat. »Einen hundertprozentigen Schutz kann es nicht geben«, stellte Bürgermeister Heß noch einmal klar und appellierte an die zahlreichen Bürger, die zu dem Infoabend gekommen waren. Er sehe hier viel Wille, die Probleme gemeinsam anzupacken. »Nur denken Sie bitte auch daran, wenn die Gemeinde auf Sie zukommt und Ihr Äckerle braucht, um die Auffangbecken zu bauen«, mahnte Heß an. (GEA)