TÜBINGEN. Nidahl Sakhri hat mit seinen jungen 30 Jahren schon viel von der Welt gesehen. Neben klassischen europäischen Zielen wie Frankreich, Italien oder Spanien hat es ihn bis in die USA und nach Kanada verschlagen. Urlaub war das jedoch nicht: In all diesen Ländern hat der 30-jährige Tunesier gearbeitet. Sakhri ist studierter Pfleger, kommt eigentlich aus dem Bereich der Militärgesundheit. Heute arbeitet er auf der neurochirurgischen Station an der Uniklinik Tübingen. »Seit Februar 2023 bin ich in Deutschland, ich habe aber bereits zwei Jahre früher angefangen, in Tunesien die deutsche Sprache zu lernen«, erzählt Sakhri. Mittlerweile hat hat er das B2-Sprachzertifikat in der Tasche - ein Muss für alle ausländischen Pfleger an der Uniklinik. Die »schwäbische Sprache« hat ihm am Anfang ein paar Schwierigkeiten bereitet - »gerade bei älteren Menschen aus den Dörfern« - aber »in Deutschland hat es mir von allen Ländern bisher am besten gefallen. Es ist meine zweite Heimat.«
Dabei werden in Tunesien dringend Fachkräfte in der Pflege gesucht. »Das Problem Nummer eins ist der Personalmangel«, sagt Sakhri über sein Heimatland. »Danach kommt die Menge an Arbeit.« Auch Material und medizinische Geräte seien knapp. »In tunesischen Krankenhäusern wird noch alles mit Papier und Stift dokumentiert. Hier ist das anders, hier gibt es viele verschiedene digitale Systeme und überall WLAN.« Immerhin sei der Urlaubsanspruch der gleiche. »In Deutschland ist es für den Job einfach am besten«, ist der Pfleger überzeugt. In Tunesien verdiene ein Pfleger umgerechnet rund 600 Euro im Monat, an der Uniklinik Tübingen geht's laut Gehaltsrechner mit rund 4.100 Euro brutto pro Monat los - ohne Nacht- und Wochenendschichten. Doch viel wichtiger als der Verdienst ist das Arbeitsklima, das für Sakhri hier unschlagbar ist. »Meine Station ist mittlerweile meine zweite Familie.«
Das ist mit einer der Gründe, warum der 30-Jährige seine Zukunft im Herzen Baden-Württembergs sieht. Hier hat er Freunde gefunden, und sein Bruder kommt vielleicht bald, um eine Ausbildung als Mechaniker zu beginnen. »Wenn alles nach Plan läuft, mache ich hier in Tübingen mein Medizinstudium«, erzählt Sakhri. Mit dem Geld, das er im Moment verdient, unterstützt er seine Familie in der Erst-Heimat. »So können meine anderen Geschwister besser studieren.«
Auch für den 27-jährigen Jovica Ecimovic war schon früh klar, dass er Pfleger werden will - und das Deutschland eine gute Wahl für seine berufliche Laufbahn ist. »In Bosnien lernt man schon Deutsch in der Grundschule«, erzählt Ecimovic. »Der Plan war, auf jeden Fall nach Deutschland zu gehen - aber mehr aus privaten Gründen.« Als seine Mutter nach Deutschland gezogen ist, um ebenfalls in der Pflege zu arbeiten, war für ihn auch früh klar, dass er eines Tages nachkommen wird. »Die Pflege ist ein sinnvoller Beruf. Hilfsbereitschaft ist die Grundlage für alles, genauso wie die persönliche Beziehung zum Patienten.«
Der 27-Jährige hat nach der Schule eine vierjährige Pflegegrundausbildung absolviert und danach in Banja Luka, einer Stadt im nördlichen Bosnien und Herzegowina, studiert. Heute arbeitet Ecimovic an der Uniklinik Tübingen auf der Kardiologie-Station. In seinem Heimatland hat er nie in der Pflege gearbeitet, in Deutschland ist er seit knapp drei Jahren. »Der Hauptunterschied ist vor allem: In Bosnien sind die Pfleger mehr damit beschäftigt, Aufgaben zu übernehmen, die hier in Deutschland ein Arzt machen würde.« So sei viel weniger Zeit, sich um Dinge wie Körperpflege und das allgemeine Wohlbefinden zu kümmern. Aufgrund des großen Personalmangels in Bosnien und Herzegowina übernehmen Angehörige diese Aufgaben häufig selbst.
Ein weiterer großer Unterschied sei die Bezahlung: »In Bosnien verdient man zurzeit ungefähr 600 Euro im Monat.« Das sei nicht annähernd genug, um die Preissteigerungen und allgemeinen Lebenskosten in den Städten aufzufangen - und damit eines der Probleme, die am ehesten gelöst werden müssten, um Fachkräfte im Land zu halten. »Die Ausbildung ist nämlich gut, der Fokus liegt auf dem medizinischen Wissen«, weiß der studierte Pfleger. Wenn man in Bosnien als Profi aber so viel verdiene wie in Deutschland ein Minijobber, dann sei es kein Wunder, wenn die Leute zum Arbeiten woanders hingingen. »Es wird von der Regierung immer mal wieder kommuniziert, dass die Kräfte im Land bleiben sollen, aber es ändert sich leider wenig an den Arbeitsbedingungen im Land.«
Das hat Mark Joseph Briones anders erlebt. Er gehörte zum ersten Schwung Pfleger, die über das Regierungs-Programm »Triple Win« von den Philippinen nach Deutschland gekommen sind (siehe Box). Der heute 36-Jährige ist seit elf Jahren in Tübingen zuhause und arbeitet wie Sakhri und Ecimovic als Pfleger in der Uniklinik. Dabei war Deutschland gar nicht seine erste Wahl. »Eigentlich wollte ich zuerst nach Kanada, dort habe ich Familie. Aber die Voraussetzungen sind sehr streng und man braucht viel Geld«, erklärt der gebürtige Filipino, der seit drei Jahren einen deutschen Pass hat. Weil sein Vater bereits lange Jahre in Saudi-Arabien als Mechaniker gearbeitet hatte, wäre das für Briones ebenfalls eine Option gewesen. »Er sagte mir aber: Junge, das Leben dort ist schwierig, geh' lieber woanders hin.« Über das Triple-Win-Projekt ist der 36-Jährige dann in Deutschland gelandet. Vorab hatte er an einem Goethe-Institut das Sprachzertifikat B1 erworben. »Das war eine Vorausssetzung, um überhaupt aufgenommen zu werden«, erklärt Briones.
Arbeitskräfte aus dem Ausland
Das Programm »Triple Win« (frei übersetzt: dreifacher Vorteil) wurde ins Leben gerufen, um insbesondere medizinisches Pflegepersonal für den deutschen Markt zu gewinnen. Dabei hat Deuschland bilaterale Abkommen mit anderen Nationen geschlossen, um entweder dort bereits ausgebildete Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt fit zu machen und zu integrieren, oder aber gezielt Menschen für den deutschen Ausbildungsmarkt anzuwerben - mit dem Ziel, dass die gut ausgebildeten Fachkräfte bleiben.
Mit dem Programmnamen soll ausgedrückt werden, dass drei Parteien einen Vorteil aus dem Programm ziehen: das Herkunfsland, das Zielland und der Mensch, der zum Arbeiten kommt. (pru)
Heute läuft das Programm immer noch. »Vor elf Jahren haben Pfleger in meiner Heimat zwischen 100 und 200 Euro im Monat verdient«, erinnert sich Briones, der auf den Philippinen vier Jahre in der Notfallversorgung gearbeitet hat. »Es ist aber mittlerweile besser geworden, weil unsere Regierung gemerkt hat, dass viele abwandern - insbesondere in die USA, nach Kanada oder auch nach Deutschland.« Durch die geschichtliche Verbindung der Philippinen und der USA - der Inselstaat war von 1898 bis 1946 eine Kolonie der Amerikaner - besteht bis heute eine enge Verbindung zwischen den beiden Nationen. »Englisch ist unsere zweite Muttersprache«, erklärt der 36-Jährige - weshalb viele in englischsprachige Länder abwandern. Im Ausland sei einfach mehr Geld zu verdienen, was viele gutheißen. »Im Ausland zu arbeiten, ist angesehen. Meine Mutter sagte mir: Studiere Pflege, dann kannst du in die USA oder nach Kanada.«

Dort ist aber auch nicht alles Gold, was glänzt. Die Kolonialherrschaft präge bis heute das philippinischen Gesundheitssystem, das wie in den USA vornehmlich privat finanziert ist. »Nicht alle Menschen sind abgesichert, wie das hier in Deutschland der Fall ist«, sagt Briones. Zu Beginn seiner Karriere war er sehr verdutzt, als einem Patienten keine Abrechnungen in die Hand gedrückt wurden. »Das System in Deutschland ist zwar nicht perfekt, aber ich bin hier sehr zufrieden.« Mehr Geld für die Pflege würde sich der 36-Jährige trotzdem wünschen. »Es geht hier einfach um das Leben.« Und auch am Schichtsystem könnte noch gefeilt werden, das sei auf Dauer »sehr anstrengend«. (GEA)