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Herkunft, Religion, Alter: Wer in Rottenburg einsitzt

In Baden-Württemberg haben 53 Prozent der Gefangenen keinen deutschen Pass. Der Rottenburger Gefängnisdirektor Matthias Weckerle erklärt, wie sich die Zusammensetzung der Häftlinge geändert hat.

Für 35 Millionen Euro wurde in der JVA Rottenburg eine neue Werkhalle gebaut
Für 35 Millionen Euro wurde in der JVA Rottenburg eine neue Werkhalle gebaut Foto: Martin Zimmermann
Für 35 Millionen Euro wurde in der JVA Rottenburg eine neue Werkhalle gebaut
Foto: Martin Zimmermann

ROTTENBURG. Landesjustizministerin Marion Gentges stellte kürzlich eine Statistik über die Zusammensetzung der Häftlinge in Baden-Württemberg vor. Matthias Weckele, Leiter der Justizvollzugsanstalt Rottenburg sprach mit dem GEA darüber, was das in der Praxis bedeutet.

GEA: Frau Gentges spricht von einem Höchststand von Inhaftierten seit fünfeinhalb Jahren. Ist das Gefängnis in Rottenburg voll belegt?

Matthias Weckerle: Die Zahl der aktuell hier in Rottenburg untergebrachten Gefangenen ist tatsächlich aktuell niedriger als vor zehn Jahren und sehr deutlich niedriger als vor zwanzig Jahren. Damals waren in Rottenburg und den Außenstellen immer mehr als 800 Gefangene untergebracht und die meisten der Hafträume, die baulich als Einzelhafträume vorgesehen sind, mussten damals als Gemeinschaftshafträume genutzt und mit zwei Gefangenen belegt werden. Die Situation ist in dieser Hinsicht hier inzwischen deutlich besser. Auch in den letzten Jahren konnte unsere Anstalt durch Änderungen des Vollstreckungsplanes – also der Festlegung des Justizministeriums, welche Justizvollzugsanstalt für die Unterbringung welcher Gefangenen zuständig ist – entlastet werden, nachdem in einigen Anstalten (Stuttgart, Heimsheim und Ravensburg) durch Baumaßnahmen neue Haftplatzkapazitäten geschaffen wurden.

Welche Folgen hat das für die Haftbedingungen?

Weckerle: Im geschlossen Vollzug können deshalb inzwischen die Gefangenen ganz überwiegend in Einzelhafträumen untergebracht werden, was oft sehr wichtig ist. In Rottenburg gibt es die Besonderheit, dass wir in der Anstalt sehr unterschiedliche und hinsichtlich des Lockerungsgrades abgestufte Unterbringungsformen haben: geschlossenen Vollzug, teilgelockerten Wohngruppenvollzug und offenen Vollzug. Im Wohngruppenvollzug werden die Gefangenen auch innerhalb der Anstaltsmauern – also dem gesicherten Bereich – untergebracht, allerdings in Unterbringungsgebäuden, in denen sich die Gefangenen in ihrer Wohngruppe – in der jeweils bis zu zwanzig Gefangene leben – frei bewegen können.

Für den noch weiter gelockerten offenen Vollzug – bei uns betrifft dies das Freigängerheim und die landwirtschaftliche Außenstelle Maßhalderbuch – und den Wohngruppenvollzug müssen die Gefangenen eine besondere Eignung und Compliance mitbringen; in der Regel müssen sich die Gefangenen zunächst im geschlossenen Vollzug in einer Erprobungszeit bewähren. Ein ganz erheblicher Teil unseres Klientels eignet sich für diese Unterbringungsform leider nicht. In den geschlossenen Hafthäusern, die eine solche besondere Eignung nicht voraussetzen, sind wir hier – wie seit vielen Jahren – durchgängig zu 100 Prozent ausgelastet. In den gelockerten Bereichen sind wir überwiegend nicht voll ausgelastet; im Wohngruppenvollzug liegt die Auslastung bei etwa 90 Prozent.

In Baden-Württemberg haben 53 Prozent der Gefangenen keinen deutschen Pass. Wie ist das in Rottenburg?

Weckerle: In der JVA Rottenburg haben aktuell 49 Prozent der Gefangenen die deutsche Staatsangehörigkeit.

JVA-Leiter Matthias Weckerle (links) zeigt den Besuchern, was in den vergangenen Jahren in Maßhalderbuch entstanden ist.
JVA-Leiter Matthias Weckerle (links) zeigt den Besuchern, was in den vergangenen Jahren in Maßhalderbuch entstanden ist. Foto: Christine Dewald
JVA-Leiter Matthias Weckerle (links) zeigt den Besuchern, was in den vergangenen Jahren in Maßhalderbuch entstanden ist.
Foto: Christine Dewald

Welche nationalen Gruppen sind in der JVA Rottenburg stark vertreten?

Weckerle: Aus der Türkei stammen 30 Personen, aus Syrien 22, aus Rumänien 18, aus Algerien 18, aus Italien 15, aus Marokko 11, aus Gambia 10, Weitere 47 Nationen sind mit einem bis neun Gefangenen vertreten. Insgesamt sind 520 Gefangene hier untergebracht.

Bildet sich der Anstieg der inhaftierten Nordafrikaner auch in Rottenburg ab?

Weckerle: Auf Ihre Anfrage hin haben wir dies für unsere Anstalt ausgewertet; 2022 stammten 4 Prozent der Neuzugänge aus Algerien, Marokko oder Tunesien. 2023 waren es 6 Prozent und 2024 8 Prozent.

Welche Folgen haben die vielen verschiedenen Sprachen für die Vollzugsbeamten. Nutzen Sie Video-Dolmetscher?

Weckerle: Die Betreuung von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Nationen, mit verschiedenen Sprachen und unterschiedlicher Religionszugehörigkeit prägt seit vielen Jahren unsere Arbeit. Insofern kennen wir uns damit aus. Wir bieten auch Sprachkurse an, um die Sprachkompetenz der Gefangenen und dadurch die Verständigung und die Therapiemöglichkeiten zu verbessern. Die meisten Gefangenen haben so ausreichende Deutschkenntnisse, dass eine Alltagskommunikation möglich ist. Mit vielen Gefangenen ist eine Verständigung auch in englischer oder französischer Sprache möglich oder Mitarbeiter bringen zusätzliche Fremdsprachenkenntnisse ein. In vielen Situationen helfen auch Mitgefangene, die über bessere Deutschkenntnisse verfügen, als Übersetzer aus. Für schwierige Gespräche – etwa im medizinischen Bereich – nutzen wir auch den Videodolmetscher.

Die neue Werkhalle in der JVA Rottenburg.
Die neue Werkhalle in der JVA Rottenburg. Foto: Martin Zimmermann
Die neue Werkhalle in der JVA Rottenburg.
Foto: Martin Zimmermann

Wie hoch ist der Anteil der Muslime in der JVA Rottenburg und wie werden sie religiös betreut?

Weckerle: Aktuell liegt der Anteil muslimischer Gefangener bei 34 Prozent. Ein islamischer Seelsorger leitet in den Räumlichkeiten unserer Anstaltskirche wöchentlich das Freitagsgebet und betreut Gefangene auch in Einzelgesprächen seelsorgerisch.

Haben sich die Reformen der Ampel-Regierung bei Cannabis und Ersatzfreiheitsstrafen auf die Vollzugspraxis ausgewirkt?

Weckerle: Eine signifikante Auswirkung der teilweisen Legalisierung von Cannabis auf die Gefangenenklientel können wir hier nicht feststellen. Die Neuregelung der Berechnung der Ersatzfreiheitstrafe sollte dazu geführt haben, dass die Zahl der vollstreckten Hafttage in diesem Bereich reduziert wurde. Bei uns verbüßen weniger Gefangene Ersatzfreiheitsstrafen als früher. Dies hängt aber auch mit Veränderungen im Vollstreckungsplan zusammen; die JVA Rottenburg hat Zuständigkeiten im Bereich der kurzen Vollzugsdauern – weniger als sechs Monate, dazu gehören in der Regel auch die Ersatzfreiheitsstrafen – abgegeben.

Wie hoch ist der Anteil von Häftlingen mit Suchtproblematik in der JVA Rottenburg und hat sich dabei etwas geändert?

Weckerle: Bei etwa der Hälfte der Neuzugänge wird im Rahmen der ärztlichen Zugangsuntersuchung Abhängigkeit oder Substanzmissbrauch festgestellt. Der Anteil ist etwas schwankend, aber ohne deutlich signifikante Tendenz.

Frau Gentges spricht von einem erhöhten Anteil von Ersttätern ohne bisherige Hafterfahrung. Können sie das bestätigen?

Weckerle: Dieses Phänomen war für uns bislang in der Praxis nicht spürbar. Eine statistische Auswertung zeigt allerdings auch bei uns, dass der Anteil der Neuzugänge, die erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßen, in den vergangenen Jahren angestiegen ist. Ich habe dieses Thema in der Kürze der Zeit nicht so intensiv erforschen können; dieses statistische Ergebnisses möchte ich deshalb nicht bewerten, zumal wir dieses Merkmal in der EDV-Fachanwendung, die die Grundlage dieser statistischen Auswertung ist, auch erst seit wenigen Jahren erfassen. Ich bin mir deshalb noch nicht sicher, wie aussagekräftig diese Zahlen überhaupt sind.

Frau Gentges spricht von mehr Senioren in Haft. Spielt das in Rottenburg eine Rolle?

Weckerle: Das Klientel in Strafhaft wird immer von jungen, männlichen Tätern geprägt. Senioren in Haft sind daher immer Einzelfälle, oft schwierige, betreuungsintensive und immer wieder auch traurige Einzelfälle. Berücksichtigen muss man auch, dass für die Unterbringung von älteren Gefangenen in Baden-Württemberg eine Sonderzuständigkeit der JVA Singen besteht und deshalb auch nur ein Teil der Senioren (insbesondere bei kurzer Vollzugsdauer) im Regelvollzug untergebracht werden muss.

Ein Gefangener schweißt in der Metallwerkstatt der JVA Rottenburg.
Ein Gefangener schweißt in der Metallwerkstatt der JVA Rottenburg. Foto: Martin Zimmermann
Ein Gefangener schweißt in der Metallwerkstatt der JVA Rottenburg.
Foto: Martin Zimmermann

Gerade auch weil das junge und oft gewaltbereite Klientel rein zahlenmäßig in Haft dominiert, ist es für uns in der Praxis immer eine besondere Herausforderung, für die kleine Gruppe der älteren Gefangene eine adäquate Vollzugsgestaltung zu ermöglichen. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren beobachten wir auch, dass immer mehr ältere Gefangene Demenzerscheinungen zeigen und auch dadurch eine ganz besondere Betreuung benötigen. Da es tatsächlich immer nur einzelne Gefangene sind, die davon betroffen sind, versuchen wir, diesen in geschützteren und kleineren Unterbringungsbereichen eine möglichst individuelle Vollzugsgestaltung zu ermöglichen.

Trotzdem ist in vielen Fällen das Gefängnis nicht der Ort für diese Menschen. Immer wieder steht dabei auch beginnende Demenz in Zusammenhang mit der Straffälligkeit. Dennoch: es bleiben wirklich Einzelfälle, auch wenn die Auswertung der Statistik zeigt, dass der Anteil der Gefangenen über 60 Jahre etwas zugenommen hat, 2015 lag der Anteil bei etwa 2,5 Prozent, seit 2021 schwankt der Anteil zwischen 3 Prozent und 5 Prozent; aktuell sind es knapp 4 Prozent. Insgesamt ist die Thematik aber ein Beispiel für die zunehmende Heterogenität des Klientels in Haft.

Wie hat sich die geänderte Sozialstruktur auf die Arbeitsbetriebe der JVA ausgewirkt und wie wirkt sich die derzeitige Wirtschaftskrise aus?

Weckerle: Die geänderte Sozialstruktur hat dazu geführt, dass die Therapiebetriebe (Arbeitstherapie, Beschäftigungstherapie und Berufsorientierung) der JVA Rottenburg stark ausgelastet sind. Weiter sind in den Montagebetrieben vermehrt niederschwellige Arbeiten gefragt, um die Inhaftierten nicht zu überfordern und möglichst viele Inhaftierte nach Ihren Möglichkeiten sinnvoll zu beschäftigen. Die Wirtschaftslage ist in einigen unserer Montagebetriebe leicht spürbar, wir können Auftragsschwankungen aber bislang ausgleichen. Die Betrieben haben insgesamt noch eine ordentliche Nachfrage nach einfachen Produktions- und Dienstleistungsaufträgen.

Schleuse der Metallwerkstatt in der JVA Rottenburg
Schleuse der Metallwerkstatt in der JVA Rottenburg
Schleuse der Metallwerkstatt in der JVA Rottenburg

Ist es leichter geworden, Personal für die Vollzugsarbeit zu rekrutieren, weil die Lage auf dem Arbeitsmarkt schwieriger geworden ist?

Weckerle: Es ist angesichts der ganz besonderen Herausforderungen, die das Berufsbild an die Menschen stellt, die bei uns arbeiten, immer nicht so ganz einfach, geeignete, belastbare und für die Arbeit mit oft herausforderndem Klientel motivierte Mitarbeiter zu gewinnen. In den letzten Jahren hatten wir aber immer eine sehr große Zahl von Bewerbungen, was vielleicht daran liegt, dass die Aussicht auf eine Beamtenlaufbahn für viele junge Menschen wieder interessant sein kann, sicher aber auch daran, dass wir gemeinsam mit der JVA Rottweil mit vielen Werbemaßnahmen an die potentiellen Bewerber herangetreten sind. Für die neue JVA Rottweil wird noch immer Personal benötigt und in den vergangenen Jahren haben wir gemeinsam mit der JVA Rottweil Personal gesucht, ausgewählt und ausgebildet, das ab 2027 in der neuen Anstalt in Rottweil tätig werden soll.

Rottenburg war ja bereits einmal Abschiebe-Gefängnis. Wenn jetzt mehr abgeschoben werden soll, könnte Rottenburg dann wieder Abschiebe-Gefängnis werden?

Weckerle: Die geltende Rechtslage lässt es nicht zu, dass Strafgefangene und Abschiebegefangene in einer Einrichtung untergebracht werden. Es ist deshalb nicht damit zu rechnen, dass hier wieder Abschiebungshaft vollzogen wird. (GEA)