TÜBINGEN. Asli Kücük ist schnell. Fast im Laufschritt stürmt sie von Tür zu Tür. Hier geht es in erster Linie um Quantität. Die Direktkandidatin der Grünen des Landkreises Tübingen-Hechingen will möglichst viele Menschen an diesem Morgen erreichen. Dabei geht es weniger um Überzeugungsarbeit als darum, Mitstreiter für die Bundestagswahl zu mobilisieren. Längere Gespräche an der Haustür sind da eher kontraproduktiv. Eine wissenschaftliche Studie habe gezeigt, dass der Haustürwahlkampf sehr effektiv sei, erklärt Linda Hanselmann vom Kreisvorstand. »Man erreicht die Leute direkt.« Die Studie habe aber auch gezeigt, dass es wenig vielversprechend ist, sich auf längere Gespräche an der Haustüre einzulassen. »Ziel ist es, in seine Hochburgen zu gehen.«
Also hinein in die Hochburg in Rottenburg. Dieses Mal ist das Kreuzerfeld dran. Dort allerdings nicht die großen Hochhäuser, sondern die Siedlung daneben. Es ist ein ganzer Trupp, der sich am Samstagmorgen bei Sonnenschein und eiskalter Luft dort trifft. Die Straßenzüge werden an Zweierteams schnell aufgeteilt. Und los geht es, ran an die Klingeln.
Niemand zu Hause. Kücük ist ein bisschen enttäuscht. »Mir macht Wahlkampf Spaß«, sagt die 48-Jährige. Sie hat darin Übung. Sie ist Tübinger Gemeinde- und Kreisrätin und war Wahlkampf-Managerin beim ehemaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Chris Kühn. Aber vor allem kommt sie gerne mit Menschen ins Gespräch. Das gelingt ihr allerdings an diesem Morgen eher selten. Viele sind nicht zu Hause, aber diejenigen, die da sind, reagieren ausgesprochen freundlich. Keine Spur von Grünen-Bashing in der Bischofsstadt, auch nicht von Menschen, die offensichtlich keine Grünen-Wähler sind.
»Guten Tag, ich bin Asli Kücük, die Direktkandidatin der Grünen im Wahlkreis Tübingen-Hechingen.« Die Vorstellung beantwortet einer, der schon neugierig aus dem Fenster schaut, als sich die Kandidatin seinem Haus nähert, mit: »Es ist eine Ehre für uns, dass Sie hier klingeln.« Er sei ein »absoluter Fan« der grünen Umweltpolitik, sagt der Rottenburger. Allerdings verstehe er die aktuelle Friedenspolitik nicht mehr. Deshalb werde er wohl dieses Mal einer anderen Partei die Stimme geben.
»Irgendwann haben wir nur noch über den Taurus gesprochen - Asli Kücük«
Kücük reagiert zurückhaltend auf diese Kritik an der grünen Ukraine-Politik. Später, im anschließenden GEA-Gespräch wird sie sich deutlicher äußern. Die Linie von Anton Hofreiter, der Ukraine deutlich mehr Waffen zu liefern, kann sie nicht wirklich mittragen. »Irgendwann haben wir nur noch über den Taurus gesprochen.« Dagegen setzt sie auf »möglichst viele diplomatische Gespräche«. Allerdings habe der russische Angriffskrieg die Deutschen gezwungen zu handeln und seinen Bündnispartnern beizustehen.
Freundliche Menschen an fast allen Haustüren. So gut wie jeder nimmt den Wahlkampf-Flyer von Kücük entgegen. Ein paar Häuser weiter öffnet eine Studentin der Forstwirtschaft. Sie freut sich richtig, die Grünen-Kandidatin zu sehen. Im Forst seien die Menschen traditionell eher konservativ eingestellt, erzählt die junge Frau. »Dabei sehen wir, wie der Wald stirbt.«
»Um das Ladensterben zu stoppen braucht es gute Programme, die wohlüberlegt sein müssen - Asli Kücük«
Klima- und Naturschutz - die großen Themen der Grünen sind Kücük zwar wichtig, als ehemalige Tübinger Integrationsrätin liegt ihr aber die Migrationspolitik ebenfalls sehr am Herzen. Nach dem Antrag von Friedrich Merz im Bundestag und der Abstimmung mit der AfD haben sich bei der Grünen-Kandidatin viele Menschen mit Fluchtgeschichte gemeldet. Sie haben Angst bekommen, wie diese Diskussion in Deutschland weitergeht. Ob vielleicht das nächste Thema der öffentlichen Debatte die Remigration sei. »Das hat mich ganz schön angefasst«, erzählt Kücük. »Das war ein richtiger Schock.«
Das Grundrecht auf Asyl und der Familiennachzug muss bleiben, betont Kücük. Allerdings müsse es schneller gehen mit der Arbeitserlaubnis. Die Flüchtlinge sollen möglichst bald auf eigenen Beinen stehen können und damit eine Perspektive für ihr Leben haben, sagt die Tübingerin.
Der Haustürwahlkampf ist für diesen Tag abgeschlossen, genug Flyer sind verteilt, die Hände sind eingefroren. Jetzt geht es in warme Tübinger Café. Ein weiterer Ort, an dem Kücük sich so richtig wohlfühlt. Kein Wunder. Sie war selbst Gastronomin in der Unistadt. Und sie weiß um die Nöte der Gastronomen. Hinter der Forderung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga nach sieben Prozent Mehrwertsteuer steht sie voll und ganz. Handel, Gewerbe und Gastronomie - das mache eine Stadt aus. Um das Ladensterben zu stoppen brauche es »gute Programme, die wohlüberlegt sein müssen«. Genau daran möchte sie mitwirken. Sie möchte mitmischen, nicht ohnmächtig Dinge über sich ergehen lassen. Das hat sie schon in die Kommunalpolitik getrieben. Jetzt will sie sich im Bund für die Stärkung der Kommunen einsetzen. (GEA)