TÜBINGEN. Gregor Gysi kommt. Um sich zu unterhalten – und um zu unterhalten. Der bekannte Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, der kürzlich als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestags eröffnen konnte, wird im Neuen Kunstmuseum in Tübingen (NKT) zum Dialog einladen. 400 Sitzplätze gibt es pro Veranstaltung. Und schon vor dem Vorverkauf erreichten das Kunstmuseum viele Anfragen nach Karten, berichtet dessen Gründer Bernd Feil. Der kann sich indes über einen echten Coup freuen, denn eine einfache Anfrage reichte, um den 77-Jährigen aus Berlin an den Neckar zu locken. »Gysis Begegnungen« heißt die Veranstaltungsreihe im NKT, die am 16. Juli beginnen wird.
Der erste Gast, den Gysi in seinen Begegnungen auf die Bühne bitten wird, hat indes keine lange Anreise: Es ist Oberbürgermeister Boris Palmer, dem Gysi auf den Zahn fühlen will. Oder genauer: Ihn besser kennenlernen will. Denn der frühere SED-Vorsitzende, der längst über persönliche Angriffe, wie die des Bundestagsabgeordneten Sepp Müller (CDU) hinweglächeln kann, der in der konstituierenden Sitzung des Bundestags während Gysis Rede demonstrativ aus dem Werk »Die Täter sind unter uns« des Historikers Hubertus Knabe las, lädt zu seinen Gesprächsabenden jeweils nur einen Gast ein. »Ich bin neugierig. Ich möchte wissen, warum jemand so geworden ist, wie er ist. Das fängt oft schon in der Kinderheit an«, sagt Gysi. Palmer nennt er eine »spannende und interessante politische Figur«. Der Tübinger OB sei ein »unabhängiger Denker, außergewöhnlich«. Vor allem Palmers Wiederwahl gefällt dem erfahrenen Bundespolitiker: »Tübingen mag das Außergewöhnliche, das gefällt mir.«
Am Deutschen Theater begonnen
Stolze 22 Jahre trat Gysi im Deutschen Theater in Berlin mit der Reihe »Gysi trifft« auf, hinzu kam das Format »Missverstehen Sie mich richtig!«. Als Moderator trifft Gysi künftig in Berlin und Köln auf - und in Tübingen. Gysi wendet sich dabei jeweils einem Menschen zu, mit dem sich der Linke nur allzu oft reiben kann: Bis hin zum Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner. Auch in Tübingen wird Gysi die thematische Konfrontation suchen: Mit der Schauspielerin, Kabarettistin und Sängerin Maren Kroymann, dem Unternehmer Wolfgang Grupp, der Theologin Margot Käßmann und dem früheren Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. »Ich scheue so gut wie nichts«, antwortet Gysi da auf die Frage, ob er jeden Gesprächspartner akzeptieren würde. »Aber es gibt schon bestimmte Grenzen.«
Wo diese liegen könnten, wird deutlich, wenn der langjährige Bundestagsabgeordnete darüber spricht, weshalb ihm solche Dialogformate wichtig sind. »Unsere Demokratie steht von außen und von innen unter Druck«, sagt Gysi im Hinblick auf die US-Präsidentschaft von Donald Trump und das Erstarken der AfD in Deutschland. Zudem würde der Staat oftmals an der falschen Stelle sparen - und sich somit insbesondere bei Kultur und Bildung immer weiter zurückziehen. Investoren würden in die Bresche springen, was einem Linken-Politiker nur begrenzt gefallen könne. Für Bernd Feil hat Gysi indes ein dickes Lob parat: »Sein Vermögen für eine Kunsthalle einzusetzen, das macht nicht jeder. Würden das alle machen, hätte meine Partei wohl weniger Probleme mit Vermögenden.«

Der Politik indes würde Gysi »mehr Ehrlichkeit« verschreiben wollen, um die Politikverdrossenheit in die Schranken zu weisen: »Wahlen sollten mit Wahrheiten gewonnen werden.« Mit seinen Dialogabenden in der Universitätsstadt will Gysi zudem ein Zeichen gegen die zunehmende Konfrontation gegensätzlicher Meinungen setzen, für Kompromissbereitschaft werben. »Die Richtung muss stimmen. Aber die Schritte können kürzer sein, als man es sich wünscht«, formuliert Gysi. Eine andere Weisheit des Alterspräsidenten: »Man muss neugierig bleiben.« Auf Tübingen ist Gysi offenbar neugierig. Und, in einem Wahlkreis ohne Bundestagsabgeordneten besonders interessant, ist die Ankündigung des 77-Jährigen: »Ich will die Stadt erobern.«
Gysis Begegnungen: Welche Termine feststehen
Der Vorverkauf für die Veranstaltungsreihe »Gysis Begegnungen« im Neuen Kunstmuseum Tübingen ist gestartet. Los geht es am 16. Juli, wenn Gysi den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer empfängt. Am 4. September folgt Maren Kroymann, am 20. Oktober kommt Wolfgang Grupp, am 11. November ist Dr. Magrot Käßmann zu Gast und am 8. Dezember folgt Kai Diekmann.