DUßLINGEN. Vielleicht war es der Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung für Grundschüler, der das Fass zum Überlaufen brachte. Mindestens aber lässt sich exemplarisch an ihm zeigen, was die Bürgermeister Thomas Hölsch (Dußlingen), Christof Dold (Pliezhausen), Stefan Wörner (Pfullingen) und Oliver Schmid (Geislingen) derzeit regelrecht in Rage bringt: Vor fünf Jahren wurde der Rechtsanspruch im Bund beschlossen. Das Land hat zugestimmt. Ausführen müssen die Kommunen den Beschluss ab dem Schuljahr 2025/26. Das allerdings unter ungewissen Vorzeichen: »Wir wissen bis heute nicht, wie viel wir vom Land von den Betriebskosten erstattet bekommen«, sagt Hölsch. In Kirchentellinsfurt hatte das jüngst dazu geführt, dass die Gemeinde von ihrem guten Konzept für eine Ganztagsschule Abstand genommen hatte. Die Gemeinde wusste schlicht nicht, ob sie das Vorhaben finanzieren kann.
Die Kommunen stehen mit dem Rücken zur Wand. Der Präsident des Gemeindetags Steffen Jäger hatte deshalb jüngst zu einem ungewöhnlichen Mittel gegriffen: In einem offenen Brief wandte er sich an alle Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg, um auf den Ernst der Lange hinzuweisen. »Die Kommunalfinanzen sind in einer solch dramatischen Schieflage, dass bereits die Erfüllung der Pflichtaufgaben kaum mehr möglich ist«, schreibt Jäger.
»Im Prinzip ist es ein Hilferuf«
Das können die vier Bürgermeister nur unterstützen. Drei von ihnen sind Vorsitzende der Kreisverbände Reutlingen (Dold), Tübingen (Hölsch) und Zollernalb (Schmid) im Gemeindetag. Sie vertreten damit 66 Städte und Gemeinden der Region Neckar-Alb. »Im Prinzip ist es ein Hilferuf«, beschreibt Dold ihr Anliegen in einem Pressegespräch. Kleine Korrekturen reichen in den Gemeinden schon lange nicht mehr aus. »Wir stehen an einem Wendepunkt«, sagt der Pliezhäuser Bürgermeister. »Die Fülle der Aufgaben ist nicht mehr leistbar«, fügt Hölsch hinzu. Ein Großteil der Kommunen könne ihre Haushalte nicht mehr ausgleichen. »Es ist richtig eng. Das wird der Bürger spüren«, fügt Schmid hinzu.

Die vier Bürgermeister sind alle schon Jahrzehnte im Amt. Eine derartige Krise habe man aber noch nie erlebt, sind sie sich einig. Sie fordern deshalb einen schnellen Struktur- und einen politischen Kulturwandel. »Wir brauchen weniger Ankündigungen in Form von ungedeckten Schecks und mehr Umsetzungsfähigkeit mit realistischen Standards, auskömmlicher Finanzierung und echtem Vertrauen in die kommunale Verantwortung«, so die drei Kreisverbandsvorsitzenden.
Die Sorge ist: Dass die Kommunen in die Knie gehen zwischen der deutschen Regulierungswut und den von Bund und Land übertragenen Aufgaben, die sie nicht mehr leisten können, weil die Finanzierung fehlt. Die Forderungen der kommunalen Vertreter ist deshalb klar: Die Gemeinden sollten dringend finanziell stabilisiert, soziale Standards überprüft und Verfahren vereinfacht werden. Vor allem aber sollte sich die Bundes- und Landespolitik am Prinzip 'Wer bestellt, der zahlt' ausrichten. Vom Bund erwarte man eine »Verdreifachung der kommunalen Umsatzsteueranteils und die vollständige Übernahme flüchtlingsbedingter Unterkunftskosten«, so Schmid. Vom Land erwarte man eine Stärkung der kommunalen Finanzen und eine verlässliche Finanzierung von Ganztagesförderung und Schulbegleitung. Sollte sich an der derzeitigen Politik nichts ändern, dann gefährde das die Demokratie, sagt der Geislinger Bürgermeister. Sie schüre Erwartungen in der Bevölkerung, die letztendlich nicht umgesetzt werden können.
»Wir können nicht mehr investieren«
Unausgeglichene Haushalte der Kommunen seien außerdem eine Gefahr für das gesamte Land, sagt Hölsch. »Wir können nicht mehr investieren.« Das schade letztendlich der Wirtschaft. Dem Dußlinger Bürgermeister stößt zudem die Regulierungswut und Bedenkenträger in den Behörden sauer auf. »Wir brauchen für vieles einfach zu lang«, so Hölsch. So könne die Energiewende nicht gelingen. Das unterstützt der Pfullinger Bürgermeister. Er wünscht sich »mehr Vertrauen in die Kommunalpolitik und mehr Freiheiten in der Umsetzung von Pflichtaufgaben«, ergänzt Wörner.
Düstere Zeiten sehen die kommunalen Vertreter auf die Gemeinden zukommen, sollte sich an den bestehenden Strukturen nichts ändern. »Die Bürger spüren schon jetzt, dass die Lage immer schwieriger wird«, betont Schmid. Die Ausstattung von Schulen könne nicht mehr in gewohnter Weise geleistet werden, die Straßenreinigungsintervalle werden zurückgefahren, Winterdienste reduziert. In Pliezhausen könne eine Laufbahnsanierung nicht finanziert werden, weil sie zu den freiwilligen Leistungen gehöre, sagt Dold. Würde die Gemeinde das in Angriff nehmen, bekäme sie ihren Haushalt nicht genehmigt. Das Fazit von Dold: »Das Land lässt uns im Regen stehen.« Mühsam sei es, immer nur als Bittsteller dazustehen. (GEA)

