Professor Thomasius weiß, wovon er spricht. Er ist unter anderem Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters sowie des Bereichs Suchtstörungen an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf. Dort wird er täglich mit suchtkranken Jugendlichen konfrontiert.
Die Arbeit in der Suchthilfe habe sich in den vergangenen zehn Jahren sehr gewandelt, berichtet Thomasius jetzt bei den Suchttherapietagen in Tübingen. Während früher meist Menschen mittleren Alters die Kliniken aufgesucht hätten, sei inzwischen der Anteil sehr junger Menschen, sogar Minderjähriger, erheblich. »Der Grund dafür ist Cannabis.«
Derzeit wiesen bis zu 19 Prozent der aktuellen Konsumenten von Cannabis in Deutschland eine Abhängigkeit auf, so Thomasius weiter. Bei Kindern und Jugendlichen, die zum Joint greifen, sei die Gefahr, von Cannabis abhängig zu werden, deutlich höher als bei einem späteren Einstieg im Erwachsenenalter.
»Abhängige im Alter von 17 Jahren sind auf dem Niveau von 13- bis 14-Jährigen«Und welche Symptome begegnen Thomasius im Klinikalltag? »Bei Cannabis-Abhängigen zeigt sich deutlich eine Reduktion bei der Aufmerksamkeit. Auch die Impulskontrolle ist sehr stark beeinträchtigt.« Diese Erfahrungen machten alle Suchtstationen in Deutschland. Die Stationen müssten praktisch jedes Jahr saniert werden, »weil immer wieder viel kaputt geht«.
Tests hätten zudem ergeben, dass bei den Abhängigen auch Intelligenzdefizite vorhanden seien. Vor allem bei Menschen, die schon im Jugendalter mit dem Konsum von Cannabis begonnen hätten, reduziere sich der IQ-Wert auffallend stark. Thomasius nannte eine Reduzierung von bis zu zehn IQ-Punkten, was vor allem bei durchschnittlich Begabten deutliche Auswirkungen habe. Bei Suchtkranken, die zum ersten Mal in seine Klinik kämen, sei häufig das intellektuelle Niveau so schlecht, dass eine Psychotherapie nicht begonnen werden könne. »Da ist zuerst eine kognitive Förderung von Nöten«, erzählt Thomasius.
Jugendliche, die nicht kiffen, seien dagegen in ihrer Entwicklung viel weiter. Abhängige im Alter von 17 Jahren seien auf dem Niveau von 13- bis 14-Jährigen, »die Entwicklung ist an ihnen vorübergegangen«. Sie könnten die Anforderungen, die unsere Hochleistungsgesellschaft an sie stellt, nicht bewältigen.
Cannabis erhöhe auch das Risiko, an einer schizophrenen Störung zu erkranken. Nach bisherigen Erkenntnissen könnten acht bis vierzehn Prozent aller Schizophrenie-Fälle weltweit auf Cannabis-Missbrauch zurückgeführt werden.
Auch auf das Thema Cannabis und Fahrtüchtigkeit ging Thomasius ein. Hier äußerte er Kritik an den Grünen. Bei einer Expertenanhörung im Bundestag sei er überrascht gewesen, wie »außerordentlich schlecht« die Grünen auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Untersuchungen recherchiert hätten, meinte Thomasius.
Die Fahrtüchtigkeit sei schon bei geringen Mengen Cannabis eingeschränkt. Das Unfallrisiko steige bereits bei einer Dosierung von zwei Nanogramm pro Milliliter Blut sprunghaft an. Gefährlich sei vor allem die Restintoxikation. Auch Stunden nach der Einnahme von Cannabis sei der Konsument nicht fahrtüchtig und überschätze sich. Gerade in dieser Zeit gebe es die schwersten Verkehrsunfälle.
Thomasius verglich in seinem Vortrag in der Tübinger Kinder- und Jugendpsychiatrie das restriktivere Deutschland mit Ländern, die eine liberale Drogenpolitik vertreten, etwa Teile der USA. In Ländern mit einer Liberalisierung lägen »die Einstiegsquoten in den Cannabiskonsum bis zum 18. Lebensjahr höher als in Staaten ohne Liberalisierung«. Auch das typische Einstiegsalter verlagere sich durch die Liberalisierung von vormals 18 auf 16 Jahre. Im liberaleren Colorado beispielsweise liege der Cannabis-Konsum unter 12- bis 17-Jährigen um 39 Prozent höher als im Landesdurchschnitt.
Thomasius ist auch der Meinung, dass eine Liberalisierung oder gar Legalisierung von Cannabis sich, wie oft behauptet werde, finanziell nicht auszahle. Die Kosten für die Marktregulierung wie die rechtliche Durchsetzung von Lizenzsystemen, Marketing- und Vertriebsstrukturen, sowie die Aufgaben der Behördenaufsicht (Qualitätskontrolle, Vertrieb, Abgabeverbot an Minderjährige, »Drogentourismus«) seien höher. Auch das Problem »illegaler Markt« bekomme man nicht in den Griff. Allein durch die Besteuerung und im »Wettbewerb« um höhere Wirkstoff-Gehalte entstünden neue illegale Märkte.
Für Deutschland schlägt Thomasius deshalb vor, an dem Mehrsäulenkonzept mit Angebotsreduzierung, Prävention und Hilfestellung weiter zu bauen. Der generalpräventive Effekt des Betäubungsmittelgesetzes sei sichtbar. Und außerdem: Die Legalisierung würde sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche besonders hart treffen und damit die Chancenungleichheit beim Aufwachsen in unserer Gesellschaft befördern. (GEA)