Logo
Aktuell Rettung

Erst Narren, dann Helden: Unterjesinger verhindern Zugunglück

Eigentlich sollte es doch nur ein entspannter Rosenmontag für die zwei Unterjesinger Narren werden. Doch dann wurden Walter Scipioni und Steffen Mang plötzlich zu Helden, als sie mit geballter Kraft eine Schranke einrissen und so einen Reisebus von den Schienen befreiten. Wie beherztes Eingreifen und gute Ortskenntnisse ein großes Unglück verhindert haben.

Die Unterjesinger Narren Walter Scipioni (links) und Steffen Mang haben mit vereinten Kräften die Schranke einer Bahnüberführung
Die Unterjesinger Narren Walter Scipioni (links) und Steffen Mang haben mit vereinten Kräften die Schranke einer Bahnüberführung aufgebrochen und so einen Reisebus befreit. Foto: Privat
Die Unterjesinger Narren Walter Scipioni (links) und Steffen Mang haben mit vereinten Kräften die Schranke einer Bahnüberführung aufgebrochen und so einen Reisebus befreit.
Foto: Privat

TÜBINGEN. Eigentlich wollten die Unterjesinger Narren Walter Scipioni und Steffen Mang nur machen, was sie am Rosenmontag immer machen, wenn das närrische Treiben den Höhepunkt erreicht: Sich bei Scipioni zu Hause treffen, auf die Gaudi freuen und vielleicht noch ein Bierchen zischen. So auch am Morgen des 3. März, als die Narren des Fastnetclubs Unterjesingen auf den Bus warten, der sie nach Trochtelfingen bringen soll. Glücklicherweise draußen, um das schöne Wetter zu genießen, und nicht in den eigenen vier Wänden. Sonst hätten die zwei Männer das Zugunglück, das sich ein paar Minuten später ereignet hätte, wohl nicht verhindern können. »Ich wohne ja direkt am Unterjesinger Bahnhof in der Rottenburger Straße, wo uns auch der Bus abholt. Deswegen treffen wir uns am Rosenmontag schon früher bei mir und ziehen dann alle gemeinsam los«, erklärt Scipioni gegenüber dem GEA.

»Da wusste ich, dass wir noch maximal 45 Sekunden Zeit haben«

Tolles Wetter und tolle Stimmung in Unterjesingen, wie jedes Jahr. Dann kommt der Bus und wendet - im Schienenbereich. »Das machen die Fahrer seit 30 Jahren so«, sagt Scipioni, »damit sie die Straße nicht blockieren. Da ist bislang noch nie was passiert.« Doch dieses Mal schon. Gerade, als sich der Bus im Wendemanöver befindet, senken sich die Schranken am Gleisübergang, das Gefährt ist gefangen. »Da wusste ich, dass wir maximal noch 45 Sekunden haben, um den Bus da rauszukriegen, sonst würde es krachen. Denn der Zug kam aus Richtung Herrenberg«, erzählt der Ortskundige weiter.

Die Krux: Kommt die Ammertalbahn aus westlicher Richtung, fährt sie über eine Kurve auf den Bahnübergang zu und dann erst in den Bahnhof ein. »Der Zug kommt so mit 60 oder 70 Sachen um die Ecke und bremst dann ab. Der Lokführer hätte den Bus erst zu spät gesehen und nicht mehr rechtzeitig bremsen können«, vermutet Scipioni. Deshalb war ihm klar, dass er jetzt handeln musste. »Steffen und ich sagten nur noch: Komm', die Schranke drücken wir ab.«

Kräftig in die Hände gespuckt

Um zu handeln, habe das Mitglied der Lumpenkapelle und sein Hexen-Kollege nicht lange überlegen müssen. Den Busfahrer, der wohl »Panik gekriegt« habe und bereits aus dem leeren Bus ausgestiegen war, schicken Scipioni und Mang kurzerhand wieder in seine Fahrerkabine zurück, um das Gefährt noch rechtzeitig von den Gleisen zu bekommen. Dann spucken die zwei Männer kräftig in die Hände, drücken die Schranke weg und der Bus kommt noch rechtzeitig aus der Falle. »Und das war's dann auch«, sagt Scipioni nüchtern. 20 Sekunden später rollt der Zug über die nunmehr angeschlagene Überführung. Verletzt wurde niemand, gekracht hat's auch nicht.

»Ich habe sogar Anrufe aus Ostfriesland zu dem Vorfall bekommen«

Dass es zu einem Unglück hätte kommen können, diese Einschätzung teilt auch Sarah Wüstenhöfer, Geschäftsführerin des Zweckverbands ÖPNV im Ammertal. »Die Züge haben allgemein einen langen Bremsweg und vermutlich wäre die Bahn nicht mehr rechtzeitig zum Stehen gekommen.« Eine Schuld treffe die Bahnbetreiber aber nicht: »Wenn die Schranken runtergehen, dann gilt die Strecke als gesichert und der Zug bekommt grünes Licht«, erklärt die Geschäftsführerin. Hätte sich die Schranke nicht senken können, hätte der Lokführer eine Warnung gekriegt und bereits vor der Kurve anhalten müssen. »Deswegen ist es so wichtig, dass kein Verkehrsteilnehmer im Gleisbereich wendet oder sich anderweitig aufhält.« Was in der Straßenverkehrsordnung auch ganz klar geregelt sei. Für den nächsten Notfall stellt Wüstenhöfer klar: »Die Schranken haben Sollbruchstellen, genau für solche Vorkommnisse.«

»Echte Zivilcourage bewiesen«

Dieses Mal ist alles nochmal gut gegangen, dank des kühnen Eingriffs der zwei Unterjesinger Narren Walter Scipioni und Steffen Mang. Dafür dankt Wüstenhöfer den beiden Männern ganz herzlich. »Sie haben ein Unglück mit erheblichem Personen- und Sachschaden verhindert und echte Zivilcourage bewiesen.« Ein Zusammenstoß hätte Millionen gekostet - so waren es nur knapp 700 Euro für die gebrochene Schranke.

Was den Busfahrer zu dem illegalen Wendemanöver veranlasst hatte, bleibt vorerst unklar. »Zu der Situation kam es aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände. Wir ziehen daraus Konsequenzen und haben bereits Schritte eingeleitet, die Abfahrtstelle künftig zu ändern, damit diese Situation nicht mehr vorkommen kann«, erklärt eine Gesellschafterin des verantwortlichen Busunternehmens. »Wir möchten unsere große Erleichterung zum Ausdruck bringen, dass der unglückliche Vorfall - insbesondere dank des beherzten Eingreifens der beiden Helfer - ohne Personen- und nur mit zu vernachlässigendem Sachschaden ausgegangen ist.« Den Helfern habe das Unternehmen für ihr »schnelles und mutiges Einschreiten« bereits persönlich gedankt.

Scipioni ist indes froh, wenn sich der ganze Trubel bald wieder gelegt hat. »Ich habe sogar Anrufe aus Ostfriesland zu dem Vorfall bekommen«, sagt das Mitglied der Lumpenkapelle. Auch bei seiner Arbeit habe er noch keine Ruhe: Immer wieder werde er um ein Zeitungs- oder Radiobier gebeten - eine kleine Tradition, bei der die Person, über die geschrieben wird, bei der nächsten Gelegenheit einen ausgibt. (GEA)