TÜBINGEN. 40 Jahre lang stand der alte Bechstein-Flügel in einer Kirche in Bonn-Bad Godesberg. Das Instrument aus dem Jahr 1913 hat Wolfgang Jellinek von seinem Großvater geerbt. Nach einer Kirchenrenovierung gab es keinen Platz mehr für das schöne Stück. Der Flügel musste weg. Was dann folgt ist eine Geschichte, die fast an Kafka erinnert. Monatelang war der Berufsmusiker damit beschäftigt, dem Flügel ein gutes Heim zu verschaffen. Unvermutet geriet er dabei in die Fänge der Bürokratie. Denn das alte Tasteninstrument hat einen entscheidenden Nachteil: seine Tasten sind mit Elfenbein belegt. Damit unterliegt es der EU-Regelung für den Elfenbeinhandel.
Was das heißt, kann Jellinek nun detailliert berichten. Schließlich hat er sich monatelang intensiv damit befasst. Den Flügel wollte er ursprünglich einem Seniorenheim in der Bonner Gegend zukommen lassen. Aber es fand sich keine Einrichtung, die daran Interesse hatte. Dann stellte er das Instrument auf ein Internet-Portal zum Verkauf. Schnell fand sich eine interessierte Tübinger Familie. Es fand sich aber auch ein erster Hinweis, dass Vorsicht geboten ist bei einem Verkauf von einem Instrument, bei dem Elfenbein verbaut wurde. Jellinek wandte sich daraufhin an das Regierungspräsidium Tübingen.
Das Alter des Elfenbeins ist entscheidend
Für derlei Fälle ist die Untere Naturschutzbehörde zuständig. Die Bestimmungen in Sachen Elfenbein haben sich deutlich verschärft. Im Dezember 2021 hat die EU einen neuen Leitfaden zum Umgang mit Elfenbein veröffentlicht, nach dem Instrumente ab Baujahr 1976 mit Elfenbeintasten nicht mehr erlaubt sind und auch nicht mehr gehandelt werden dürfen. Man könnte nun meinen, das betrifft den alten Flügel von Jellinek nicht. Schließlich ist das Instrument deutlich älter. Dem ist aber nicht so. Um eine EU-Ausnahmegenehmigung zu bekommen, muss das Alter des verwendeten Elfenbeins geprüft werden. Das Alter des Instruments spiele dabei keine Rolle, teilte das Regierungspräsidiums dem Tübinger Musiker mit.
Der Umgang mit Elfenbein
Das Washingtoner Artenschutzabkommen CITES regelt den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen zum Schutz vor übermäßiger Ausbeutung, so das Bundesamt für Naturschutz. Danach sind alle drei Elefantenarten, der afrikanische Savannenelefant, der afrikanische Waldelefant und der asiatische Elefant seit 1976 streng geschützt. Die Wilderei sei zwar leicht zurückgegangen, schreibt die EU in der Begründung zu ihrem Leitfaden, dennoch sei die Anzahl der gewilderten Elefanten weiterhin so hoch, dass viele Populationen in Afrika in ihrem Fortbestand gefährdet sind.
Vor diesem Hintergrund wurden strenge Regeln erlassen, die auch den Handel mit alten Musikinstrumenten betreffen: Für den Verkauf bedarf es einer Vermarktungsbescheinigung. Dafür müsse nachgewiesen werden, dass das Instrument vor 1947 oder im Zeitraum zwischen 1947 und 30. Juni 1975 erworben wurde, schreibt das Regierungspräsidium. Eine Bescheinigung wird nur dann nicht benötigt, wenn das Instrument im privaten Bereich bleibt, es nicht zum Verkauf angeboten und auch nicht zur Schau gestellt wurde.
Bei Instrumenten, die zwischen 1947 und dem 30. Juni 1975 gekauft wurden, muss belegt werden, dass sie nur zum Musizieren benutzt werden. Dann kann es verkauft werden. Wird es anschließend nur noch zu Dekozwecken genutzt, darf es nicht mehr weiterverkauft werden. Ist es nicht mehr möglich, die Herkunft des Elfenbeins nachzuweisen, stehe »die weitere Aufklärung im Ermessen der Behörde«, schreibt das Regierungspräsidium. Gegebenenfalls könne ein gutachterlicher Nachweis nötig werden. (iwa)
Was dann folgte, war eine hitzige Auseinandersetzung mit der zuständigen Abteilung der Behörde. Die verwies auf das Artenschutzrecht, nach dem der afrikanische und asiatische Elefant streng geschützt ist. Nach diesem Gesetz ist es verboten, »Tiere und Pflanzen besonders geschützter Arten in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten«. Wer dagegen verstößt, könne mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden.
Kulturschutz angemahnt
Dieses Schreiben erzürnte Jellinek. Schließlich steht es dem Musiker fern, Tiere besonders geschützter Arten zu verarbeiten. Auch gegen den Artenschutz hat er nichts einzuwenden. Ihm fehle aber bei dieser Bestimmung der Kulturschutz, sagte der Tübinger. Denn eigentlich wollte er nur seinen schönen alten Flügel verkaufen. Aber nachdem das sich als schwieriger erwies als ursprünglich angenommen, nahm er Abstand vom Verkauf. Geholfen habe ihm das trotzdem nichts, erzählt der Musiker. Die Behörde haben auf einen Nachweis bestanden, dass er zu dem Besitz berechtigt sei.
Aber, so fragt sich Jellinek, ist das alles noch verhältnismäßig? Der Elefant sei schließlich schon lange tot. Der Großvater hat den Flügel rechtmäßig erworben. Eine entsprechende Auflage in Sachen Elfenbein gab es damals noch nicht. Dem Berufsmusiker fehlt bei dieser Entscheidung Maß und Mitte. Auch fragt er nach dem Bestandsschutz für die Besitzer alter wertvoller Musikinstrumente. Er weiß von Fällen zu berichten, wo wertvolle Flügel aufgrund der Regelung plötzlich komplett an Wert verloren haben.
Schneller ging es in der Bonner Unteren Naturschutzbehörde. Denn im Laufe des Verfahrens stellte sich heraus, dass die Tübinger für den Flügel gar nicht zuständig sind. Schließlich stand das Instrument in Bonn, als die Mühlen der Behörden zu mahlen begonnen hatten. Die Bonner stellten die erforderliche EU-Bescheinigung gegen 30 Euro problemlos aus. Das traditionsreiche Unternehmen Bechstein in Berlin hatte zuvor anhand der Seriennummer des Flügels festgestellt, dass es sich bei den Tasten um Elfenbein eines afrikanischen Elefanten gehandelt haben muss.
Traditioneller Tastenbelag für Flügel und Klaviere
Dass es sich nicht um einen besonders außergewöhnlichen Fall handelt, bestätigt Werner Albrecht, Klavierbaumeister und Technischer Leiter bei der C.Bechstein GmbH in Berlin auf GEA-Nachfrage. Elfenbein sei früher traditionell als Tastenbelag für Flügel und Klaviere eingesetzt worden. Das hatte einen sachlichen Grund: Das natürliche Material habe eine offenporige Struktur und absorbiere so den Handschweiß, gibt der Klavierbaumeister Auskunft. Bis in die 1980er Jahre seien Bechstein-Flügel deshalb mit circa einen Millimeter starkem Elfenbein belegt worden. »Ab 1975 wurden Klaviaturen vom Zulieferer mit CITES (Washingtoner Artenschutzabkommen) Zertifikat ausgeliefert, das den Käufern der Instrumente ausgehändigt wurde und zusicherte, dass es sich um legal erworbenes Elfenbein handelte«. In der Regel habe es sich dabei um afrikanische Elefanten aus Kenia gehandelt.
Diese Zeiten sind schon lange vorbei: Seit den 1960er Jahren belegt Bechstein die Pianotasten mit Kunststoff, seit den 1980er Jahren auch alle Flügel-Klaviaturen. Die Pianisten hätten sich sehr schnell an die »inzwischen gängigen und sehr guten Kunststoff - und Mineralbeläge gewöhnt«.
Jellinek hat übrigens Glück gehabt: Man könne nicht zu jedem Instrument angeben, aus welchem Land und von welcher Art das Elfenbein stammt, schreibt Albrecht. Es seien »sehr gute und sehr verständliche Gründe«, weshalb Elfenbein von den Herstellern schon lange nicht mehr verwendet wird, so der technische Leiter weiter. Absurd wirke allerdings die Tatsache, »dass auch gut erhaltene Elfenbeinbeläge älterer Instrumente inzwischen oft mit Kunststoff ersetzt werden, da Vielen der Umstand, eine Vermarktungsgenehmigung zu bekommen, zu groß bis aussichtslos erscheint«.
Das schöne alte Instrument steht übrigens mittlerweile ganz legal bei einer Tübinger Familie. Ausgestattet mit einem Zertifikat, das nun für immer Bestand haben soll. Zumindest in Deutschland. In Österreich wird bei jedem neuerlichen Verlauf eine Bescheinigung verlangt, erzählt Jellinek. (GEA)