ROTTENBURG. Der Schwäbische Alb-Tourismusverband informiert auf seiner Webseite darüber, dass »auf der Alb die schwäbisch-alemannische Fasnet weit verbreitet ist – ein echtes Highlight für alle, die Brauchtum und ausgelassene Stimmung schätzen«. Dann ist von »bunten Umzügen« in Rottenburg die Rede.
Dass die Gegend um Rottenburg Teil der Schwäbischen Alb war, ist rund 14 Millionen Jahre her. Seither haben die Neckar-Nebenflüsse eifrig das Gebirge abgetragen. Darf man also längst verflossene Grenzen wieder abstecken? »Sie dürfen nicht verschoben werden. Daran kann und darf es kein Rütteln geben«. Kanzler Olaf Scholz zeigte da neulich wieder mal klare (Alb-)Kante. Aber die Realität der Touristiker sieht natürlich völlig anders aus. Und als ob das nicht närrisch genug wäre, klammern sie in einer Konfetti-Mischung aus Unkenntnis und Desinformiertheit bei ihren Tipps den größten Umzug, die Mutter aller Fasnetsumzüge – den Rottenburger Ommzug – völlig aus. Der Tourist möge doch »kunstvoll maskierte Narren und traditionelle Zünften in Städten wie in Reutlingen« beobachten.
Fasnetshochburg Reutlingen also. Fake News! Zur Wahrheitsfindung sind deshalb am gestrigen Sonntag über 25.000 Zuschauer nach Rottenburg gekommen. Zum Siedepunkt des närrischen Treibens in der Region. Am Nachmittag zogen bei Traumwetter über 3.000 Hästräger durch die Altstadt.
Hier am Neckar verschmilzt die ländliche schwäbisch-alemannische Traditionsfasnet in Häs und Maske, die jungen und wilden Gruppen der neuen Generation mit karnevalistischen Einflüssen rheinischer Prägung á la Tanzmädchen und Gardisten. Den großen Rahmen bildeten, Spalier stehend, Tausende, und von den Umzüglern stets zum Mitmachen animierte Zuschauer in Faschings-Verkleidungen – von der Stange oder aus eigener Produktion.
Auf dem gut zweistündigen Rundkurs gingen 70 Gruppen, meist aus dem Dunstkreis der Bischofsstadt, aber auch Gäste aus den Nachbarkreisen, zweimal über den Neckar. Wenn der Begriff Tradition eine Berechtigung hat, dann beim Rottenburger Ommzug. Schon 1844 gabs einen Maskenzug durch die Stadt. Der entwickelte sich in den Folgejahren zum Besuchermagneten. 1881 wurde bereits ein Sonderzug eingesetzt – weil der Andrang so groß war, mussten Viehwagen angehängt werden.
Dieses Jahr wurde mal wieder besonders ausgelassen gefeiert, nämlich mehrfach. Denn es jährt sich die Vereinsgründung der Narrenzunft Rottenburg zum 100sten Mal – und die Laufgruppe »Bogges« ist 90 Jahre alt geworden.
Die Jubilare hatten bereits vor einem Monat einen großen Auftritt beim Landschaftstreffen der altehrwürdigen Vereinigung Schwäbisch Alemannischer Narrenzünfte (VSAN).
Die Bogges (»lustige Narren«) in ihren vielerlei Gestalten, sind ihrem Brauchtum nach so alt wie die Rottenburger Fasnet selbst. Sie haben nicht weniger Tradition als die Masken der Ahlanden und Hexen und der Figur der Gräfin Mechthild. Eben jene Gräfin, die hier zur Protektorin der Fasnet wurde, hielt einen Hofnarr namens Halberdrein, der vor ein paar hundert Jahren auch bei den Fastnachtsunterhaltungen aufgetreten ist, zur Freude aller Bürger - wie auch heute noch. (GEA)