TÜBINGEN. Angesichts des gähnenden Lochs in der Stadtkasse erscheinen Zukunftspläne wie die Sanierung der historischen Güterhalle in einem anderen Licht. Erst verkündete Oberbürgermeister Boris Palmer den freien Fall der Gewerbesteuer und eine drohende Haushaltssperre (der GEA berichtete). Dann ließ er den Gemeinderat einen Sanierungsplan durchwinken, mit dem er die wackelige Bruchbude im Güterbahnhofsviertel zum attraktiven Treffpunkt machen will. Der Gemeinderat nickte ohne Diskussion und einstimmig ab.
Die Halle steht im Zentrum von 570 brandneuen Wohnungen, Büros und Läden. Das Regierungspräsidium hat sie vor 15 Jahren unter Denkmalschutz gestellt, noch bevor rings umher gebaut wurde - aus »architekturhistorischen und aus heimatgeschichtlichen Gründen«. Das Ensemble ist etwa 110 Jahre alt. Besonderen Schutz verdienen angeblich die originale Bauweise und ein Beobachtungsstand aus der Zeit des Nationalsozialismus, von dem aus während der Kriegszeit vorwiegend russische Zwangsarbeiter, die für Verladearbeiten eingesetzt wurden, überwacht wurden.
Eine Bürgerinitiative namens »Güterhalle für Alle« macht sich für die Aufwertung stark. Ziel ist ein Stadtteiltreff. Gedacht ist an eine »reduzierte Sanierung«, um die Kosten im Zaum zu halten. Die Güterhalle soll als »überdachter Platz« primär für eine Tagesnutzung (zeitliche Beschränkung 9 bis 21 Uhr) zur Verfügung stehen und so den öffentlichen Platz zwischen Güterhalle und Eisenbahnstraße ergänzen, der ebenfalls aufgemöbelt wird. Flohmärkte, kleinere öffentliche Veranstaltungen, Ausstellungen und Alltagsnutzungen seien mit einer kleinen Sanierung light machbar, meint die Verwaltung.
Größere Veranstaltungen wie Konzerte oder Theater wird es aufgrund des Lärmschutzes und der nicht vorhandenen Heizung nur in Ausnahmefällen geben. Nicht mal eine eigene Toilette ist in der Halle vorgesehen. Die To-Do-Liste ist lang. Alleine für die Sicherung der Güterhalle, die bisher als reine Lagerhalle genehmigt ist, bedarf erheblicher Anstrengung. Die Stadt rechnet mit 1,5 Millionen Euro. Dazu kommen die Kosten für die Gestaltung des Quartiersplatzes und der angrenzenden Straßenflächen, die bisher auf 720.000 Euro geschätzt werden.
Meist sind Altbauten unkalkulierbare schwarze Löcher. Schon jetzt steht einiges auf dem Zettel, was auf den Zustand hindeutet: Sicherungsarbeiten am Tragwerk, den Wänden und dem Dach (300.000 Euro) Sicherungsarbeiten am Giebel Ost, einschließlich Unterfangungen (120.000 Euro), Sicherungsarbeiten an der Elektroinstallation und der Technik (25.000 Euro).
Binderachsen müssen statisch verstärkt, die Halle barrierefrei zugänglich gemacht, Fluchtwege und Rauchabzüge hergestellt und die Konstruktion brandschutztechnisch gerüstet werden. Darüber hinaus muss das Dach einschließlich der Oberlichter erneuert, die Rampe auf der Südseite ersetzt und mit Treppen ergänzt werden. Zudem sind die Kellerräume zugänglich zu machen.
Das anteilige Kopfbau-Grundstück soll verkauft und neu bebaut werden. Dort soll ein Stadtteiltreff entstehen. Eine Nachbarschaftsinitiative »Güterhalle für Alle e.V.« soll bündeln, was im Quartier an Kultur und sozialem Miteinander in der Güterhalle stattfindet. Der Verein rechnet auf seiner Homepage mit der Eröffnung »2025/26«. Die Aktualität ist fraglich, der Verein hat seit Monaten keine neuen Events publiziert.
Im Gedankenspiel der Stadt gibt es neben der kleinen Sanierung zwei Extreme, nämlich eine Totalsanierung und einen Abriss. Der Aufwand für eine komplette Sanierung sei nicht konkret bezifferbar, würde aber vorsichtig geschätzt »mindestens 2,5 bis drei Millionen Euro« betragen, was in absehbarer Zeit im Haushalt ohnehin nicht finanzierbar wäre. Ferner würde »der Charme der vorhandenen Bausubstanz« und das im städtebaulichen Konzept ausdrücklich vorgesehene »Erinnerungselement« an die Historie des Quartiers verloren gehen, glaubt die Verwaltung.
Der Abbruch der Güterhalle als anderes Extrem und der Verkauf des Grundstücks zur Neubebauung wiederum hätte aus Rathaussicht ebenfalls Nachteile. Dem finanziellen Gewinn für die Stadt stünde der Verlust des für das Quartier »nicht nur namensgebende Gebäudes« entgegen. Zudem würde der Konzeption des Vereins »Güterhalle für Alle e.V.« die Grundlage entzogen. (GEA)