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Die Verlierer der Polizeireform sind sauer

TÜBINGEN. Die Stimmung bei der Tübinger Polizei könnte im Moment kaum schlechter sein. »Die Kollegen sind geschockt«, sagt Gewerkschafter Rolf Fauser. Als Innenminister Reinhold Gall (SPD) am Dienstag die Pläne für seine Polizeireform vorstellte, tauchte Tübingen nicht ein einziges Mal auf. Die Stadt, die bislang einer der wichtigsten Standorte der Polizei im Land ist, spielt in der neuen Struktur kaum noch eine Rolle. Nun gibt es einen Aufschrei in der Lokalpolitik. Und Tübingen ist längst nicht allein: Auch in Nordwürttemberg, in Oberschwaben oder in Südbaden fühlen sich die örtlichen Politiker als Verlierer und schimpfen über Gall.

Foto: dpa
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Dass die geplante Straffung der Polizei im Südwesten nicht geräuschlos ablaufen würde, war zu erwarten. Gall will die bislang vier Landespolizeidirektionen sowie 37 Polizeipräsidien und -Direktionen zu 12 regionalen Präsidien verschmelzen. Damit will er die Verwaltung entschlacken und mehr Beamte in den Außeneinsatz schicken. Bis zuletzt hatten alle Regionen darauf gehofft, dass nicht gerade ihre Polizeidirektion geschlossen würde. Doch vielerorts hat sich diese Hoffnung zerschlagen.

Für Tübingen zum Beispiel wird das zuständige Polizeipräsidium seinen Sitz künftig in der 20 000 Einwohner größeren Nachbarstadt Reutlingen haben, die Kriminalpolizei bekommt ihre Direktion in Esslingen. Die Universitätsstadt wird eine Art Außenstelle.

Für das eigentliche Ziel der Reform, mehr Beamte auf die Straße zu bringen, haben viele Lokalpolitiker seitdem kaum noch ein Ohr. Sie müssen ihren Wählern jetzt erklären, weshalb ausgerechnet ihre Stadt zu den Verlierern zählt. Im traditionell CDU-treuen Oberschwaben glauben nicht wenige daran, dass die grün-rote Landesregierung der Region einfach einen auswischen wollte. Und auch in Tübingen wird geunkt, dass die Entscheidung für Reutlingen auch damit zu tun habe, dass Finanzminister Nils Schmid (SPD) dort seinen Wahlkreis hat.

Tübingen werde »vom bedeutenden Polizeistandort in die Bedeutungslosigkeit katapultiert«, kritisiert Landrat Joachim Walter (CDU). Aber auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) war sichtlich verärgert über die Parteifreunde in Stuttgart. »Ich möchte verstehen, warum es wirtschaftlich sein soll, das vorhandene Polizeipräsidium in Tübingen zu räumen und nach Reutlingen zu verlagern«, betonte er.

Derzeit sind die Landespolizeidirektion mit 270 Mitarbeitern und die Polizeidirektion mit einigen Dutzend Mitarbeitern in Hochhäusern am Tübinger Stadtrand untergebracht. Was aus den Gebäuden wird, wenn viele Beamte nach Reutlingen ziehen, ist unklar. In Reutlingen hingegen zeichnen sich Raumprobleme ab, wenn die neuen Kollegen dort ihre Büros beziehen wollen. »Die Liegenschaften - so wie sie jetzt sind - sind am Standort Reutlingen zu klein«, sagt eine Sprecherin.

Auch viele Polizisten sind enttäuscht, dass der Standort Tübingen weitgehend aufgegeben wird. Viele Beamte müssten in Zukunft weite Wege zum Arbeitsplatz in Kauf nehmen, sagt Rolf Fauser, Kreisvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). »Sie fürchten, dass die Reform der Polizei auf ihre Kosten geht.«

Gall jedenfalls wird in den nächsten Wochen viel Arbeit haben. Bürgermeister, Landräte, Landtags- und Bundestagsabgeordnete aus den betroffenen Regionen schicken ihm im Moment offene Briefe mit teils heftiger Kritik. Gleichzeitig bekommt der Minister aber auch Unterstützung: Denn zahlreiche Politiker aus den Städten, in denen die großen neuen Polizeidirektionen künftig angesiedelt werden sollen, haben die Reform begrüßt. (dpa)