Dass es schnell gehen muss, hat die Ärztin in Ergenzingen erlebt, als dort Mitte September innerhalb von vier Stunden 500 Flüchtlinge aufgenommen wurden. Was Lisa Federle da gesehen hat, war die Initialzündung für das Arztmobil. Die Flüchtlinge kamen mit Erfrierungen an den Händen. Sie hatten Bronchitis, aber auch Krätze und Läuse, waren traumatisiert von Folter und Flucht. Rund 20 Prozent der Ankommenden seien behandlungsbedürftig gewesen, erinnert sich Lisa Federle. »Wir haben die ganze Nacht bis morgens um 5 Uhr durchgearbeitet.«
Schnell wurden in Ergenzingen tägliche ärztliche Sprechstunden eingeführt. Im Schnitt werden sie täglich von 20 bis 30 Patienten besucht.
»Man muss was riskieren, wenn man was bewegen will«Auch die Flüchtlinge im Landkreis Tübingen, die sich derzeit auf 16 Standorte verteilen, müssen ärztlich versorgt werden. So rückt oft der Rettungsdienst aus, wenn eigentlich eine einfache ärztliche Versorgung ausreichen würde. Zwei bis drei Mal am Tag werde das DRK allein in die Tübinger Kreissporthalle gerufen, berichtet die Kreisvorsitzende des Roten Kreuzes. So steckt hinter der Idee zu einer mobilen Arztpraxis auch der Wunsch, den Rettungsdienst zu entlasten. Lisa Federle bat Til Schweiger um finanzielle Hilfe. Eine einzige SMS reichte, und sie hatte die Zusage der Schweiger-Stiftung. »Da habe ich unverzüglich das Auto bestellt.«
Nun könnte man meinen, die Notärztin hätte schon genug zu tun. Schließlich hat sie neben den Notarzteinsätzen und ihrer Tätigkeit beim Roten Kreuz noch eine eigene Arztpraxis. Derzeit habe sie einen 16-Stunden-Tag, gibt die 54-Jährige lächelnd zu. Aber das ist nichts, was sie aus der Bahn wirft. »Es braucht halt einen, der das organisiert«, sagt sie trocken. Einsatzpläne für das Arztmobil müssen nun gemacht, das Team aus Ärzten und Pflegekräften koordiniert werden. Auf 40 bis 50 Mediziner, Krankenschwestern und Dolmetscher kann Lisa Federle mittlerweile zurückgreifen. Viele pensionierte Ärzte und Medizinprofessoren haben sich für die neue Aufgabe spontan beworben.
Die Einsatzkräfte werden von der kassenärztlichen Vereinigung bezahlt, denn rein ehrenamtlich lasse sich der Dienst auf Dauer nicht aufrechterhalten, sagt Federle. Auch an die Zeit nach der großen Flüchtlingswelle hat sie schon gedacht. Das Arztmobil könne dann vielleicht in Gegenden gute Dienste leisten, wo es an Landärzten fehlt, oder auch für Obdachlose eingesetzt werden.
Das Fahrzeug ist mit allem ausgestattet, was eine gute Arztpraxis benötigt. Es verfügt über eine Liege, EKG und Ultraschall, ausreichend Medikamente und eine Babywaage. Der Tübinger Regierungspräsident Jörg Schmidt hatte den Kontakt zu Hymer hergestellt. Die Firma baute unverzüglich eines ihrer Fahrzeuge zur Praxis um. Zum Selbstkostenpreis. Und für die Medikamente hat Lisa Federle den Klinikumschef Michael Bamberg gewonnen. Der hatte schon in der Nacht in Ergenzingen die Unterstützung der Klinikums-Apotheke zugesagt.
»Es braucht halt einen, der das organisiert«Schnell und unbürokratisch hat es also geklappt. So wie es dem Wesen von Lisa Federle entspricht. Dass sich vieles erreichen lässt, wenn man sich nur genug dafür einsetzt, kennt sie aus ihrem Leben zu Genüge. Ihr Abitur hat sie auf dem Abendgymnasium gemacht, anschließend studierte sie Medizin und zog neben Schule und Studium ihre vier Kinder groß.
Ärztin wollte sie eigentlich schon immer werden, sagt sie und greift zum Handy, das zum wiederholten Mal während des GEA-Gespräches klingelt. Dieses Mal ist es das Rote Kreuz. Ein Unfall bei Rottenburg. Natürlich fährt sie zum Unfallort, sollte sie dort zusätzlich benötigt werden. Das DRK Tübingen hat für das Arztmobil ein gesondertes Spendenkonto eingerichtet. (GEA)
Kreissparkasse Tübingen
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