TÜBINGEN. Es waren für die 40 Gemeinderatsmitglieder und die Stadtverwaltung anstrengende Verhandlungs-Nächte. Eine 234 Punkte umfassende Konsolidierungsliste musste aufmerksam und gewissenhaft durchgearbeitet werden, um das millionenschwere Loch im Tübinger Haushalt zu flicken. Nicht selten kochten die Emotionen hoch und sogar mit Mundraub am Gemeinderats-Buffet mussten sich die Unterhändler herumschlagen. Gegen die knurrenden Mägen halfen die Kröten nicht, die durch alle Fraktionen weg geschluckt werden mussten. Und am Ende war's noch richtig knapp.
Am Donnerstagabend wurde der Tübinger Haushalt mit 21 zu 19 Stimmen beschlossen. Alternative Liste/Grüne (AL), SPD und Klimaliste stimmten geschlossen für die Satzung, Tübinger Liste, CDU, FDP, die Fraktion und die Linke vereint dagegen. Der Grundtenor der Konservativen und Liberalen: Die Kürzungen reichen nicht aus. Die Linke hätte hingegen am liebsten kaum etwas gekürzt. Jetzt konnten rund 12,4 Millionen Euro durch Streichungen in nahezu allen Bereichen der Freiwilligkeitsleistungen eingespart werden - und trotzdem stehen noch immer 25 Millionen Euro hinter dem dicken Minus. Die könnten theoretisch durch die Rücklagen der Stadt - immerhin 50 Millionen Euro - aufgefangen werden. Aber für die mittelfristige Finanzplanung ist das Defizit jetzt noch zu groß, um das Regierungspräsidium, das den Haushalt genehmigen muss, zu überzeugen.
Zehn Millionen Euro fehlen
Grundsätzlich ist ein Haushalt dann genehmigungsfähig, wenn er über den Finanzplanungszeitraum - also bis einschließlich 2027 - ausgeglichen ist. Sollte es die Unistadt also schaffen, das Ergebnis in diesem und den kommenden zwei Jahren jeweils auf ein Defizit von 15 Millionen Euro zu bringen, müsse der Haushalt - so die Idee - dank der üppigen Rücklage von 50 Millionen Euro durchgehen. »Wenn wir in diesem Jahr keine weiteren Verbesserungen erzielen, bleibt ein Bedarf von zehn Millionen Euro übrig«, sagte Oberbürgermeister Boris Palmer vor dem Gremium. Sonst sei die Ergebnisrücklage schon ab 2027 aufgebraucht und der Haushalt damit wohl nicht genehmigungsfähig. »Wir müssen also jetzt die zehn Millionen reinholen.«
Der Vorschlag: Der Gemeinderat verpflichtet sich, die Lücke mit Beschlüssen, die auch teilweise erst 2026 zu tragen kommen würden, im kommenden Halbjahr zu schließen. Dafür seien aber insbesondere Erhöhungen der Realsteuern - also vornehmlich Grund- und Gewerbesteuer - und die Übergabe der Müllabfuhr an den Landkreis nicht auszuschließen. Das komme keiner Verpflichtung gleich, signalisiere aber nach einer Zustimmung den Willen des Rates, im Notfall zu diesen Mitteln zu greifen. Der Antrag wurde mit 20 Stimmen angenommen, bei 17 Gegenstimmen und drei Enthaltungen - in ähnlichen Abstimmungsverhältnissen wie beim Haushaltsbeschluss.
Bekenntnis zu Steuererhöhungen
»Ich vertrete die Auffassung, dass wir zu Steuererhöhungen bereit sein müssen«, sagte Palmer klar. »Die Last muss in einer solchen Situation auf alle verteilt werden.« Die Leistungen, die man wegstreiche, kommen vor allem den ohnehin schon Hilfebedürftigen zugute. »Nur zu kürzen trifft die Ärmsten, und die, denen es gut geht, leisten keinen Beitrag.« Mit diesem Mischkonzept aus Kürzungen und Steuererhöhungen verspreche sich Palmer eine guter Verhandlungsposition mit dem Regierungspräsidium.
Zur finanziellen Schieflage der Unistadt betonte der Oberbürgermeister: »Was wir machen, ist die Suppe anderer auszulöffeln.« Bund und Länder bürden den Kommunen immer mehr Aufgaben auf, ohne diese ausreichend zu finanzieren. Vorab hatte FDP-Gemeinderätin Anne Kreim den OB in einer interfraktionellen Stellungnahme angegriffen. Darin warfen Vertreter der Tübinger Liste, der CDU und der FDP Palmer eine Verletzung seiner Pflichten vor. »Der Oberbürgermeister trägt die Verantwortung und muss frühzeitig Maßnahmen ergreifen, wenn eine Überschuldung droht«, sagte Keim. Weshalb nicht früher ein schärferer Kurs eingeschlagen worden sei? »Weil wir mit 70 Millionen Euro die höchste Rücklage aller Zeiten hatten«, antwortete Palmer.
Was sich in Tübingen ändert und was bleibt
Der Zuschuss zum Deutschlandticket, den die Stadt bereitstellt, wird 2026 um vier Euro gekürzt. In der Stabstelle Umwelt- und Klimaschutz wird lediglich eine halbe Stelle anstatt 2,4 Stellen gestrichen, in der Schulsozialarbeit bleiben acht von elf Stellen erhalten. Zudem werden die Gebühren für die Kinderbetreuung und Verpflegung - je nach Sozialstaffelung - zwischen 14 und 31 Prozent erhöht. Die Schuldbudgets werden nicht um zehn Prozent, sondern um 15 Prozent gekürzt - allerdings nur für 2 Jahre, und nicht, wie ursprünglich geplant - dauerhaft. Die mobile Jugendarbeit bleibt erhalten, allerdings leicht abgespeckt mit 1,5 Stellen. Die städtischen Mittel des Zimmertheaters werden um 289.000 Euro auf insgesamt 800.000 Euro vermindert. Der ticketfreie Samstag für die Tübinger Busse hingegen bleibt. Dieser wird durch die Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung gegenfinanziert. (pru)
Man habe nun fast ein Jahr an dem Konzept gearbeitet und wollte das auch in Anbetracht der Gemeinderatswahl im vergangenen Sommer dem scheidenden Rat nicht einfach hinknallen. Außerdem sei eine unterstellte Pflichtverletzung ein »außerordentlich schwerer, juristischer Vorwurf«, sagte der Oberbürgermeister, den er vehement von sich weise. Er könne zudem jeden einzelnen widerlegen. Thomas Unger von der Tübinger Liste entschuldigte sich im weiteren Verlauf der Sitzung beim OB. »Der Vorwurf der Pflichtverletzung ist rechtlich nicht haltbar und ist aus der Emotion heraus entstanden.« Für Boris Palmer war die Sache damit vom Tisch. (GEA)