Catalina Voigt (Name von Redaktion geändert) hat letztes Jahr das erste Mal von dieser Art von Gottesdienst gehört. Vor 60 Jahren, als sie noch ein Kind war, beendete ihr Vater sein und das Leben ihrer Mutter. Aufgrund von Depressionen griff das Familienoberhaupt zum Gewehr. Catalinas Mutter bemerkte sein Vorhaben und wollte die Verzweiflungstat verhindern. Im Kampf um die Waffe löste sich ein Schuss und tötete die Ehefrau. Ein Unfall, der so nicht im Plan des Vaters vorgesehen war. Der zweite Schuss galt schließlich ihm selbst.
Häufigste Todesursache
In Deutschland begehen rund 10 000 Menschen pro Jahr Suizid. 60 Prozent davon hatten Depressionen, meist sind es Männer. Insgesamt sterben mehr Menschen durch die eigene Entscheidung, ihr Leben zu beenden, als durch Verkehrsunfälle, Mord, Totschlag, illegale Drogen oder Aids. Hinter diesen ganzen Fakten: Schicksale, die meist verborgen bleiben. Ein Suizid zerstört nicht nur das Leben der Selbstmörder, sondern genauso das Leben der Angehörigen.Auch wenn Catalina damals noch sehr jung war, kann sie sich noch genau daran erinnern, was sie empfand, als sie von der Tat ihres Vaters erfuhr. Im ersten Moment hat ihr Bewusstsein abgeschaltet. Gefühlskalt, als wäre es ihr nicht selbst passiert. Als würde es sich nicht um ihre eigenen Eltern handeln, sondern um Fremde. »Es war, als würde mich eine Glasglocke umgeben, die nichts an mich heranlässt«, erzählt sie.
Ihre Familie trichterte ihr Verschwiegenheit ein, da die Tat des Vaters nach deren christlichem Glauben nicht dem Willen Gottes entsprochen hat. Es sei eine der größten Sünden und darüber würde man nicht sprechen. Catalina bastelte sich ihre eigenen Fantasiegeschichten, um mit ihrer Trauer umzugehen und das Bild ihres Vaters nicht zu trüben. »Ich redete mir ein, es hätte eine dritte beteiligte Person gegeben, die meine Eltern tötete.«
Jahrzehnte fühlte sie sich mit ihren Gefühlen und Gedanken allein gelassen. Auch wenn sie weiß, dass sie als Kind das Handeln ihres Vaters nicht hätte verhindern können, hat sie oft die Schuld bei sich selbst gesucht. Ob sie ihrem Vater nicht genügt hätte und ob sie es nicht wert war, dass ihr Vater für sie und ihre Geschwister weiter leben wollte.
Verbundene gefunden
Als sie letztes Jahr von den Gottesdiensten für Hinterbliebene erfuhr, hat sie das erste Mal richtig wahrgenommen, dass es noch andere Menschen, bis auf die in ihrer Familie, mit dem gleichen Schicksal gibt. Durch den Gottesdienst hat sie Verbundene gefunden. Das Gefühl, von der Gesellschaft abgetrennt zu sein, wich. Dort ist ihrer Trauer Raum geboten. Sie muss sich nicht erklären, andere wissen aus eigenen Erfahrungen, wie sie sich fühlt.Auch heute noch klingt das Gefühl von Verrat, wenn sie über den Suizid ihres Vaters spricht, nach. Doch sie weiß, wenn sie die Geschehnisse der Vergangenheit akzeptiert und die Wahrheit annimmt, kann ihre Seele ein Stück weit heilen. (GEA)