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Aktuell INTERVIEW

Cherno Jobatey: vom ZDF-Fernsehstudio zur Uni Tübingen

Der Journalist und Moderator Cherno Jobatey ist derzeit Dozent am Rhetorik-Seminar der Uni Tübingen.

Cherno Jobatey unterrichtet am Rhetorikseminar der Uni Tübingen. FOTO: PRIVAT
Cherno Jobatey unterrichtet am Rhetorikseminar der Uni Tübingen. Foto: Privat
Cherno Jobatey unterrichtet am Rhetorikseminar der Uni Tübingen.
Foto: Privat

TÜBINGEN. Cherno Jobatey ist ein Mensch mit ganz vielen Facetten. Inzwischen arbeitet der frühere TV-Moderator vom »Morgenmagazin« und von »Verstehen Sie Spaß?« auch am Seminar für allgemeine Rhetorik an der Uni Tübingen und gibt dort sein vielfältiges Wissen aus der Medienbranche an die Studierenden weiter. Achim Tennigkeit hat mit dem gebürtigen Berliner gesprochen.

GEA: Wie kam es zu Ihrer Lehrtätigkeit am Rhetorikseminar in Tübingen?

Cherno Jobatey: Bei einer Wissenschaftskonferenz kam ich vor einigen Jahren mit meinem Sitznachbarn ins Gespräch über einen Wissenschaftler, der einfach nicht auf den Punkt gekommen ist. Der erzählte tolle Dinge, war aber zerfasert und langweilig. Als ich meinte, an unseren Unis werde freie Rede und Performance so gut wie gar nicht gelehrt, und wenn, dann eher in vordigitalen Zusammenhängen, sagte mein Nachbar lächelnd: »Lust auf Tübingen?« Es war Olaf Kramer, Lehrstuhlinhaber am Rhetorikseminar. So entstand das Seminar »Neue Ökonomie der Aufmerksamkeit«. 

Was können die Studierenden von Ihnen lernen?

Jobatey: Es geht um die kulturellen Auswirkungen der Digitalisierung. Es gibt heutzutage ein unendliches Angebot, und dazu kann man auch noch alles messen, das verändert vieles. Wir Bildungsbürger tun aber viel zu oft so, als seien das vernachlässigbare Größen. Und das, obwohl man heute sogar messen kann, ab wann keiner mehr zuhört. In Prägnanz und Kürze liege dabei die Würze. »Vieles kurz sagen, damit es noch kürzer gehört wird« – Das sagte nicht der Twitter-Erfinder Jack Dorsey, sondern Friedrich Nietzsche, und zwar schon 1882. Überspitzt gesagt: Von Aristoteles lernen, heißt: Siegen lernen in digitalen Zeiten. Was bei ihm Logos war, ist heute schlicht Storytelling. 

Was mögen Sie an Tübingen?

Jobatey: Ich mag die Stimmung, diese Mischung aus Tradition und Moderne. Ich freue mich einfach über die schwäbische Freundlichkeit, etwa wenn man mal nach dem Weg fragt. Natürlich verstehe ich das als Berliner schlecht, aber meine Gegenüber erklären es dann mehrmals und immer langsamer. Einer hat es sogar mal auf Englisch versucht, weil ich aus seinem heftigen Schwäbisch nichts heraushören konnte. Wir mussten dann beide laut lachen. 

Haben Sie schon so etwas wie einen Lieblingsplatz in Tübingen?

Jobatey: Wer einmal im Hochsommer sich auf einem Stocherkahn versucht hat, verliebt sich sofort in diesen Fluss. Und ich bin nicht reingefallen beim Stochern, darauf bin ich stolz. 

Und wie läuft es an der Uni?

Jobatey: Wir haben immer viel Spaß, obwohl es manchem nicht leicht fällt, außerhalb der Komfortzone vor einer Kamera zu agieren.

Gewöhnungsbedürftig ist für einige meine preußische Kultur: Wer dem Seminar nicht folgt, sich nicht einbringt oder zu spät kommt, muss Liegestütze machen. Eine pro Minute. Die Studenten sind allerdings viel fitter als zu meiner Zeit. 

Was reizt Sie an dieser Aufgabe?

Jobatey: Als DAAD-Austauschstudent in Los Angeles war ich schwer beeindruckt, wie dort Profis und Promis ganz selbstverständlich an Unis vorbeizuschauen und erklären, wie man hart am Wind der Praxis segelt. Bei uns gibt es so was immer noch viel zu selten. Zu meiner Studienzeit habe ich das nur einmal erlebt: ein Seminar meines damaligen TV-Helden Hajo Friedrichs an der FU-Berlin. Wenn ich ein wenig zu mehr Praxisnähe beitragen kann, freut mich das. 

Können Sie als alter Hase im Mediengeschäft auch etwas von den heutigen Studierenden mitnehmen oder lernen?

Jobatey: Die heutigen Studis sind sehr okay, arbeiten hart und machen sich viele Gedanken jenseits von Klima und Gendern. Wir über 30 sollten viel mehr und vor allem differenzierter zuhören. (GEA)

ZUR PERSON

Cherno Jobatey ist ein deutscher Journalist und Fernsehmoderator und derzeit Dozent am Rhetorikseminar der Uni Tübingen. Der Sohn eines Briten mit gambischem Hintergrund und einer Berlinerin wurde 1965 in West-Berlin geboren und wuchs in einer fünfköpfigen Familie auf. Er studierte Politikwissenschaft Berlin und ein Jahr mit einem DAAD-Stipendium in Los Angeles. Er arbeitete als freier Mitarbeiter beim Sender RIAS und wurde über den Sender Freies Berlin in den 1990er-Jahren Moderator diverser ARD-Sendungen, unter anderem 1998 bis 2002 Verstehen Sie Spaß? Im März 2022 schlüpfte Jobatey in die Rolle der Möwe in »The Masked Singer«. Aktuell produziert er für das ZDF Politiker-Portraits etwa über Robert Habeck oder Markus Söder. (GEA)