Vor vier Jahren hieß es noch stolz: Vier Abgeordnete wollen ihr Mandat verteidigen. Diesmal war das Ziel im Wahlkreis Tübingen-Hechingen deutlich bescheidener: Vier Neulinge hofften, irgendwie ein Ticket nach Berlin zu lösen. Und ein gerade erst Nachgerückter bangte und wollte nicht schon wieder nach Hause geschickt werden. Auch wenn die Bundeswahlleiterin um Mitternacht noch nicht genau sagen konnte, ob CDU-Kandidat Christoph Naser tatsächlich einen Sitz im Bundestag erhält: Der Wahlkreis hat stark an Bedeutung verloren.
In der Vergangenheit hatten Tübinger Kandidatinnen und Kandidaten meist einen aussichtsreichen Platz auf ihrer jeweiligen Landesliste. Beim vorigen Mal waren sie jeweils in den Top Ten. Diesmal fand sich Florian Zarnetta (SPD) auf Nummer 26 wieder, Asli Kücük (Grüne) auf 27. Christoph Naser (CDU) hatte gleich ganz auf die Absicherung verzichtet, obwohl das vor fast drei Jahrzehnten bei Claus-Peter Grotz schon mal schiefgegangen war. Eine riskante Strategie. Ralf Jaster (Linke) hatte immerhin Platz acht vorzuweisen.
Es ist noch gar nicht so lange her, da war Tübingen sogar mit fünf Abgeordneten in Berlin vertreten. Zu Annette Widmann-Mauz (CDU), Martin Rosemann (SPD), Chris Kühn (Grüne) und Heike Hänsel (Linke) stieß im Mai 2021 als Nachrücker Christopher Gohl (FDP). Der Wahlkreis hatte Gewicht.
Die heutige Schwäche mutet noch merkwürdiger an, wenn man daran erinnert, dass Tübingen über Jahre hinweg reichlich Polit-Prominenz aufbieten konnte. Annette Widmann-Mauz (CDU) war Staatsministerin, Herta Däubler-Gmelin von der SPD Bundesjustizministerin, Winfried Hermann (Grüne) wechselte als Verkehrsminister ins Landeskabinett, Chris Kühn (Grüne) war vor seinem Abschied Staatssekretär. Grünen-Anhänger würden vermutlich auch Walter Schwenninger dazuzählen. Dazu kommen diejenigen, die von Tübingen aus ihre Polit-Karriere gestartet haben, auch wenn sie dann in anderen Wahlkreisen kandidierten, wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir.
Es wird lange dauern, bis sich die Nachfolger in ihren Parteien eine bessere Position erarbeitet haben. Am besten, sie fangen gleich damit an. (GEA)