STUTTGART/TÜBINGEN. Im Auto schön frühstücken. Oder ein gutes Buch lesen. Oder die Tageszeitung. Diese Träume, die sich mit dem Autonomen Fahren verbinden, gab es schon früher. Jetzt, wo dank Künstlicher Intelligenz dieser Traum in Reichweite gerückt ist, werden diese Träume auch immer öfter artikuliert, zusammen mit den Hinweisen, was Autonomes Fahren noch alles für segensreiche Auswirkungen haben kann.
Die Zahl der Verkehrstoten, 3 300 pro Jahr in Deutschland und 1,3 Millionen weltweit, könnte sich reduzieren. Schließlich gehören zu hohe Geschwindigkeit, Drogeneinfluss und Ablenkung zu den Hauptursachen schwerer Unfälle, erklärte Professor Andreas Geiger, der an der Uni Tübingen und im Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme über Autonomes Fahren forscht. Zusammen mit drei anderen Referenten erläuterte er den Stand der Dinge am Montagabend in Stuttgart in der Veranstaltungsreihe »Das Gehirn der Zukunft«, bei der es diesmal um KI, also Künstliche Intelligenz, und Autonomes Fahren ging.
»Einen Porsche wird man immer selber fahren wollen«
Geiger zählte dabei weitere Vorteile des Autonomen Fahrens auf, etwa eine Erhöhung der Lebensqualität durch mehr Freizeit oder Arbeit im Auto, mehr Mobilität für Ältere oder Menschen mit Behinderung. Und er erwähnte als Vorteil eine Reduktion der Fahrzeugzahl, was aber nicht weiter ausgeführt wurde. In der abschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde denn auch die Fixierung auf den Individualverkehr kritisiert, weil die Konzepte für das Autonome Fahren in diesem Punkt von einem »Weiter so« ausgehen.
Der promovierte Porsche-Ingenieur Sebastian Söhner trat prompt als Vertreter der »Freude am Fahren«-Fraktion auf und skizzierte die Grenzen des Autonomen Fahrens. Wegen der Fahrdynamik und des Fahrvergnügens »wird man einen Porsche immer selber fahren wollen«, meinte er. Trotzdem forscht man bei Porsche auch über das Autonome Fahren, das es etwa geben könnte, wenn ein Sportwagen der Firma sich selbst im Parkhaus abstellt und sich gleich noch, wenn es ein E-Mobil ist, eine Ladestation sucht. Alles gesteuert durch eine App. Oder das Auto fährt autonom im Stau und ermöglicht dem Fahrer dadurch, so Söhner, einen »qualitativen Gewinn«. Was Moderator Marco Dettweiler von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ironisch als »interessanten Ansatz« bezeichnete, »dass man in den Stau fährt, um mehr Zeit für sich zu haben«.
Überhaupt zeigte sich, dass bei denen, die sich mit dem Autonomen Fahren näher beschäftigen, durchaus auch Skepsis über die Möglichkeiten vorhanden ist. Professor Oliver Bendel von der Hochschule für Wirtschaft FHNW Basel sprach gar von einer »Blase«, die sich hier aufgebaut habe und auch platzen könne. Was erreicht werden kann, werde wahrscheinlich ganz anders aussehen als das, was einem jetzt zu diesem Thema einfällt. Bendel, der seine Ansichten mit viel Witz auf den Punkt brachte, hält Autonomes Fahren dann für sinnvoll, wenn es nur von Punkt A zu Punkt B geht. Die Realität sei normalerweise eine andere. »Da fährt man an der Reinigung vorbei und erinnert sich, dass man dort noch einen Anzug abholen muss«, so das Beispiel Bendels. Das aber würde wieder eine völlig neue Berechnung erfordern.
»Der natürliche Lebensraum des Autonomen Fahrens ist die Autobahn«
In der Stadt sollte seiner Meinung nach weiter der Fahrer sein Auto steuern, auch wegen der vielen Variablen wie Fußgänger oder Radfahrer. »Der natürliche Lebensraum des Autonomen Fahrens ist die Autobahn«, so Bendel. Bei einem Porsche Carrera wäre das wohl nicht möglich, »aber vielleicht bei einem Cayenne«.
Bendel sprach sich im Übrigen auch gegen eine Quantifizierung oder eine Qualifizierung in den Fällen aus, in denen in einer Verkehrssituation das Auto entscheiden müsste, für welche von zwei schlechten Lösungen es sich entscheidet. Das klassische Beispiel: soll es die Kinder oder die Mutter umfahren. Bei Umfragen hat sich hier zwar eine Mehrheit dafür ausgesprochen, die Kinder zu verschonen, also die älteren Menschen zu opfern. Bei einer Wildschweinfamilie, so Bendel, müsste sich eine intelligente Maschine aber gegen die Ferkel entscheiden, die ohne die Mutter nicht lebensfähig wären, bemühte Bendel eine Analogie. Außerdem: »Wer weiß schon, was aus den Kindern wird.« In Japan etwa wäre daher die Prioritätensetzung eine ganz andere.
Doch noch ist die Wissenschaft längst nicht so weit, dass Autonomes Fahren schon auf der Überholspur ist. Andreas Geiger sieht noch einige Probleme, etwa bei der Identifikation von Verkehrssituationen. Da braucht es noch Verbesserungen der Wahrnehmung durch Sensoren und der Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden.
Schließlich ist ein Wert zu schlagen, den der Mensch vorgegeben hat. Statistisch gesehen gibt es einen Todesfall nach 100 Millionen gefahrenen Kilometern, rechnete Geiger vor. Von autonom fahrenden Autos würde man eine Verbesserung um den Faktor zehn, wenn nicht hundert erwarten, sagte Geiger. Davon ist man aber noch weit entfernt. Auf die Frage, wann er selbst sich einem autonomen Fahrzeug anvertrauen würde, hatte Geiger daher eine ernüchternde Antwort: »Aktuell wäre ich dazu nicht bereit. Wir sind wahrscheinlich die Letzten, die einsteigen werden.« (GEA)
»DAS GEHIRN DER ZUKUNFT«
In der Reihe »Das Gehirn von Morgen« mit vier Veranstaltungen geht es das nächste Mal um »KI & Autonomes Fahren« am Mittwoch, 13. Mai, um 18 Uhr im Audimax der Uni Tübingen um »KI & Medizin«. Organisiert wird die Reihe vom Max-Planck-Institut, den Unis Stuttgart und Tübingen, dem Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, der Hertie-Stiftung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die jeweilige Veranstaltung ist als Video abrufbar. (GEA)