MÖSSINGEN. »Das sieht ja hier aus wie bei Schneewittchen!«. Der erste Eindruck von Schülern aus dem fernen Taiwan, die an schmucken Mössinger Vorgärten und Einfamilienhäusern vorbeikommen, wirft Fragen auf. Wirkt die Große Kreisstadt nur für asiatische Besucher aus Taipeh – wo das mit 828 Metern höchste Bürogebäude der Welt steht – so märchenhaft-zwergig? Und – gibt es in der Steinlachstadt bislang ungenutzte touristische Anziehungspunkte? Oder schaut man in der Republik China einfach zu viele Disney-Filme?
Auf jeden Fall gibt es hier viel zu entdecken, staunen – und lernen. Eine zwanzigköpfige Gruppe der Zhonghe Senior High School (rund 2.000 Schüler auf einem 5,5 Hektar großen Campus) ist eine Woche lang zum Schüleraustausch am Quenstedt-Gymnasium. Bereits im Oktober waren 15 deutsche Elf- und Zwölftklässler mit Lehrerinnen in die Millionenhauptstadt des demokratischsten Landes am Westpazifik gereist (der GEA berichtete).
Chinesisch-AG erfolgreich
Nun also, noch bis Sonntag, der von langer Hand vorbereitete einwöchige Gegenbesuch in den Mössinger Gastfamilien, eingebettet in eine Deutschland-Schnelldurchlauf-Reise, die mit dem Besuch vom Neuschwanstein endet. Der Austausch dient nicht nur der Völkerverständigung, sondern auch der Sprachschulung - vornehmlich aber in Englisch. Ihre für Schwaben schwer auszusprechenden Namen haben die taiwanischen Schüler vorsorglich in englische »Künstlernamen« umbenannt.
Am Quenstedt gibt’s aber auch eine Chinesisch-AG, in der Iris Banholzer ihre Oberstufen-Schüler fit für Mandarin macht. Ziemlich erfolgreich, jüngst absolvierten drei Mössinger ihre HSK-Sprachprüfung am Konfuzius-Institut in Heidelberg. »Das ist schon eine Leistung, neben dem ganzen Abi-Stress«, sagt Schulleiter Raphael Tausch anerkennend. Banholzer eignet sich in ihrer Freizeit die Fremdsprache an und freut sich, dass sich »für das nächste Schuljahr schon wieder zehn Schüler angemeldet haben«.
Mit ihrer Kollegin Hanna Höhne, die Mandarin studiert hat und ein Jahr im Reich der Mitte lebte, gibt es eine ideale Mitstreiterin. »Eine dauerhafte Schulpartnerschaft wäre unser Wunsch«, so Höhne. »Wir sind ja jetzt erst in der Erprobungsphase, wollen optimieren und hoffen, dass wir den Austausch künftig im Zwei-Jahres-Rhythmus fortsetzen können.« Insofern gleicht der Status zwischen beiden Schulen dem der deutsch-taiwanischen Beziehungen: es gibt bislang keine diplomatische Anerkennung des Landes.
Weltreise mit Hindernissen
Reisen dorthin sind sehr aufwändig zu schultern. Hohe Reisekosten, 17 Flugstunden und ein subtropisches Klima bilden gewisse Hürden. Beim Besuch im Herbst gerieten die Mössinger zudem in die Ausläufer eines Super-Taifuns. »Der Austausch steht und fällt mit meinen zwei engagierten jungen Kolleginnen«, so der Rektor. Möglicherweise aber auch mit der politischen Weltlage. »Wir hatten im Oktober mit Sorge die Nachrichten über chinesische Militärmanöver in der Straße von Taiwan geschaut«.
Umso entspannter dürften die Nachrichten aus dem Steinlachtal sein, wo man Freundschaften und Erfahrungen durch viele Aktionen in kleinen Gruppen und täglichen Unterrichtsbesuch vertiefte. Wenn sie denn im West-Pazifik-Staat ankommen. Der Versuch – ganz oldschool – handgeschriebene Briefe sowohl an die Lieben daheim als auch an die Gasteltern zu versenden, erwies sich als schwierig. »Viele Schüler wissen nicht, wie man einen Briefumschlag richtig adressiert«, so Höhne. Sie ist sich jedoch sicher, dass die Deutsche Post die in Schriftzeichen verfassten Adressen zuordnen kann. »Es muss halt Republik China draufstehen«. Die taiwanische Post wiederum hätte ihre Probleme mit lateinischer Schrift.
Schwarzwälder Kirsch zum Abschied
Schwierigkeiten hatten die unerfahrenen jungen Asiaten auch beim (deutschen) Kochen. »Taiwan ist ein Foodie-Paradies, wo Essensstände allgegenwärtig sind und man nicht selbst in der Küche steht«, so Höhne. Die Mössinger organsierten ihnen die Zutaten für das Nationalgericht »Lentils with Spaetzle«. In der Küche der benachbarten Steinlachschule wurde das Karotten-Schneiden zur Herausforderung. Auch die Stocherkahn-Fahrt auf dem Neckar. »Ein Großteil der Schüler kann nicht schwimmen – und darf aus versicherungsrechtlichen Gründen nicht aufs Wasser«, so Höhne über die Insulaner. Immerhin »konnten wir in Tübingen einen chinesisch-sprachige Stadtführung buchen«. Weniger umfangreich wird der Einkauf beim Talheimer Biobauernhof im Gegensatz zum Shopping in Stuttgart ausfallen. Kultur steht auch auf dem straffen Programm: die größte Kuckucksuhr wird den Asiaten vermutlich den Atem rauben, weniger der 160 Meter hohe Triberger Wasser, halb so hoch wie der heimische Yushan. Es gibt auch eine Orgel-Führung durch die evangelischen Kirchen. Zum Abschluss erleben die Asiaten die deutsche Antwort auf taiwanischen Schweineblutkuchen: es gibt selbst gebackene Schwarzwälder Kirschtorte auf dem Schulhof. (GEA)

