TÜBINGEN. Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern Mitte des 15. Jahrhunderts leitete den ersten Medienboom der Geschichte ein. Erstmalig konnten Texte in einem mechanischen Prozess hergestellt werden. Das war etwas völlig Neues. Das Museum der Universität auf Schloss Hohentübingen hat diesem neuartigen Medium jetzt eine Ausstellung gewidmet, die faszinierende Einblicke in die Zeit des Übergangs zwischen Handschrift und Druck gewährt. Zum ersten Mal überhaupt werden »Drucksachen« aus dem ungewöhnlich großen und vielfältigen Bestand der Tübinger Universitätsbibliothek öffentlich gezeigt.
Großformatige Bibeln und Bücher für die religiöse Erbauung und Unterweisung stehen neben Werken zur Stern- und Pflanzenkunde und neben Geschichtsbüchern und Rechtstexten. Speziell für die Verbreitung des kodifizierten Rechts hatte der Buchdruck eine wichtige Funktion. Zu sehen sind außerdem als Einblattdrucke aufgelegte Gebete, Ablassbriefe und Flugblätter. Die Ausstellung ist in fünf Schwerpunkte aufgeteilt, die von »Glaube und Wissen« bis »Mensch und Kosmos« reichen und das Wissen und die Interessen jener Zeit abbilden.
Geburt eines neunen Mediums
»Durch die beweglichen Lettern wurden verschiedene Themen für ein breiteres Publikum erschwinglich und zugänglich. Bücher wurden in einer bis dahin unbekannten Weise verbreitet«, erklärte Kunsthistorikerin Prof. Andrea Worm bei der offiziellen Eröffnung der Ausstellung, die von ihr mit Professorin Sandra Linden vom Deutschen Seminar und Kristina Stöbener von der Universitätsbibliothek unter Beteiligung von Studierenden der Universität Tübingen geplant und entwickelt wurde.
»Die Ausstellung bietet Einblicke, wie einzelne Wissensbereiche im Mittelalter vermittelt wurden«, so Worm. »Um diese anschaulich zu gestalten, kombinierten die Drucker die Texte mit Bildern, deren Potenzial sie schon bald erkannt hatten.« Die Bilder wurden als Holzschnitte eingefügt und oft nachträglich koloriert, wodurch die Bücher einen ganz erheblichen Schauwert besaßen und noch heute besitzen.
Dieser kommt in der Ausstellung auf beeindruckende Weise zur Geltung. Die gezeigten Bücher sind reich bebildert. »Sie erinnern auf anschauliche Weise an die Lebenswirklichkeit und Vorstellungswelten des 15. Jahrhunderts«, so Linden. Bei allem kam auch den Druckern eine wichtige Rolle zu. »Sie entwickelten große Fertigkeiten bei der Kombination von Text und Bild und man kann sie auch als Gestalter verstehen, indem sie den Büchern eine visuelle Struktur gaben, manches hinzufügten oder auch wegließen.«
In der Ausstellung sind ausschließlich bebilderte Drucke zu sehen. Diese frühen Drucke, die bis 1500 hergestellt wurden, werden als »Inkunabeln« bezeichnet, von lateinisch »incunabula«. Die Übersetzung lautet »Wiege« und deutet auf die Geburt eines neuen Mediums hin, dessen Möglichkeiten noch ganz am Anfang waren. Auch wenn aus heutiger Sicht der Siegeszug des Buchdrucks unaufhaltsam war, existierten Handschriften und Druck noch lange nebeneinander. Oft wurden die Drucke an den Rändern mit handschriftlichen Vermerken ergänzt und erweitert. Auch die Setzer gelangten manches Mal an ihre Grenzen und mussten Texte von Hand ergänzen, wenn ihnen die Buchstaben oder Sonderzeichen im Setzkasten fehlten.
Lichtempfindliche Exponate
Von den gedruckten Büchern wurden häufig noch Druckabschriften angefertigt. »Das konnte ästhetische Gründe haben oder auch religiöse«, so Falk Eisermann von der Berliner Staatsbibliothek in seinem Festvortrag bei der Ausstellungseröffnung. »Mönche und Nonnen sahen es als fromme Leistung an, wenn sie Drucke handschriftlich umsetzten.« Weil die Exponate lichtempfindlich sind, werden sie während der Ausstellung mehrfach ausgewechselt, in den Büchern wird geblättert und es werden andere Seiten gezeigt. »Ein mehrfacher Besuch der Ausstellung lohnt sich also«, warb Linden vor den zahlreichen Gästen, die zur Eröffnung in die evangelische Schlosskapelle gekommen waren. (GEA)
AUSSTELLUNG UND KATALOG
Die Ausstellung »Drucksachen – Inkunabeln und Einblattdrucke der Universitätsbibliothek Tübingen« im Museum der Universität MUT auf Schloss Hohentübingen läuft bis Sonntag, 8. September. Öffnungszeiten sind mittwochs bis sonntags 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 19 Uhr. Führungen gibt es auf Nachfrage. Der Katalog zur Ausstellung, herausgegeben von Andrea Worm, Sandra Linden und Kristina Stöbener, enthält zahlreiche farbige Abbildungen, umfasst rund 400 Seiten und kostet 39,90 Euro. Er ist im Museum erhältlich oder über den Webshop des MUT. www.unimuseum.de 07071 2977384