MÖSSINGEN-BELSEN. Trainingsanzüge, Körbe, Uhren, Schnaps und vor allem die Omel – was stellten die Belsemer nicht schon alles her. Matthias Schlegel und Berthold Rath führten zurück in die Produktionsgeschichte ihres Heimatortes. »Made in Belsen« stieß bei über 100 Leuten auf Interesse. »Zum Glück haben wir technische Unterstützung dabei«, sagte Schlegel. In einem Leiterwagen war ein Lautsprecher, damit alle etwas hören konnten. Der Sozialpädagoge beschäftigt sich ebenso wie Diakon Rath in seiner Freizeit gerne mit der Ortsgeschichte.
»Als junges Mädchen war ich Model für die Kleidungsstücke«
Los ging es am Standort der einstigen Textilfirma Fausel & Wagner in der Mössinger Straße, in dem heute ein Fitnessstudio ist. Gegründet 1934 von Konrad Fausel aus Bodelshausen und Ernst Wagner aus Belsen, produzierte der Betrieb hauptsächlich Wäsche und Sportbekleidung, wie Rath erklärte: "Textilproduktion gab es nicht nur auf der Alb." Er zeigte einige original Wagner Produkte aus den 1970er- und 1980er-Jahren wie Trikots und Trainingsanzüge. Diese hatte Martina Höschle aus Rottenburg mitgebracht, Enkeltochter des Gründers. »Als junges Mädchen war ich Model für die Kleidungsstücke«, erzählte Höschle. "Zuerst saßen alle Modelle eng, später wurde die Mode weiter und lockerer und wir haben auch Kapuzenpullover, die heute Hoodies heißen, hergestellt."
1938 zählte der Betrieb bereits 18 Mitarbeiterinnen. Im Zweiten Weltkrieg kam die Produktion weitgehend zum Erliegen. Nach einer Unternehmensaufteilung 1950 entstanden zwei Firmen, die weiterhin in der Textilproduktion aktiv waren. Ihre Produkte genossen überregionale Bekanntheit und trugen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region mit vielen Arbeitsplätzen bei. Fausel zog mit seinem Betrieb nach Bodelshausen und musste 1988 wegen des Preisdrucks aus dem Ausland aufhören. Wagner zog 1950 zuerst in die Paulinenstraße in Mössingen. Nach seinem Tod 1955 führte Ehefrau Martha Wagner, später zusammen mit Sohn Günther, das Unternehmen weiter. Weil die Firma in Mössingen nicht expandieren konnte, zog man 1959 nach Belsen. »Günther Wagner war selbst sportlich und hat einige Patente für Sportbekleidung angemeldet«, sagte Rath. Als das Geschäft in den 70er-Jahren gut lief, hatte das Unternehmen auch Standorte in Vollmaringen, Hirschau und Bondorf und viele Näherinnen in Heimarbeit beschäftigt. In den 90er-Jahren sei es immer schwieriger gewesen, rentabel zu produzieren, im Jahr 2000 war Schluss.
Matthias Schlegel führte die große Gruppe weiter in die Luppachstraße zu den Korbmacher-Brüdern Georg und Bernhard Götz. Trotz ihrer Blindheit führten sie in Belsen eine Werkstatt, in der sie Körbe herstellten. »Diese Korbwaren waren nicht nur praktisch, sondern auch kunsthandwerklich wertvoll«, sagte Schlegel. Sie wurden aus heimischen Materialien gefertigt und fanden sowohl in Haushalten als auch in der Landwirtschaft Verwendung. Das Flechten dieser Körbe erforderte viel Geschick und Präzision – und es machte die Belsener Werkstatt weit über die Ortsgrenzen hinaus bekannt.
Nach Schnapsbrennereien, die vorwiegend Kirschen-Schnaps herstellten, ging es zum einstigen Gasthaus Rose. Dort errichtete Paul Kübler seine Uhrenfabrik. Die Rose war zeitweise die jüngste Wirtschaft in Belsen und ist in den Annalen mit wechselnden Besitzern vermerkt. Ab 1866 führte Georg Eißler das Gasthaus, bevor im Jahr 1892 Johann Martin Nill als Besitzer die Brennerei mit dem angeschlossenen großen Garten etablierte.
1942 endete der Wirtschaftsbetrieb der Rose. Paul Kübler kaufte das Grundstück 1971. Er riss das alte Gebäude 1972 ab und baute neu. Kübler, der 1949 eine Ausbildung zum Uhrmacher in Tübingen abschloss und nach Jahren in der Schweiz ins Steinlachtal zurückkehrte, fand seine Marktnische in elektrischen Uhrenwerken für 220 Volt. Seine Produkte gingen bis nach England, in die Niederlande und nach Australien. Kommunalpolitisch war er unter anderem im Gemeinderat engagiert.
»Zuerst saßen alle Modelle eng, später wurde die Mode weiter«
Von allen heiß erwartet: die Omel, ein traditionelles Kirschenerntegefäß aus zusammengenähter Lindenrinde. »Ihr Ursprung ist unbekannt und es gibt keine vergleichbaren Behälter in Mitteleuropa«, so Schlegel über das Belsemer Produkt. Die ältesten erhaltenen Exemplare sind etwa 100 bis 120 Jahre alt. Gefäße aus Rinde lassen sich zwar in verschiedenen Kulturen quer durch die Zeitgeschichte finden. Doch die Omel wurde laut Überlieferung nie vermarktet, sondern immer als individuelles Gebrauchsobjekt für die eigene Familie gefertigt und als besondere Handwerkskunst von Generation zu Generation weitergegeben. Die letzten Omeln stellte Walter König in Belsen in den 1980er-Jahren her. (GEA)
TEIL DER AUSSTELLUNG ZUM WIRTSCHAFTSLEBEN
Mit der Ausstellung »Made in Mössingen – Produktvielfalt im Steinlachtal« widmet sich das Museum Kulturscheune derzeit dem Wirtschaftsleben. Die Führung war eine Begleitveranstaltung zur Ausstellung. »Mit einer solchen Resonanz hätten wir nie gerechnet«, sagte Franziska Blum, Leiterin Museen und Archiv bei der Stadt Mössingen, die am Sonntag ebenfalls teilnahm. Zu sehen sind in der Ausstellung unter anderem Dekorationsstoffe der Firma Pausa, die einst Weltruhm erlangten, ebenso wie Mössinger Branntwein, der schon im 19. Jahrhundert sogar bis nach Russland exportiert wurde. Auch Fässer aus Mössingen, Rechen und Heugabeln aus heimischer Fertigung sowie Hemden, Möbel und Sportbekleidung lokaler Betriebe erzählen von handwerklichem Geschick und Unternehmergeist. Darüber hinaus sind aktuelle Produkte von Bier über Nudeln bis zum Birnen-Secco zu sehen. (stb)

