Logo
Aktuell Serie

Auf Schicht mit einer Tübinger Kinderkrankenschwester

Miriam Backes, Kinderkrankenschwester am der Tübinger Klinik für Kinder- und Jugendmedizin

Miriam Backes im Stationszimmer  an der zentralen Patienten-Monitorüberwachung.  FOTO: NITSCHKE
Miriam Backes im Stationszimmer an der zentralen Patienten-Monitorüberwachung. FOTO: NITSCHKE
Miriam Backes im Stationszimmer an der zentralen Patienten-Monitorüberwachung. FOTO: NITSCHKE

TÜBINGEN. Es ist Samstagnacht, kurz vor 22.30 Uhr in Tübingen. Das Telefon klingelt auf der kinderchirurgischen Station 35 der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Abteilung Kinderchirurgie und Kinderurologie. Der Aufwachraum des OP-Bereichs gibt durch, dass Fritz jetzt abgeholt werden könne. Der 15-Jährige wurde vor einigen Stunden notfallmäßig am Darm operiert und kann nun auf die Normalstation verlegt werden. Kinderkrankenschwester Miriam Backes, die den Anruf entgegengenommen hat, wird sich gleich auf den Weg machen.

Doch drehen wir die Uhr um ein paar Stunden zurück. Es ist 20.48 Uhr – Schichtwechsel auf Station 35. Miriam Backes tritt ihren Dienst an. Mit dem Personal der Spätschicht bespricht sie jeden einzelnen Patienten, der hier ab sofort in ihren Zuständigkeitsbereich fallen wird – mündliche Übergabe genannt. »Viele andere Stationen praktizieren inzwischen die stille Übergabe. Das bedeutet, der nachfolgende Dienst informiert sich nur noch anhand der verpflichtenden Computerdokumentation über die Patienten. Das geht auch. Aber ich finde unsere Art sicherer, zumal auch mal etwas ergänzt oder besprochen werden kann, was zum Beispiel nicht dokumentiert werden muss«, erklärt Miriam Backes.

Oft besonders schwere Fälle

Heute liegen neun junge Patienten auf der Station. Im Normalfall sind es 15 Kinder, doch aufgrund von Personalausfällen wurde die Zahl der Pflegebedürftigen an diesem Wochenende reduziert. »Während der Nacht sind wir hier zu zweit. Irma und ich unterstützen uns gegenseitig. Das ist wichtig, denn wir haben hier oft besonders schwere Fälle zu betreuen, was sehr zeitintensiv ist«, berichtet die Pflegefachfrau. Ein kurzer Blick auf die blinkende und noch viele Male in dieser Nacht laut piepsende zentrale Patienten-Monitorüberwachung im Stationszimmer, dann macht sich Miriam Backes auf zu ihrer ersten Runde in die einzelnen Krankenzimmer.

Um die meist schlafenden Kinder nicht zu wecken, findet Backes ihren Weg mithilfe einer Taschenlampe. Sie prüft Infusionen oder Urinbeutel, verabreicht Medikamente, wirft einen Blick auf frische Wunden, kontrolliert Beatmungsgeräte oder streicht einem Kleinkind auch mal liebevoll über die Stirn. Immer wieder wird sie bei ihrem Rundgang unterbrochen. Mal klingelt das Telefon, dann signalisiert die Monitorüberwachung im Stationszimmer Alarm oder ein Patient betätigt die Klingel. Miriam Backes eilt hin und her – und bleibt dabei stets ruhig und freundlich. »Kinder sind betreuungsintensiver als erwachsene Patienten. Gerade Kleinkinder benötigen viel mehr Hilfe, aber auch Zuwendung. Deshalb sind wir froh über die Unterstützung der Eltern, die meist Tag und Nacht bei ihren Kindern bleiben«, erzählt die Kinderkrankenschwester.

Und wie muss man sich das vorstellen? »Wir richten in solchen Fällen einen Schlafplatz für einen Elternteil im Patientenzimmer her. Dies wird in der Regel gerne in Anspruch genommen. Mutter oder Vater helfen während des Aufenthalts dann auch in den allermeisten Fällen zum Beispiel beim Füttern, Wickeln oder Waschen ihres Kindes. Diese Hilfen entlasten uns wirklich sehr«, so die 41-Jährige weiter.

Wegen der Liebe nach Heilbronn

Miriam Backes wusste schon in jungen Jahren, dass sie später etwas mit Kindern machen wollte. Nach der Schule besuchte sie zwei Jahre lang ein Berufskolleg im Bereich Gesundheit und Pflege. Nach erfolgreichem Abschluss ergatterte sie einen Ausbildungsplatz in der Klinik, in der sie heute arbeitet. Die Lehre sei für sie eine tolle Zeit gewesen, denn Kinderkrankenschwester sei einfach ihr Traumberuf. Backes ist noch eine derjenigen Fachkräfte, die sich so nennen darf. Die Kolleginnen und Kollegen, die heute ihren Abschluss machen, heißen Pflegefachfrau oder Pflegefachmann. Direkt nach dem Examen zog sie mit ihrem damaligen Freund nach Heilbronn und fand dort nicht auf Anhieb eine Anstellung. Bis sie der Anruf ihrer ehemaligen Station aus Tübingen erreichte.

Ob sie denn nicht übergangsweise als Vertretung einspringen könne? Miriam Backes sagte sofort zu. Fast zwei Jahre pendelte sie täglich zwischen Tübingen und Heilbronn. Doch dann war Schluss: Sie zog zurück nach Tübingen, der Freund blieb in Heilbronn. Inzwischen ist sie verheiratet und hat zwei Söhne. Seit die Kinder auf der Welt sind, hat Backes ihre Arbeitszeit halbiert – der Familie wegen.

Zurück auf Station. Miriam Backes hat ihren ersten Kontrollgang beendet. Mit der vorgeschriebenen Transporttasche – diese enthält unter anderem einen Beatmungsbeutel – nebst einem transportablen Monitor macht sie sich jetzt auf den Weg, um den frischoperierten Fritz abzuholen. Im Aufwachbereich wird sie kurz in die medizinischen Behandlungsdetails des Teenagers eingewiesen, dann geht es auch schon wieder zurück auf Station 35. Der Vater von Fritz begleitet sie, er ist seinem Sohn seit dessen Einlieferung ins Krankenhaus nicht von der Seite gewichen ist. Er erzählt: »Gestern nach der Schule fing es an. Fritz bekam Bauchschmerzen und musste sich mehrfach übergeben. Am Abend wurde es besser, doch heute im Laufe des Tages ging es wieder los und wurde immer schlimmer. Deshalb sind wir dann in die Klinik gefahren.«

Zum Glück, denn eine sofortige Operation musste eingeleitet werden. Diese hat der Jugendliche gut überstanden und wird von Miriam Backes jetzt in seinem Patientenzimmer für die kommende Nacht vorbereitet. »Mir geht es eigentlich ganz gut und Schmerzen habe ich fast keine«, sagt der 15-Jährige und kann sogar schon wieder lachen.

Viele junge Patienten

1477 ist das Gründungsjahr der Universität Tübingen – zusammen mit der Medizinischen und drei weiteren Fakultäten. Über 300 Jahre später wurde das Universitätsklinikum eröffnet. Jährlich werden etwa 480.000 Patienten in verschiedenen Fachbereichen behandelt. Insgesamt arbeiten derzeit rund 11.000 Mitarbeitende im Gesamtklinikum. Im pflegerischen Bereich sind insgesamt 3.652 Personen im Dienst der Patientenversorgung aktiv, 60 davon im Pflegeteam der kinderchirurgischen Stationen 35 und 32. In diesem Fachbereich werden vor allem Kinder mit Tumoren, Neugeborene mit angeborenen Fehlbildungen des Magen-Darm-Traktes oder Patienten mit urologischen Problemen operiert, aber auch Blinddarmentzündungen behandelt oder Kinder nach Unfällen versorgt.

Ständig einsatzbereit

Es ist jetzt kurz vor Mitternacht. Fritz schläft und im Stationszimmer herrscht geschäftiges Treiben. Dokumentationspflichten müssen erledigt werden und die Oralmedikamente für den Frühdienst werden gerichtet. Meist kann Miriam Backes immer nur wenige Minuten bei einer Aufgabe bleiben. Ständig klingelt, piepst oder läutet es irgendwo auf der Station. Backes eilt dann sofort los, denn ihre jungen Patienten liegen ihr sehr am Herzen. »Das Schicksal der häufig schwerstkranken Kinder bewegt mich oft sehr. Doch wenn ich nach Hause gehe, muss ich das hinter mir lassen, sonst würde ich mich in meinem normalen Alltag nicht mehr zurechtfinden«, erklärt die Kinderkrankenschwester.

Um 2.30 Uhr kann Miriam Backes ein paar Happen essen. Sie hat sich von zu Hause ein Reisgericht mitgebracht. Genießen kann sie davon nur die Hälfte. Dann wird sie wieder zu einem ihrer Patienten gerufen. Kaum zurück im Stationszimmer, meldet die Monitorüberwachung den nächsten Alarm. Bis zur Übergabe an die Frühschicht um 6 Uhr am Morgen bleibt Miriam Backes keine Zeit mehr für den Rest ihrer Mahlzeit. Und hat trotzdem immer noch gute Laune am Ende einer langen Nachtschicht. (GEA)