GOMARINGEN. Gut sichtbar und im Herzen Gomaringens ist das Atelier gelegen, mit herrlichem Blick auf die Landschaft, den Schlosshof und die Bibliothek. »Ich hatte schon länger nach größeren Räumen gesucht«, sagt die Künstlerin Henriette Striegler. Bei der Gemeinde ist sie schließlich fündig geworden: in der Lindenstraße 44, zwei Etagen im verwinkelten, renovierten Altbau, mit Materiallager unterm Dach und einer charmanten Raumführung. Seit Juli vergangenen Jahres betreibt die Künstlerin zusammen mit ihren Freundinnen und Kolleginnen Annette Jakobi und Livia Scholz-Breznay das Atelier am Schloss. Hier malen sie, kreieren Schmuck, geben Kurse, schaffen Kunst.
Die Frauen kennen sich seit Jahrzehnten und waren begeistert, als Striegler auf sie zukam und gefragt hat, ob sie Interesse an gemeinsamen Räumlichkeiten hätten. »Ich habe sofort zugesagt«, erzählt Scholz-Breznay. Jetzt fühlen sich die Künstlerinnen - wenig überraschend - »pudelwohl«. Platz, Ambiente und das gemeinsame Arbeiten funktionieren rundum gut. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Frauen sehr individuelle Zugänge zur Kunst haben und mit ihren Werken und Angeboten eine breite Klientel bedienen. Dabei lernen sie trotz ihrer geballten Erfahrung immer noch viel Neues. »Wir sind immer im grundsätzlichen Austausch und profitieren so voneinander«, sagt Scholz-Breznay.
Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene
Zusätzlich zu den einzelnen Ausstellungsräumen dient das Atelier am Schloss auch als Werkstatt. Striegler, Jakobi und Scholz-Breznay bieten in einem eigenes dafür ausgestatteten Raum - lichtdurchflutet und mit viel Platz - Kurse und Workshops sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene an. Ein besonderes Format: »Paare malen zusammen ein Bild«, sagt Striegler. Dabei wird - wie bei allen Kursen - darauf geachtet, dass die Gruppen klein und familiär bleiben, so könne viel besser auf die individuellen Wünsche der Kunstschaffenden eingegangen werden. »Ein ähnliches Format möchte ich in Zukunft auch mit Familien machen, aber generationenübergreifend.« Die Idee: Großeltern, die sich zusammen mit ihren Enkeln über ein Jahr zusammen kunstvoll austoben und sich dabei auch kleine Gedichte und wohlgewählte Worte hinterlassen. Der Gomaringer Verein »Gut leben im Alter« sei von der Idee ganz begeistert. Ein Konzept hat Striegler bereits erarbeitet, aber für kleine Problemfelder wie Barrierefreiheit - das Atelier ist bislang nur über Treppen zugänglich - müssen noch Lösungen oder Räume gefunden werden.
Besuchszeiten und Ausstellungen geplant
Die Künstlerinnen des Ateliers am Schloss planen in naher Zukunft, einen Tag pro Woche - abseits der Kurse - regelmäßig für Besucher zu öffnen. »Individuelle Anfragen sind jetzt auch schon möglich«, sagt Annette Jakobi, allerdings nur nach persönlicher Absprache. Am 29. Juni ist zudem eine große Ausstellung in Bad Sebastiansweiler geplant, bei der Werke aller drei Künstlerinnen zu sehen sein werden. Kurse können direkt über die Künstlerinnen oder in Einzelfällen auch über die Volkshochschulen Reutlingen und Tübingen gebucht werden. (pru)
Darüber hinaus arbeitet die Gomaringerin auch als kunsttherapeutische Beraterin. Sie hat sich am Institut für Kunst und Therapie in München ausbilden lassen und unterstützt seitdem Menschen in besonderen Lebenssituationen, sowohl in Kliniken als auch im neuen Atelier. »Die Therapie setzt ein, wenn man nicht vom Fühlen ins Sprechen kommt«, erklärt Striegler. Ein hochsensibler Prozess, der im Bereich der Psychotherapie angesiedelt ist.
Heilende Kraft der Steine
Auch Annette Jakobi beschäftigt sich mit Heilungsprozessen. Die studierte Keramikgestalterin arbeitet als Heilpraktikerin und nutzt dieses Wissen in der Kunst: Beim »Ketten weben« werden Steine, denen stärkende Kräfte zugeschrieben werden, passend für jede Person angeordnet und zu einem Schmuckstück zusammengesetzt. »Es geht darum, das innere und äußere Schöne einer Person miteinander zu verbinden«, erklärt Jakobi. Beim eigenen künstlerischen Schöpfungsprozess arbeitet sie vorzugsweise mit Steinen und Pulvern, aber auch Asche und Sand gehören zu ihren geschätzten Materialien. In einem Werk hat die Künstlerin verrostetes Eisenpulver mit Essig vermischt, um intensive Farben und einzigartig gerissene Strukturen zu schaffen. Kurse im Atelier selbst bietet Jakobi zwar noch nicht an, aber »das Interesse ist da.«
Der Dritten im Bunde, Livia Scholz-Breznay, wurde die Kunst bereits mit in die Wiege gelegt: Die 76-Jährige entstammt einer alten Künstler-Dynastie und ist die erste Tochter des ungarischen Malers József Breznay. Als ältestes von neun Kindern, die allesamt künstlerisch arbeiten, hat es Scholz-Breznay in den 70er-Jahren der Liebe wegen nach Westdeutschland und schließlich nach Gomaringen verschlagen. Davor studierte sie an der Ungarischen Akademie der Bildenden Künste in Budapest, lehrt heute an der Design und Kunst Akademie Reutlingen (Dekart) und ist entsprechend breit in ihrem Schaffen und Wissen aufgestellt: Als Buchgrafikerin illustrierte sie früh für wissenschaftliche Publikationen, ist in der Porträt- und Aktmalerei versiert und hat eine Vorliebe für Aquarelle.
Viele ihrer Arbeiten befinden sich aktuell noch in Mailand, wo die Gomaringerin im vergangenen Jahr ausgestellt hat. In ihrem Heimat-Atelier hängen und stehen Porträts, politisch motivierte Werke und monet-artige Sommerimpressionen. »Die verschachtelten Räume hier sind gut dafür, Kunst immer wieder in einem anderen Umfeld und anderen Möglichkeiten zu präsentieren«, erklärt Scholz-Breznay.

Einer Aussage, der Henriette Striegler nur zustimmen kann. Zwei ihrer Bilder - in tiefblauen Pigmenten gehalten, bisweilen schon ins Schwärzliche abdriftend und mit wohlplatzierten, hellen Höhepunkten - kommen in den großen Räumen erst so richtig zur Geltung und entfalten ihre einnehmende und beruhigende Wirkung auf den Betrachter. »Ich wollte immer ein Atelier für große Bilder«, sagt Striegler. Mit dem Atelier am Schloss ist dieser Wunsch nun in Erfüllung gegangen. (GEA)