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Angeklagter Tübinger Therapeut erscheint erstmals vor Gericht

Zweimal hatte der Berufungsprozess vor dem Tübinger Landgericht zuvor verschoben werden müssen, weil der angeklagte Arzt nicht verhandlungsfähig gewesen war.

Im dritten Anlauf begann jetzt vor dem Tübinger Landgericht der Berufungsprozess, in dem sich ein Tübinger Therapeut dafür veran
Im dritten Anlauf begann jetzt vor dem Tübinger Landgericht der Berufungsprozess, in dem sich ein Tübinger Therapeut dafür verantworten muss, dass er eine sexuelle Beziehung zu einer Patientin hatte. Foto: Tom Weller/dpa
Im dritten Anlauf begann jetzt vor dem Tübinger Landgericht der Berufungsprozess, in dem sich ein Tübinger Therapeut dafür verantworten muss, dass er eine sexuelle Beziehung zu einer Patientin hatte.
Foto: Tom Weller/dpa

TÜBINGEN. Die Spannung war im Saal 107 des Tübinger Landgerichts deutlich zu spüren. Würde der Angeklagte, dem vorgeworfen wird, im Herbst 2020 als angehender Therapeut eine sexuelle Beziehung mit einer Patientin gehabt zu haben, diesmal vor Gericht erscheinen? Schon zweimal hatte der Berufungsprozess zuvor verschoben werden müssen, weil der 63-Jährige wegen Depressionen nicht verhandlungsfähig gewesen war. Doch am Freitag kam er.

Sein Auftritt wirkte fast unheimlich. Um sich vor den Kameras der Medienvertreter zu schützen, hatte er die Kapuze einer Jacke über den Kopf gezogen. Ein Mundschutz und eine Sonnenbrille verdeckten sein Gesicht. Begleitet wurde er von seiner Ehefrau, die fast genauso gekleidet war wie er. Erst als sich der 63-Jährige auf seinem Platz neben seiner Verteidigerin niedergelassen hatte, legte er die Maskierung ab.

Verängstigt wirkende Nebenklägerin verlässt den Saal

Und worum geht es in dem Prozess? Der Angeklagte absolvierte als Arzt und Wissenschaftler im Jahr 2020 am Uniklinikum eine Zusatzausbildung zum Psychotherapeuten. In dieser Zeit lernte er die damals 35-jährige Frau kennen, die an einer schweren Persönlichkeitsstörung vom Typ Borderline leidet. Er versuchte, ihr therapeutisch zu helfen. Daraus entwickelte sich allerdings eine sexuelle Beziehung, was nicht hätte geschehen dürfen.

Das Tübinger Amtsgericht verurteilte den 63-Jährigen im April 2024 wegen »sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses« zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe. Gegen dieses Urteil gingen der Arzt wie auch die Nebenklägerin in Berufung, weshalb der Fall jetzt vor der 23. Kleinen Strafkammer des Tübinger Landgerichts erneut verhandelt wird.

Kaum hatte die vorsitzende Richterin Hiltrud Hörmann am Freitag im Eiltempo die damalige Urteilsbegründung des Amtsgerichts heruntergerattert, da wurde der Prozess schon wieder kurz unterbrochen. Der Angeklagte brauchte eine Pause, um sich mit seiner Verteidigerin besprechen zu können. Die sehr verängstigt wirkende Nebenklägerin hatte da schon den Saal verlassen.

Angeklagter Arzt legt Geständnis ab

Als es dann weiterging, erklärte Verteidigerin Dr. Birgit Scheja, dass es ihrem Mandanten »nicht besonders gut geht«, er aber die Sache zu einem Abschluss bringen wolle. Zuvor hatte sie bestätigt, dass für sie und ihren Mandanten das Ziel der Berufung sei, eine Bewährungsstrafe für den 63-Jährigen zu erreichen. Nebenklagevertreter Dr. Christian Laue dagegen will in dem Berufungsverfahren zusätzlich eine Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung, was das Amtsgericht in erster Instanz noch abgelehnt hatte.

Der Angeklagte las schließlich eine lange Erklärung zu den Vorwürfen vor. Darin gab er zu, dass er im Herbst 2020 ein sexuelles Verhältnis mit der 35-Jährigen begonnen habe. Er räumte auch ein, dass zu diesem Zeitpunkt ein Behandlungsverhältnis bestanden habe.

Es tue ihm leid, dass aus dem zuerst professionellen Verhältnis zwischen Arzt und Patient eine private Beziehung entstanden sei. Er habe sich damals aber eher als Freund denn als Therapeut gesehen. Die 35-Jährige sei schon vorher oft zur Behandlung im Klinikum gewesen und er habe seiner Ansicht nach erhebliche Spannungen zwischen Personal und Patientin gesehen. Er habe in seiner Selbstüberschätzung dann geglaubt, dass er der einzige Mensch sei, der der 35-Jährigen noch helfen könne.

Waren erste sexuelle Handlungen einvernehmlich oder nicht?

Der Angeklagte stellte sich ursprünglich eine Verhaltenstherapie vor und traf Vorbereitungen für die Vereinbarung eines Therapiekonzeptes. Allerdings driftete das Verhältnis bald ins Private ab. Es kam zu einem Treffen zwischen beiden in der Wohnung des 63-Jährigen. Und dieses Treffen, bei dem es zu ersten sexuellen Handlungen kam, spielt in dem Prozess eine große Rolle.

Während der Angeklagte angibt, aus Zuneigung, Freundschaft und Liebe gehandelt zu haben, und er auch von einer »Beziehung auf Augenhöhe« spricht, klingt das in der Aussage der 35-Jährigen bei der Polizei ganz anders. Sie war Anfang 2021, als der 63-Jährige die Beziehung zu ihr abrupt beendet hatte, zur Polizei gegangen und hatte den angehenden Therapeuten angezeigt.

In dieser Aussage, die eine Polizeibeamtin am Freitag vor Gericht wiedergab, sprach die 35-Jährige davon, dass sie dem Arzt in jener Nacht zu verstehen gegeben habe, dass sie die sexuellen Handlungen nicht wolle. Der 63-Jährige habe aber trotzdem weitergemacht und sie habe sich nicht getraut, dies abzulehnen, weil sie Angst gehabt habe, dass er sie nicht mehr weiterbehandeln werde. Auch habe er ihr versprochen, sich mit einem Gutachten darum zu kümmern, dass sie wieder das Sorgerecht für ihre Kinder erlange. Sie habe sich in dieser Situation überfordert gefühlt.

Im Gerichtssaal

Richterin: Hiltrud Hörmann. Schöffen: Doris Müller, Heidrun Kletetschka. Staatsanwältin: Bettina Winckler. Verteidigerin: Dr. Birgit Scheja. Nebenklagevertreter: Dr. Christian Laue. Gutachterin: Dr. Ursula Gasch. Gutachter: Dr. Alex Theodor Gogolkiewicz.

Für den Angeklagten war es damals offenbar schwierig gewesen, die Beziehung zu beenden. Nach eigenen Angaben hatte er schon frühzeitig seiner Familie das Verhältnis mit der 35-Jährigen gestanden. Zwischenzeitlich hatte er sich sogar krankschreiben lassen. Doch Anfang 2021 waren die beiden wieder zusammengekommen, es kam erneut zu Geschlechtsverkehr, der zu einer Schwangerschaft mit Abbruch bei der 35-Jährigen führte.

In einer Therapie versuche er jetzt herauszufinden, warum das alles so gekommen sei, meinte der 63-Jährige. Für ihn sei aber alles immer einvernehmlich und die Beziehung nie von Gewalt geprägt gewesen. Der Prozess geht kommende Woche weiter. (GEA)