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Als die Gomaringer 1971 Arcis-sur-Aube entdeckten

Über 50 Jahre ist es her, da haben sich 15 junge Gomaringer zur Kriegsgräber-Pflege auf in die französische Champagne gemacht. Daraus ist ein enges Band mit Arcis-sur-Aube entstanden, das die beiden Gemeinden bis heute verbindet. Was die Jugendlichen so alles erlebt haben, verrät ein erheiterndes Tagesprotokoll.

Die Mitglieder des Freundeskreis Arcis schwelgen im Gomaringer Schlosscafé zusammen in Erinnerungen - und planen eifrig das komm
Die Mitglieder des Freundeskreis Arcis schwelgen im Gomaringer Schlosscafé zusammen in Erinnerungen - und planen eifrig das kommende Jubiläum. Foto: Paul Runge
Die Mitglieder des Freundeskreis Arcis schwelgen im Gomaringer Schlosscafé zusammen in Erinnerungen - und planen eifrig das kommende Jubiläum.
Foto: Paul Runge

GOMARINGEN. So saßen sie schon lange nicht mehr zusammen, die drei alten Freunde aus Gomaringen. »Das war toll, damals mit den jungen Männern mitgehen zu können«, erzählt Roselinde Geisel mit leuchtenden Augen und lacht. Vor über 50 Jahren hat sie - stilecht - ihr erstes Glas Champanger in der französischen Champagne getrunken, in Arcis-sur-Aube. Auch für Heiderose Nikoleit und Wolfgang Lutz waren es 1971 wohl die ersten Schlucke Schampus. »Wir waren so um die 17 Jahre alt, vielleicht ein bissle älter«, resümiert Geisel. »Es gab ein Bombenessen«, setzt Lutz nach. Heute, im Herbst ihres Lebens, erinnern sich die drei gerne zurück an die Zeit, als sie sich unter der Obhut der Lehrer Willy Karl und Traugott Manz Anfang der Siebziger für knapp zwei Wochen nach Frankreich aufgemacht haben. Ihre Reise war das Fanal einer Gemeinde-Freundschaft, die bald ihr 50-Jahr-Jubiläum feiert. Offiziell haben Gomaringen und Arcis - wie es die Gomaringer liebevoll und abgekürzt nennen - ihre Partnerschaft 1976 unterzeichnet. Doch fünf Jahre zuvor waren es die jungen Menschen des CVJM, die durch ihre Arbeit den Grundstein für die jahrzehntelange Freundschaft legten.

Auf Feldbetten haben es sich die jungen Männer bequem gemacht.
Auf Feldbetten haben es sich die jungen Männer bequem gemacht. Foto: privat
Auf Feldbetten haben es sich die jungen Männer bequem gemacht.
Foto: privat

Dabei war der Anlass kein fröhlicher. »Das fing schon 1970 an, dass man über die Kriegsgräber-Pflege nach Frankreich konnte«, sagt Geisel. Über den CVJM haben sich die rund zwei Dutzend jugendlichen Mitglieder für die Pflege eines Soldatenfriedhofs nahe Allibaudiere angemeldet, nur ein paar Kilometer von Arcis entfernt. Acht »Mädle« waren dabei, der Rest waren »Kerle« - insgesamt 15 Jugendliche. Zwei Wochen haben sie unter der französischen Sonne gegärtnert, gelacht und gesungen. »Uns war es wichtig, einen guten Eindruck auf die Gastgeber zu machen«, erzählt Heiderose Nikoleit. Obwohl die jungen Menschen mit dem Zweiten Weltkrieg nichts zu tun hatten, was das Thema - schon allein wegen der Kriegsgräber-Pflege - immer präsent. »Die Beziehungen waren am Anfang nicht so leicht«, sagt Gemeinderätin Gudrun Bühler, die heute mit im Vorstand des Freundeskreises Arcis sitzt. Die historisch bedingten Vorbehalte haben einige der jungen Menschen jedoch gar nicht wahrgenommen. »Wir waren unbedarft«, erzählt Geisel. Trotzdem waren sich die Teenager ihrer Verantwortung bewusst, »tadellos aufzutreten«.

Am Anfang war noch alles verwildert.
Am Anfang war noch alles verwildert. Foto: privat
Am Anfang war noch alles verwildert.
Foto: privat

Dass sich die jungen Reisenden von damals heute noch treffen und in Erinnerungen schwelgen, ist nicht zuletzt das Verdienst von Gerd Löffler. Jahrzehnte lang dolmetscht er bei Reisen oder Besuchen aus der Champagne, organisiert Treffen, pflegt und stärkt zusammen mit Philipp Allard die Beziehungen zum westlichen Nachbarn. Gegenwärtig recherchiert er für ein Buch, das er über die langjährige Partnerschaft schreiben will. Dabei zieht es Löffler auch immer wieder ins Archiv. Beim Arcis-Freundeskreis-Treffen im Gomaringer Schlosscafé liest er aus einem anonymen Protokoll, das während der Reise entstand und kann sich das Lachen nicht verkneifen: »6.15 Uhr: Gebetskreis. 6.30 Uhr: Frühsport entfällt wegen mangelnder Beteiligung«. Nur wenig später, so steht es geschrieben, macht sich die Gruppe um kurz nach 7 Uhr auf zur Grabpflege: Unkraut jäten, Wildwuchs entfernen, Grabeinfassung reinigen.

Wegen der schweißtreibenden Arbeit mussten die Jungs sogar die T-Shirts ausziehen - ein Luxus, den sich die Frauen nicht gönnten
Wegen der schweißtreibenden Arbeit mussten die Jungs sogar die T-Shirts ausziehen - ein Luxus, den sich die Frauen nicht gönnten. Foto: privat
Wegen der schweißtreibenden Arbeit mussten die Jungs sogar die T-Shirts ausziehen - ein Luxus, den sich die Frauen nicht gönnten.
Foto: privat

Ein Gärtnermeister aus Reims unterstützte die Jugendlichen bei der Arbeit und leitete sie an, aber wohl mit nur mäßigem Erfolg, wie einem Eintrag von Lehrer Karl zu entnehmen ist: »Um 10 Uhr wurde der Gruppe das Arbeiten zu dumm«, liest Löffler unter johlendem Gelächter vor - weswegen sich einige Jugendliche zum Weintrinken mit dem Bürgermeister abseilten. Mittags gab's Essen in der Schule, in der die Gomaringer untergebracht waren, abends wurde gegen die Gastgeber Fußball gespielt. »Vier zu eins habt ihr gewonnen«, erzählt Löffler mit Stolz in der Stimme. »In diesem Protokoll ist alles drin: Arbeit, Leben, Spaß.« Während ihres zweiwöchigen Aufenthalts haben die Gomaringer Paris, Verdun und Versailles besucht, wurden zu Festessen eingeladen, haben durch eine Kranzniederlegung den Kriegsgefallenen Respekt gezollt. »Ich habe so viel erleben dürfen, was ich damals sonst nie gesehen hätte«, erzählt Roselinde Geisel.

Nach getaner Arbeit wurde feierlich ein Kranz niedergelegt - als Symbol für die Völkerfreundschaft.
Nach getaner Arbeit wurde feierlich ein Kranz niedergelegt - als Symbol für die Völkerfreundschaft. Foto: privat
Nach getaner Arbeit wurde feierlich ein Kranz niedergelegt - als Symbol für die Völkerfreundschaft.
Foto: privat

Bis zur großen Jubiläumsfeier - im Mai 2026 in Arcis-sur-Aube und im Juli 2027 in Gomaringen - muss aber noch viel organisiert werden. »Wir sind mit Arcis über Whatsapp verbunden und stehen in regem Austausch«, sagt Gemeinderätin Bühler. »Es werden auch viele bei den Feiern dabei sein, die früher schon dabei waren.« Gut sei es, wie die Bürgermeister damals und heute die Beziehungen pflegen würden. »Ohne deren Einsatz wäre es sehr schwer.« Grundsätzlich stehe die Freundschaft ohnehin unter einem guten Stern, weiß Löffler: »Immer, wenn sich die deutschen und französischen Staatsoberhäupter getroffen haben, haben sich die Bürgermeister unserer Gemeinden auch getroffen.« Für Löffler eine bemerkenswerte Parallele, die Gutes für die Zukunft verspricht. Aber trotzdem: »Wille und Aktivität, die Beziehung zu pflegen, müssen da sein.« Sonst schlafe die Freundschaft ein. (GEA)