MÖSSINGEN-ÖSCHINGEN. Zwar fühlt es sich auch auf den höchsten Hanghöhenlagen des Landkreises Tübingen unter der goldenen November-Sonne noch recht angenehm an. Und ein stabiles Hochdruckwetter wird uns wohl noch gut zwei Wochen bei Laune halten. Doch Nebel, Hochnebel und sich abzeichnender Nachtfrost machten am Wochenende klar: Es wird langsam ungemütlich.
Zeit also fürs Winterquartier. Zumindest für die Rindviecher in Öschingen. Womit die etwas mehr als 60 Rinder und gut halb so vielen Kälber gemeint sind, die bis jetzt noch auf den saftigen Wiesen in den Höhen des Öschenbachtals geweidet haben. Damit war am Sonntag Schluss. Ihr Zug hinab in die warmen Stallungen war früher eine unspektakuläre Angelegenheit. Mal abgesehen davon, dass kurzzeitig die Landesstraße gesperrt werden musste.
Zwischenzeitlich hat sich der Weideabtrieb zu einem Spektakel, ja, geradezu zu einem Volksfest entwickelt, bei dem am vergangenen Wochenende wieder Aberhunderte von Leuten auf den Beinen waren. Wohingegen das Dorffest im Vergleich eher wie ein Kindergeburtstag anmutet. Man spricht bereits vom »Öschinger Wasen«.
Zum dritten Mal, mit je einem Jahr kräfteschonender Pause, hat die Öschinger Landwirtschaftsfamilie Rein die Stallheimführung ihrer Rinderherden zu einem Großereignis werden lassen. Rund um den Öschbachtalhof an der Straße nach Gönningen war im und am großen Festzelt volles Programm. Man gewann den Eindruck, als hätte der am 13. Oktober zu Ende gegangene »Cannstatter Wasen« noch eine kleine Zugabe gegeben. Weil die letzte Vollerwerbs-Landwirtschaftsfamilie im Dorf mit dem Event allein überfordert wäre, sind die Freiwillige Feuerwehrabteilung und der CVJM als Mitveranstalter eingestiegen – also quasi das halbe Dorf.
Die Veranstaltung wächst offenbar mit der Größe der Herde. Der letzte »Après-Abtrieb« 2022 wurde an zwei, dieses Jahr gar an drei Tagen gefeiert. Bereits am Donnerstag startet im ausverkauften Zelt der Comedy-Abend mit »Hillus Herzdropfa«. Dermaßen in gute Laune versetzt, ging's am Abend vor dem Abtrieb mit dem »Mühle Express« im beheizten Festzelt munter weiter. Rund zweitausend Gäste, die sich von einer Heerschar von Helfern verköstigen ließen. Der vom Posaunenchor begleitete Gottesdienst ward am Sonntag ins Zelt verlegt, die Küche daheim konnte kalt bleiben, denn der Frühschoppen ging direkt in das Mittagessen über, während – voller Vorfreude oder wegen des Nebelwetters in den Hochlagen – bereits eine Viertelstunde vor dem angekündigten 11.30 Uhr-Termin die erste Herde ihren Stall ansteuerte. Hunderte Zuschauer standen Spalier, ungezählte Handykameras wurden in die Höhe gehalten, als die Treiber die Tiere den Hang hinunter geleiteten und aufpassten, dass die Herde nicht ins warme Festzelt, sondern in den ebenso molligen Stall daneben liefen.
Wer den tierischen Höhepunkt verpasst hatte, bekam um 13 und 14.30 Uhr noch zweimal die Gelegenheit zum Gucken. Überhaupt haben die Öschinger den letzten Rinderabtrieb mit Rahmenprogramm im Ländle durchgeführt. Im Hochschwarzwald, wie in Oberried oder Münstertal, waren die Hochweiden bereits vor Wochen geräumt und mit Bauernmarkt-Festen gefeiert worden. Im Allgäu waren bereits im September der Großteil der über 30.000 Rinder von den 700 Alpen in die Täler getrieben worden.
Im Gegensatz zu den Almabtrieben und Viehscheiden hat man in Öschingen auf prachtvoll geschmückte Rinder mit Glocken und Kränzen verzichtet. Auch auf die tierbegleitende Blasmusik. Der Gönninger Musikverein hatte auf der Festbühne Position bezogen.
Wer Schmuckes suchte, war bei der Traktorausstellung genau richtig. In Öschingen gibt es vermutlich die höchste Traktorendichte in ganz Württemberg. Rund 220 Fahrzeuge sind im Dorf amtlich gemeldet, die Sammlerstücke gar nicht mitgezählt. Dutzende landwirtschaftliche Geräte aus den vergangenen Jahrhunderten wurden in der Schau gezeigt. Sie spiegeln die Zeiten wider, als Öschingen stark von der Landwirtschaft geprägt war und sich in der Kleinparzellierung noch heute zeigt. Eine Dorfrundfahrt mit echten PS boten die Freibadfreunde an. Und nicht nur das: In Schauvorführungen wurde Besuchern gezeigt, was der Unterschied zwischen Grubben, Eggen, Pflügen und Säen ist. (GEA)