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Öffnen sich im Schönbuch bald die Gatter?

Tierwohl gegen Waldgesundheit: Jäger wollen dem Rothirsch ein freies Leben ermöglichen - und die Abschusspflicht kippen. Der oberste Schönbuch-Förster warnt vor Gefahren für Autofahrer und Bäume.

Ein Wanderhirsch auf dem Sprung.
Ein Wanderhirsch auf dem Sprung. Foto: Foto: Erich Marek/LJV/PR
Ein Wanderhirsch auf dem Sprung.
Foto: Foto: Erich Marek/LJV/PR

TÜBINGEN/REGION. Der Hirsch ist beliebt. Er zeigt sich selten, ist aber seit Urzeiten das baden-württembergische Wappen- und zugleich das größte heimische Säugetier. Auch der Wald liegt den Deutschen am Herzen. Und das Auto erst. Es ist den Schwaben in mehrfacher Hinsicht heilig: als Verkehrsmittel, Designobjekt und Sportgerät. Die Koexistenz dieser drei erweist sich bisweilen aber als schwierig. Weil die jeweiligen Bedürfnisse und ihre Folgen teils gegenläufig sind.

Nun gilt die Existenz der Rothirsche im Land als bedroht. Nicht wegen der Jäger, sondern aufgrund von Fehlbildungen, die durch Inzucht zunehmen. Denn die Wildtiere sind seit 1958 eingepfercht. Außerhalb von fünf gesetzlich definierten Rotwildgebieten müssen Hirsche abgeschossen werden. Damit stehen dem majestätischen Tier zum Leben nur vier Prozent der Fläche Baden-Württembergs zur Verfügung - im Schönbuch, Odenwald, Nord- und Südschwarzwald sowie in Adelegg im Allgäu.

Da sich in diesem begrenzten Lebensraum seit 67 Jahren die immer gleichen, verwandten Tiere untereinander paaren, wird der Genpool überschaubar. Missbildungen wie verkürzte Unterkiefer sind die Folge, die dem Wiederkäuer das Kauen schwermachen. Neuen Studien der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) zufolge ist der genetische Zustand des Rotwilds hierzulande schon so verarmt, »dass es sich nicht auf die verändernden Umweltbedingungen einstellen können wird«, warnt René Greiner vom Landesjagdverband Baden-Württemberg (LJV).

»Für klimagerechten Waldumbau ist der Plan kontraproduktiv«

Deshalb fordern Tierschützer und Jäger: Lasst Hirsche im Land wieder frei wandern. Sie drängen darauf, die »Lebensraumzerschneidung« dieser und anderer Wildtiere zu beenden. Und damit den im Bundesnaturschutzgesetz definierten länderübergreifenden Biotopverbund zu realisieren. Kürzlich habe nun auch der baden-württembergische Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR), Peter Hauk, als Ziel genannt, das Abschussgebot für Junghirsche auszusetzen. »Höchste Zeit«, findet der LJV. Mit den fünf jeweils isolierten Gebieten bilde Baden-Württemberg schon jetzt das Schlusslicht aller Bundesländer, in denen Rotwild vorkommt.

So bald werden sich jedoch etwa die Gatter im Schönbuch für die schätzungsweise 300 bis 400 dort lebenden Geweihträger nicht öffnen, sagt Götz Graf Bülow von Dennewitz, der zuständige Forstbezirksleiter. Während der LJV Hauks Aussagen von der Landespressekonferenz als klares Signal wertet - »Er hat die Kompetenz, mit einem Federstrich das Abschussgebot aufzuheben« -, bleibt Graf Bülow von Dennewitz vorsichtig. »Im Kern hat das zunächst gar keine Auswirkung.« Ginge der Vorstoß durch, müsste man per Gesetz die Rotwildrichtlinie ändern.

Rehe im Damwild-Gehege im Schönbuch bei Bebenhausen. Dort stören oder gefährden Besucher, Bewunderer und Fotografen die Wildtier
Rehe im Damwild-Gehege im Schönbuch bei Bebenhausen. Dort stören oder gefährden Besucher, Bewunderer und Fotografen die Wildtiere nicht. Foto: Archiv/Ralf Rittgeroth
Rehe im Damwild-Gehege im Schönbuch bei Bebenhausen. Dort stören oder gefährden Besucher, Bewunderer und Fotografen die Wildtiere nicht.
Foto: Archiv/Ralf Rittgeroth

Für menschliche Besucher mögen die beiden Rotwildgehege im Naturpark Schönbuch paradiesisch sein. Sie können dort Wildtiere aus der Nähe in einem relativ natürlichen Umfeld beobachten - ohne sie zu stören oder zu gefährden. Für die von Natur aus eher Wiesen und offenes Land liebenden Hirsche hingegen sind die insgesamt 4.000 Hektar großen Gehege kein Paradies. »Der Zaun ist ein Anachronismus«, bestätigt Graf Bülow von Dennewitz. Insofern könne er die Gedanken des LJV gut nachvollziehen. Aber bezogen auf einen klimagerechten Waldumbau sei deren Plan problematisch bis kontraproduktiv. Und dass die Mischwälder im Land klimaangepasster und stabiler werden müssen, fordert Hauk ebenfalls - schon seit 2020.

» Lebensräume werden immer kleiner, Wandern ist selten möglich«

Ist der Hirsch glücklich, geht der Wald kaputt? Diesen Aspekt grenze der Vorstoß der Jäger aus, bemängelt der Vertreter von Forst-BW und Landesforstverwaltung. Ihm fehlt auch bei der Aussage des Ministers »der Nebensatz: ,vorbehaltlich der Zustimmung von Waldbesitzern'«.

Dazu kommt noch das Auto ins Spiel, zusammen mit weiteren Errungenschaften des Anthropozän: Beide Seiten verweisen darauf, dass eine Erholung des Rotwilds mit der Wanderfreigabe noch lange nicht sicher ist. Wildtiere können sich "aufgrund von Straßen, Bahntrassen und zunehmender Bebauung ohnehin nicht ungehindert bewegen, schreibt der LJV. "Ihre Lebensräume werden immer kleiner und Wanderungen sind nur noch selten möglich."

Ein Albino-Hirsch machte vergangenes Jahr im Schönbuch Furore.
Ein Albino-Hirsch machte vergangenes Jahr im Schönbuch Furore. Foto: Manfred Grohe
Ein Albino-Hirsch machte vergangenes Jahr im Schönbuch Furore.
Foto: Manfred Grohe
»Stellen Sie sich vor, Ihnen springt ein 200-Kilo-Muskelpaket ins Auto«

Götz Graf Bülow von Dennewitz bläst ins gleiche Horn: Aufgrund der »Insellage des Rothirschgebiets Schönbuch zwischen der Alb und vielbefahrenen Autobahnen« sei ungewiss, ob sich die Population in dieser Region auf der mit Abstand kleinsten Fläche im Land überhaupt hält. Mit »intensiv befahrenen Bundes- und Landstraßenachsen drumherum« steige jedoch die Unfallgefahr. »Stellen Sie sich mal vor, auf der B 464 springt Ihnen so ein 200-Kilo-Muskelpaket ins Auto rein...« Anders als zwischen den größeren Gebieten im Nord- (105.000 Hektar) und Südschwarzwald sei es unwahrscheinlich, dass nach einer Öffnung der Gatter ein genetischer Austausch stattfindet. Zumal man hier unter allen Rotwildgebieten noch den besten Genbestand habe.

Infozentrum und Erlebnispfad

Zum 25-jährigen Bestehen des Naturparks Schönbuch wurde 1997 im alten Schreibturm des Klosters Bebenhausen - der einst als Schreibstube zur Verwaltung des Klosters, später als Gefängnis für Forstfrevler und Wilderer sowie nach dem zweiten Weltkrieg zeitweise als Notwohnung für Bebenhauser Bürger diente - ein Informationszentrum für Besucher eingerichtet. Das öffnet am 1. April wieder seine Pforten und hat bis 31. Oktober dienstags bis freitags, 9 bis 17 Uhr, sowie an Samstagen, Sonn- und Feiertagen von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Räumlich und inhaltlich gliedert sich das Informationszentrum in den Vorraum, der Besuchern durch Schautafeln einen Überblick über die Aufgaben des Naturparks und seine Funktionen vermittelt, und das Turmzimmer wo an einem Lindenholz-Relief des Schönbuchs auf Knopfdruck Gemeinden im Naturpark, Gewässer und Sehenswürdigkeiten angewählt werden können. Dazu gibt es Infos zur Geschichte dieses Waldgebiets mit seiner Tier- und Pflanzenwelt. Finanziert wurde die Sanierung vom Land Baden-Württemberg und vom Förderverein Naturpark Schönbuch.

Zum Thema Rotwild gibt es von Forst-BW im Schönbuch einen Rotwilderlebnispfad. (dia)

Der Jagdverband hofft dennoch, dass Minister Hauk seinen Worten bald Taten folgen lässt: "Tierschutz und Wildbiologie sollten im Jahr 2025 beim Rotwild schnellstens zusammenfinden", teilt Landesjägermeister Dr. Jörg Friedmann mit. Schon 2018 hatte der LJV die "Kampagne Platzhirsch" für "zeitgemäßen und wildbiologisch sinnvollen Umgang mit dem Wappentier des Landes" gestartet. Dazu gehört ein landesweites Konzept zur Weiterentwicklung des Rotwildmanagements. Der konsequente Schutz, die Verbesserung der Wanderkorridore von Wildtieren und der Bau von Querungshilfen müsse "fester Bestandteil der baden-württembergischen Planungs- und Naturschutzpolitik" werden. Denn: "Was die waidgerechte Jägerschaft vereint, vom hohen Norden bis in den Süden, das ist der Respekt vor dem Wild. Dazu gehöre die Verbesserung und Vernetzung der Lebensräume, heißt es auf https://wanderhirsch.de/. Deshalb unterstütze der LJV auch eine Petition von Frank Zabel auf change.org. (GEA)