TÜBINGEN. Seit knapp drei Jahren sind Städte mit über 50.000 Einwohnern dazu verpflichtet, einen Mietspiegel für Wohnungen zu erstellen. Der hilft Mietern und Vermietern, die aktuellen Preise einzusehen und sich daran zu orientieren. Für das Gewerbe gibt es solche rechtlichen Verpflichtungen nicht. »Das Gewerberecht ist da deutlich flexibler, was mögliche Verträge und auch Erhöhungen angeht«, erklärt Thorsten Flink, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Tübingen (WIT). Weshalb kaum eine Stadt sagen könne, was die Gewerbe in ihren Gassen eigentlich an Miete bezahlen müssen - zu viele individuelle Regelungen, zu viele Extrawürste.
Die Unistadt versucht daher herauszufinden, wie hoch die Mieten für Gewerbetreibende tatsächlich sind. Dazu hat die WIT zusammen mit der Stadtverwaltung, dem Handels- und Gewerbeverein (HGV) Tübingen und einem externen Planungsbüro einen Online-Umfragebogen erstellt, der Klarheit in den Gewerbemieten-Dschungel der Unistadt bringen soll. Ziel ist es, einen »realistischen und fundierten Mietpreisreport« zu erstellen, um aus den Erkenntnissen Maßnahmen für eine attraktive Innenstadt ableiten zu können.
Alle sitzen im selben Boot
»Es geht nicht darum, Eigentümer-Bashing zu betreiben und Vermieter wegen zu hoher Mieten an den Pranger zu stellen«, sagt Flink. Das sei ohnehin nicht möglich, da die Ergebnisse anonym bearbeitet und veröffentlicht werden. Stadtplanerin Barbara Landwehr stimmt zu: »Es geht uns um eine Attraktivierung der Innenstadt.« Um die zu erreichen, müssen alle Seiten - Händler, Gastronom und Vermieter - zufrieden sein. »Wir sitzen alle im selben Boot.« Mit klaren Zahlen könne man Leerstand begegnen und Eigentümern eine realistische Einschätzung geben, was sie für ihre Flächen verlangen können - und potenziellen Mietern, mit welchen Zahlungen sie rechnen müssen.
Über 300 Gewerbe gibt es im erweiterten Altstadtgebiet in Tübingen. Ausgenommen bei der Befragung sind Büroflächen, der Fokus liegt klar auf Laden- und Gastronomieflächen. »Wir wissen, dass es deutliche Unterschiede gibt«, sagt Flink. Erste Erkenntnisse habe man während der Corona-Zeit gewinnen können, als Mietzuschüsse für in Bedrängnis geratene Gewerbe geleistet wurden - dort mussten nämlich die Mieten und Pachten angegeben werden, um die Höhe der Förderung zu bestimmen. Diese Zahlen könne man aber aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht für den geplanten Mietpreisreport verwenden. Daraus geht hervor: »Wir haben in Tübingen eine Mietenspanne von 8,70 Euro pro Quadratmeter bis zu 56,70 Euro.«
Deutschlandweit knapp 66.000 Gewerbe in zehn Jahren verschwunden
Diese großen Unterschiede speisen sich aus Faktoren wie Lage, Zustand der Räume und der Immobilie sowie der Fläche - weshalb diese auch extra abgefragt werden. Dazu kommen Miethöhe und -struktur, Besonderheiten und ein Extra-Feld für Fragen und Anmerkungen. Um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erzielen, sei man auf ausreichend Teilnehmer angewiesen. »30 Stück - also knapp 10 Prozent - wären wohl zu wenig«, gibt Flink zu bedenken. Eine Rücklaufquote von 20 Prozent aufwärts wäre ideal - aber vielleicht auch etwas idealistisch. »Geht man nach der Erfahrung anderer Kommunen, können wir eher mit 5 bis 10 Prozent Antworten rechnen.« Entmutigen lasse man sich davon aber nicht.
Wie Stephan Braun, Vorsitzender des HGV Tübingen, betont, werde die Miete ein immer bedrohlicherer Faktor im ohnehin rückläufigen Einzelhandel. Nach Zahlen des Handelsverbands Deutschland (HDE) haben in den vergangenen zehn Jahren deutschlandweit von 372.000 Einzelhandelsbetrieben rund 66.000 Stück für immer ihre Pforten geschlossen - was einem Rückgang von 18 Prozent entspricht. »Viele Händler benennen die Miete klar als Problem und können gar nicht so viel verkaufen, wie sie eigentlich müssten.« Dabei gebe es faire Modelle, die in Tübingen nach Informationen des WIT aber nicht sehr verbreitet sind, wie Flink sagt: »Hin und wieder ist die Miete auch an den Umsatz gekoppelt.« Dabei werde eine niedrige Grundmiete vereinbart, der Rest komme über einen Schlüssel zum Eigentümer der Räumlichkeiten. »Dann ist dem Eigentümer noch mehr daran gelegen, dass der Handel läuft.«
Die Umfrage wird ab Montag, 7. Juli, bis Montag, 4. August, online zugänglich sein. Zusätzlich verteilt das Organisationsteam Flyer und QR-Codes und plant auch, Händler direkt auf das Projekt anzusprechen. Eine Teilnahme geht schnell: Die Befragung dauere lediglich fünf bis sieben Minuten - »wenn man die notwendigen Daten bereit hat«, ergänzt Flink mit einem Schmunzeln. Nach den Sommerferien sollen dann die Ergebnisse vorliegen - öffentlich und kostenlos. (GEA)