MÖSSINGEN/LUDWIGSBURG. Alle guten Dinge sind drei, sagt man. Bei zwei Männern aus Mössingen waren es drei aufeinanderfolgende Maßnahmen, die ihnen das Leben gerettet haben.
Im März hatte ein 58-jähriger einen schweren Unfall erlitten (der GEA berichtete). Er war im Erdlager seines Pellets-Tanks im Hausgarten aufgrund einer überhöhten Konzentration von Kohlenmonoxid (CO) bewusstlos zusammengebrochen. Ein 62-jähriger Nachbar, der ihn retten wollte, hatte das geruchlose Gas auch nicht wahrgenommen und verlor ebenfalls das Bewusstsein.
Ein halbes Jahr nach dem tragischen Unfall haben beide ihre berufliche Tätigkeit wieder aufgenommen. Der Nachbar war bereits nach drei Monaten wieder arbeitsfähig. An jenem Samstagnachmittag des 8. März indessen hätte niemand von den beteiligten Helfern darauf wetten wollen, dass die Verletzten jemals wieder gesunden – gefühlt viel zu lange waren sie dem hochgiftigen CO ausgesetzt.
Kohlenmonoxid entsteht, wenn Kohle, Gas, Benzin oder Holz unvollständig verbrennen. Auch in den stäbchenförmig gepressten Pellets läuft ein chemischer Prozess ab. Je frischer das Holz ist, desto größer ist die Menge des entweichenden Kohlenmonoxids. In der Regel werden die Holzpellets beim Hersteller so lange gelagert, dass am Ende der Logistikkette beim Endverbraucher keine Gefahr des sogenannten Autoxidationsprozesses mehr besteht, heißt es in einer Studie des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA). »In Einzelfällen kann es vorkommen, dass relativ frische Pellets beim Endverbraucher eingelagert werden.«
Gift, dass man nicht riecht und sieht
Auf die Konzentration kommt es an. Sie kann bereits nach einer Minute oder erst nach wenigen Stunden zum Tod führen. Jährlich sterben rund 500 Menschen in Deutschland, weil sie zu viel Kohlenmonoxid eingeatmet haben. Das Gas ist hochgiftig für den Körper, greift das Herz an, schädigt das Gehirn.
Denn mit der Luft zusammen eingeatmet, gelangt das farblose Gas über die Lunge ins Blut. Dort bindet der rote Blutfarbstoff Hämoglobin das Kohlenmonoxid rund 300-mal stärker als Sauerstoff an sich und verdrängt dessen Anbindungsstellen. Die Folge ist Sauerstoffmangel. Der fängt mit Schwindel, Schwäche und Übelkeit an. Mit zunehmender Menge und der damit verbundenen Unterversorgung der Organe, folgen Atemnot, Ohnmacht, Herz-Rhythmus-Störungen und schließlich Kreislaufversagen.
Zu verdanken haben die beiden Männer ihre Lebensrettung dreierlei Umständen: Zunächst der Ehefrau des Mössingers, den wir, weil er anonym bleiben möchte, im Folgenden deshalb Herrn Glück nennen. Hätte sie nicht zufällig ihren Mann in der misslichen Lage entdeckt und umgehend den Notruf unter der 112 angerufen, wäre wertvolle Zeit verstrichen.
An diesem Nachmittag wollte Herr Glück eine Reparatur an einer Gummidichtung im Erdlager vornehmen. »Ich sagte meiner Frau, dass ich gschwind in den Schacht runtersteige«. Nichts Außergewöhnliches, zumal er die kleine Anlage bereits seit 2007 ohne Vorkommnisse betreibt und dafür auch kein CO-Warnmelder vorgeschrieben ist. »Ich hob den Deckel hoch und schraubte die Abdeckung ab, stieg in den zwei Meter tiefen Raum. Dann wurde es mir plötzlich komisch.«
Seine Frau, die ums Haus unterwegs war, entdeckte ihren Mann regungslos im halbdunklen Lager auf dem Pelletshaufen liegen. »Ich dachte an einen Herz-Kreislauf-Vorfall und rief sofort die Rettungsleitstelle an«. Ein Nachbar eilte zur Hilfe. »Er stieg in den Schacht hinab, um meinen Mann rauszulupfen, brach dann aber über ihm zusammen.« Trotz dieses Schocks behielt die Frau die Nerven und rief erneut bei der Leitstelle an. Zwischenzeitlich hatten sich Einsatzkräfte der Feuerwehr und des DRK bereits auf den Weg gemacht. Die Rettungskette lief vorbildlich an. Indem die Freiwilligen umgehend und zielsicher unter Atemschutz den Verunglückten Sauerstoff zuführten, konnte die weitere Giftzufuhr gestoppt werden.
Zur Rettung setzten die Feuerwehrhelfer ein Höhensicherungsgerät ein. Einen Dreibaum, den sie über der Schachtöffnung errichteten. Über eine Seilwinde konnten sie die Verunglückten aus dem Schacht ins Freie bringen. Dort übernahmen Notarzt-Teams des DRK und die Besatzungen zweite Rettungshubschrauber die Patienten und setzten die Sauerstofftherapie fort.
Die dritte und maßgebliche Maßnahme war die Verlegung der Patienten in zwei Druckluftkammern nach Ludwigsburg und ins Bundeswehrkrankenhaus nach Ulm. Über Stunden bekamen die Patienten unter Überdruckbedingungen medizinisch reinen Sauerstoff zugeführt. HBO heißt diese medikamentenfreie Therapie, bei der die Patienten "unter hyperbarer Atmosphäre eine Oxygenation" erhalten.
In der Kammer wird der Luftdruck auf das Dreifache des normalen Drucks erhöht. Über eine Maske atmen die Patienten den Sauerstoff über die Lunge ein, wodurch dieser vermehrt in die Blutflüssigkeit gelangt und sich dort löst. So können auch Körperbereiche, die wegen ihrer Lage schlecht versorgt werden, in ausreichendem Maße Sauerstoff erhalten. Laienhaft ausgedrückt: Das Gift wird aus dem Körper gepresst.
Glück wurde in das Druckkammer-Centrum eingeliefert, ein Privat-Institut für Tauch- und Überdruckmedizin im Klinikum Ludwigsburg (DSC 1). Hier werden neben Notfall- auch ambulante Patienten mit Hörstürzen, Heilungsstörungen nach Knochenverletzungen und (seit 2017 als Kassenleistung) auch diabetische Fußprobleme nebenwirkungs- und risikoarm erfolgreich behandelt.
Glücks erste Behandlung dauerte rund drei Stunden, die Folgebehandlung tags darauf etwas weniger. Es folgten anderthalb Wochen Nachbehandlung an der Uni-Klinik Tübingen und bereits nach Ostern eine dreiwöchige Reha in Allensbach. »Ich musste viele Dinge wieder lernen, beispielsweise das Schuhe binden. Das Kurzzeitgedächtnis hat gelitten«. Als »alltagstauglich« entlassen, durfte er im Juni nach Hause, um kurz darauf eine abschließende sechswöchige Reha in Gailingen anzutreten. Jetzt fühle er sich wieder »recht fit« und wolle seinen Bürojob in einem Reutlinger Beratungsunternehmen wieder aufnehmen.
»Die Sauerstofftherapie hat mir das Leben gerettet, zumindest mich vor Spätfolgen bewahrt«, ist sich Glück sicher, der sich bei der Feuerwehr mit einem kleinen Fest bedankte. Umso fassungsloser ist er, dass seine Techniker Krankenkasse die Kosten von rund 5.100 Euro für die Druckkammerbehandlung nicht übernehmen will. Die TK schreibt: »Für die HBO-Behandlung ist der diagnostische beziehungsweise therapeutische Nutzen nicht nachgewiesen. Deshalb dürfen die gesetzlichen Krankenkassen keine Kosten dafür übernehmen.«
Patienten sollen gegen Kassen klagen
Ralf Schäfer ärgert das jedes Mal. Der Feuerwehrgutachter ist im Nebenjob Geschäftsführer der DCS – eigentlich ein landesweites Behandlungszentrum, aber nur auf dem Papier. Sein Team mit rund 30 Pflegern und Ärzten – die größtenteils (wie im Hospiz oder der Feuerwehr) im freiwilligen Bereitschaftsdienst arbeiten – erhält jedes Jahr rund 80 Anfragen für Notfallpatienten. Nur: weil das Land Baden-Württemberg keine gesicherte 24-Stunden-Versorgung verankert hat, ist es für Schäfer bei jedem, vor allem nächtlichen Einsatz ein Glückspiel, ob sich ein Betreuungsteam findet. »Der Bedarf ist riesig, aber die Politik will nicht. Das Sozialministerium meint, man könne nachts auf die Druckkammern in Hessen oder Nordrhein-Westfalen zurückgreifen«, schimpft Schäfer. Diese Bundesländer finanzieren einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb, »und deren Kassenbeitragszahler die Patienten aus Baden-Württemberg mit«. Er empfiehlt den Patienten, die auf ihren Rechnungen sitzen bleiben, vor dem Sozialgericht zu klagen: »Je mehr sich wehren, desto wahrscheinlicher wird ein höchstrichterliches Urteil, der den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen dazu zwingen wird, die HBO-Behandlung als Kassenleistung zu übernehmen.« (GEA)