TÜBINGEN. Es sind intime Geschichten, die die knapp 30 Mitarbeiter des Samariterstifts miteinander teilen. Viele kennen sich nicht, kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen: aus der Hauswirtschaft, der Verwaltung, der Pflege. Die Geschichten sollen sie näher zusammenbringen, das Eis brechen. »Meine ist eine Katastrophen-Geschichte«, erzählt ein Pfleger. »Nachts alleine im Haus - auch noch an meinem Geburtstag - komme ich in ein leeres Zimmer, der Wasserhahn läuft, das Fenster ist offen. Es waren Minus 17 Grad draußen. Und dann sehe ich die Spuren im Schnee.« Glücklicherweise wurde der schwer demente Heimbewohner nur leicht unterkühlt rechtzeitig gefunden. Trotzdem: Das wäre vielleicht nicht passiert, wenn mehr Menschen an diesem Abend im Einsatz gewesen wären.
Die Zustände in der deutschen Pflegelandschaft sind nicht gut. Es mangelt an qualifiziertem Fachpersonal, an Nachwuchs und am Geld. Doch die Mitarbeiter des Samariterstifts wollen den Kopf nicht in den Sand stecken und die Prozesse von innen heraus optimieren. Dafür hat Mitarbeiter Frank Starz federführend einen Workshop in die Räume der Tübinger Stephanusgemeinde gebracht. Beim »Samariter-Festival« in der evangelischen Kirche haben sich über 30 Mitarbeiter des Stifts getroffen und zusammen erarbeitet, wie sie die Pflege für sich und die Patienten verbessern können.
Kreativität statt Vorträge
Das Konzept des Workshops ist noch recht jung. »Wir haben für die gesamte Mitarbeiterschaft im vergangenen Jahr in Nürnberg gute Erfahrungen damit gemacht«, sagt Starz. »Da dachte ich mir: Das möchte ich auch für Tübingen und Reutlingen haben.« Wie damals auch führen zwei Prozessbegleiterinnen - Katrin Sickora und Petra Prospoparis - durch die Veranstaltung. Die zwei Frauen kennen sich mit den Herausforderungen im Pflegeberuf bestens aus und begleiten Transformationsprozesse. »Viel Druck, kaum Zeit - aber die braucht man eigentlich, um sich gegenseitig austauschen zu können«, erklärt Prospoparis. Das sei auch das erklärte Ziel des Workshops: Hürden erkennen, Chancen ergreifen. »Und Wertschätzung gewinnen und vermitteln«, ergänzt Sickora. Am Ende des Tages soll ein gemeinsames Zukunftsbild entstehen, wie man besser zusammenarbeitet.
Dabei setzen die Prozessbegleiterinnen nicht auf Vorträge und Zahlenwerk, sondern auf Kreativität. Die erste Aufgabe mutet abstrakt an: Die Workshop-Teilnehmer sind angehalten, eine Art Diorama vom Ist-Zustand der Pflege zu erstellen. Ein Pfleger entscheidet sich für ein Knäuel-Element aus bunten Pfeifenputzern: »Alles hängt irgendwie zusammen und ist miteinander verwoben«, interpretiert der Mann - und wirft die Frage auf, wie viele Putzer man entfernen müsste, um das Knäuel - analog zu einer Einrichtung - zum »Einsturz« zu bringen. Auf einem Tisch daneben liegen Münzen auf Treppenstufen, nach denen sich eine Figur bückt - ein Symbol für die schlechte Finanzlage?
Aller Abstraktion zum Trotz: Leiterin Susanne Gilde vom Haus im Tübinger Mühlenviertel benennt ganz konkrete Problemfelder. »Es ist sehr schwer, ausreichend motivierte und gute Mitarbeiter zu finden«, sagt sie. Notwendige Leiharbeiter »schlagen ins Budget.« Ein anderer Punkt: steigende Standards. Die seien grundsätzlich gut, aber »die Politik will den Wandel, dabei fehlt der Blick auf die Realität«, kritisiert Gilde. Es werde beschlossen, ohne ausreichend gegenzufinanzieren - ähnlich, wie es auch auf kommunaler Ebene zurzeit laufe.
An Veranstaltungen wie heute müsse man aber festhalten, ist die Hausleiterin überzeugt. Das unterstreicht Mitarbeiter Starz: »Wer weiß, was sich in Zukunft verändert, wenn aus allen Arbeitsbereichen alle zusammen am Tisch sitzen.« Wenn es nach ihm ginge: sicherlich etwas Gutes. (GEA)