TÜBINGEN. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ist ein beliebter Gast bei TV-Talkrunden. Ob bei Maischberger oder Markus Lanz oder Caren Miosga: der prominente Schultes der Unistadt wird offenbar gerne eingeladen. Jüngst saß er in der Sendung der Ex-Tagesschau-Sprecherin Pinar Atalay auf ntv. Hier traf er auf den Co-Parteichef der AfD, Tino Chrupalla. Zentrale Fragen dabei waren: Braucht es eine Annäherung an die in Teilen als rechtsextrem eingestufte Partei? Oder eine Zusammenarbeit mit den Populisten, oder soll man die AfD sogar mitregieren lassen?
Offenbar weil Boris Palmer über diese Fragen bereits gesprochen hatte und wegen seines Streitgesprächs auf offener Bühne mit dem baden-württembergischen AfD-Landeschef Markus Frohnmaier (MdB) in Tübingen, war er von Atalay eingeladen worden. Vor diesem Hintergrund diskutierten die drei im Fernsehstudio zunächst über die, von massiven Protesten begleitete, Zusammenkunft der AfD im hessischen Gießen. Dort hatte sich am letzten Novemberwochenende die neue Jugendorganisation der AfD gegründet, die sich »Generation Deutschland« nennt.
»Die Leute sollen das Original sehen. Was die da sagen. Ich lehne das jedenfalls ab«
Als für ihn befremdlich beschrieb Palmer den dortigen Auftritt einer jungen AfD-Funktionärin, die aus Filderstadt stamme: "Sie hat millionenfache Remigration aus unserem Land gefordert, und zwar unter tosendem Applaus. Da schaudert's mich", so Palmer. Diese Aussage allein zeige, dass die neue Jugendorganisation rechtsradikaler sei, als der Rest der Partei. Die Veranstaltung in Gießen mache aber erneut deutlich, dass man sich weiterhin inhaltlich und pragmatisch mit dieser Partei auseinandersetzen müsse: »Die Leute sollen das Original sehen. Was die da sagen. Ich lehne das jedenfalls ab«, sagte Palmer.
Er fügte mit Blick auf AfD-Chef Chrupalla neben ihm, ein weiteres Beispiel hinzu. Dieser habe bei der Talk-Sendung Markus Lanz neben einem russischen Dissidenten gesessen, der zwei Giftanschläge überlebt habe. »Gleichzeitig haben Sie da die russische Politik verteidigt. Das ist doch an Empathielosigkeit kaum zu überbieten. Da muss einem klar werden: Den kann man doch nicht wählen. So einer darf in unserem Land keine Verantwortung bekommen.«
»Die Migranten sind nicht die Kostentreiber im städtischen Haushalt«
Palmers Gegenüber, Tino Chrupalla, argumentierte mehrfach, dass niemand mehr im politischen Deutschland seine Partei, die ja bei 25 bis 27 Prozent Zustimmung liege, ausgrenzen könne. Die AfD sei zudem die einzige Partei gewesen, die frühzeitig die Probleme im Zusammenhang der Masseneinwanderung erkannt hätte. »Das stimmt ja nicht«, konterte Palmer, um dann zu ergänzen: »Bei uns in Tübingen haben wir einen positiven Migrationseffekt, weil die Mehrheit der Menschen arbeitet. Allein etwa 4.000 Wissenschaftler aus anderen Ländern forschen bei uns. Die Migranten sind nicht die Kostentreiber im städtischen Haushalt.«
Im Laufe der TV-Diskussion attestierte Palmer der AfD mangelnde Wirtschaftskompetenz und ein wirtschaftsfeindliches Programm. Er habe es gelesen und können nur hoffen, dass es nicht realisiert werde. Sein Beispiel dazu: »Die baden-württembergische Wirtschaft exportiert etwa 60 Prozent in die EU. Die AfD will aber letztendlich, dass Deutschland aus der EU austritt.« Dann breche die Wirtschaft zusammen. Arbeitnehmer könne er deshalb im eigenen Interesse nur aufrufen, die AfD eben nicht zu wählen.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass 25 Prozent der Deutschen diese ganzen Positionen auch nur im Entferntesten mittragen«
Als Chrupalla erneut darauf hinwies, dass seine »25- bis 27-Prozent-Partei« nicht zu ignorieren sei, antwortete Palmer: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass 25 Prozent der Deutschen diese ganzen Positionen auch nur im Entferntesten mittragen.« Die Menschen müssten die Positionen der AfD erkennen.
Gegen Ende der Sendung kam Gastgeberin Pinar Atalay auf Palmers Äußerungen zu sprechen, wonach ein Mitregieren der AfD in ostdeutschen Bundesländern für ihn vorstellbar wäre. Palmer führte aus: »Wenn diese Partei bei 40 Prozent liegt, dann ist das eine Notlage. In einer solchen Notlage stelle ich mir eine kontrollierte Machtbeteiligung vor. Das würde bedeuten: Sie dürfen weder den Ministerpräsidenten stellen, noch das Innenministerium, noch das Justizministerium bekommen und auch nicht den Posten des Polizeipräsidenten.« Bei einer Regierungsbeteiligung würde dann schon erkennbar, was es bedeute, wenn die AfD Verantwortung bekäme.
Dies alles seien Gedanken mit Blick auf dann kommende Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern: »Ich mache mir Gedanken, wie man in Ostdeutschland eine absolute Mehrheit für die AfD bei Wahlen in einigen Jahren verhindern kann. Auf Dauer funktioniert das nicht mit einer Regierungskoalition aus allen anderen Parteien.« Die Politik müsse sich so oder so über den zukünftigen Umgang mit der AfD Gedanken machen: »Da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen«, meinte Palmer gegen Ende der Sendung. (GEA)

