TÜBINGEN. Ein schmuckloser, grauer Einband. Einfache Bindung. 156 Seiten Text plus ausführlicher Bibliographie. Nichts deutet darauf hin, dass der Autor dieses Buches vier Jahrzehnte später zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Welt zählen wird: Die Dissertation von Papst Leo XIV. - eine Rarität in Deutschland.
Als das Werk 1987 erschien, hieß der Autor noch Robert Francis Prevost, war Pfarrer und schon als Missionar in Peru unterwegs. Die Doktorarbeit trägt den Titel »The office and authority of the local Prior in the Order of Saint Augustine«. Es geht also um die Rolle des Priors in dem Orden, dem der 32-Jährige angehörte. Einzelne Kapitel befassen sich mit Autorität und Dienst oder Autorität und Gehorsam.
Tübingen sammelt für alle
Die Tübinger sind in Sachen Theologie bestens sortiert und offensichtlich fix bei der Beschaffung von Neuerscheinungen. Schon im Dezember 1987 wurde die im selben Jahr in Rom gedruckte Dissertation Teil der umfangreichen theologischen Sammlung. Tübingen hatte in dieser Zeit vier Sondersammelgebiete und somit alles vorrätig, was der Wissenschaftler braucht in den Themenfeldern Theologie, Religionswissenschaften, Kriminologie und Alter Orient. Inzwischen haben sich die Sondersammelgebiete zu »Fachinformationsdiensten« gewandelt, und den Alten Orient hat man abgegeben. Aber die Idee ist die Gleiche: Keine Uni kann alles haben, deswegen spezialisiert man sich. Andere Unis decken mit ihren Diensten andere Fächer ab.
Martin Faßnacht an der Uni-Bibliothek Tübingen weiß: In anderen Bibliotheken in Deutschland ist das Buch nicht zu kriegen. Und für Nutzer gelten besondere Regeln. Die Dissertation mit der Signatur 7 E 3468 darf nur an Ort und Stelle im Handschriftenlesesaal der UB eingesehen werden. Nach der Papstwahl hat man das Buch zudem in einen dunkelgrauen Schutzkarton gesteckt.
Das Urheberrecht ist streng
Während Studenten und Wissenschaftler viele Werke nur noch online lesen, bleibt ihnen dieser Zugriff bei der päpstlichen Doktorarbeit verwehrt. Die urheberrechtlichen Regeln sind streng. Der Inhalt darf nicht einfach digitalisiert und allgemein zugänglich gemacht werden. Wer drin blättern will, muss sich schon herbemühen oder nachvollziehbar machen, wieso er digitale Auszüge für die eigene wissenschaftliche Arbeit braucht. Immerhin: Das Inhaltsverzeichnis dürfen die Tübinger ins Netz stellen. Damit sich die Neugierigen schon mal vorab einen Eindruck verschaffen können.
Wer auf die Webseite der Unibibliothek geht, findet den Hinweis auf die Rarität und die besonderen Nutzungsbestimmungen. Zwei Handvoll Interessenten haben sich seither gemeldet, die Einblick nehmen wollten, sagt Faßnacht. Darunter ein Wissenschaftler der Uni Harvard. Laien dürften wenig Spaß an der Lektüre haben. Es handelt sich um trockene kirchenrechtliche Materie. Faßnacht: »Man erfährt nichts über Leo XIV. persönlich.« (GEA)