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Aktuell Entsorgung

Tübingen gibt Müllabfuhr an den Kreis zurück

Mit einer Mehrheit stimmte der Tübinger Gemeinderat dafür, die Entsorgung von Rest- und Biomüll zurück an den Kreis zu geben und den laufenden Vertrag zu kündigen. Damit ist die Privatisierung der Müllabfuhr aber noch nicht beschlossen - denn die Stadt will über ein Sondermodell mit dem Kreis verhandeln. Das steht indes auf wackligen Füßen.

Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB, von ver.di und zahlreiche Müllwerker protestieren vor dem Tübinger Rathaus gege
Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB, von ver.di und zahlreiche Müllwerker protestieren vor dem Tübinger Rathaus gegen eine mögliche Privatisierung der Müllabfuhr. Foto: Paul Runge
Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB, von ver.di und zahlreiche Müllwerker protestieren vor dem Tübinger Rathaus gegen eine mögliche Privatisierung der Müllabfuhr.
Foto: Paul Runge

TÜBINGEN. Zahlreiche Proteste, Kundgebungen und auch die zuletzt handschriftlich gesammelten 2.000 Unterschriften konnten die Entscheidung nicht verhindern: Mit einer klaren Mehrheit von 29 Stimmen hat das Tübinger Gremium in der jüngsten Gemeinderatssitzung beschlossen, die Müllabfuhr zurück an den Kreis zu geben, den bestehenden Vertrag auf den 31. Dezember 2026 - den frühstmöglichen Termin - zu kündigen. So erhofft sich die Verwaltung, jährlich rund 600.000 Euro einsparen zu können. Das heißt aber nicht, dass die Entsorgung, die bislang die Kommunalen Servicebetriebe Tübingen (KST) übernehmen, automatisch in die Hand eines privaten Unternehmens geht. Denn es gibt eine dritte Möglichkeit: die Gründung einer Kommunalanstalt von Stadt und Kreis, die in Zukunft die Abfuhr von Rest- und Biomüll übernehmen soll. Dadurch wäre es möglich, die KST vergaberechtsfrei mit der Müllentsorgung zu beauftragen.

Worum geht es beim Streit um den Müll?

Normalerweise ist die Müllentsorgung Aufgabe des Landkreises. Die Stadt Tübingen hat nun aber vor Jahrzehnten per Vertrag mit dem Kreis vereinbart, eine eigene Müllabfuhr zu beschäftigen. Die macht zwar einen verlässlichen und zufriedenstellenden Job, ist dafür aber teurer als ein privates Unternehmen - was nicht zuletzt an guten Löhnen und Arbeitsbedingungen liegt. Das jährliche Defizit beläuft sich mittlerweile auf rund 600.000 Euro - Geld, das in Zeiten einer desolaten Haushaltslage an anderer Stelle gebraucht werden könnte.

Aufgrund des Vertragswerks und einer darin enthaltenen Preisgleitklausel können die Gebühren nicht einfach erhöht werden, um den wirtschaftlichen Verlust gegenzufinanzieren. Und ein neuer Vertrag ist auch kaum möglich - weil die Dienstleistung europaweit ausgeschrieben werden müsste und die teure aber qualitativ hochwertige Tübinger Müllabfuhr mit den günstigen Konditionen der anderen Unternehmen wohl nicht konkurrieren könnte. (pru)

Diese Lösungsvariante ist jedoch nicht ohne Tücken und hängt insbesondere von der Bereitschaft des Landkreises ab, diesem juristisch exotischen Konstrukt eine Chance geben zu wollen - und solch ein Bekenntnis vermisst Oberbürgermeister Boris Palmer bislang. »Ich glaube nicht, dass der Landkreis da mitmacht«, erklärte der OB vor dem Gremium. Baubürgermeister Cord Soehlke ergänzte: »Wir haben schon vor zwei Jahren intensiv darüber diskutiert und es gab nicht einen Akteur beim Landkreis, der signalisiert hätte, die Entsorgung mit einer Kommunalanstalt zu regeln.«

Unverzügliche Verhandlungen

Trotzdem sagte der Gemeinderat auf Antrag der SPD mehrheitlich die Bereitschaft zu, eine Kommunalanstalt zu gründen und »unverzüglich« mit dem Landkreis in Verhandlungen einzutreten. Sollten diese Verhandlungen allerdings scheitern, wäre der Vertrag trotzdem gekündigt - und die Privatisierung die wahrscheinliche Folge.

Das offengehaltene Hintertürchen in Form einer neu zu gründenden Kommunalanstalt hätte den Vorteil, dass die Müllentsorgung in der gewohnten Qualität weiterhin erhalten bleiben könnte. Die Krux: Für die Tübinger würde es teurer werden. Denn um die Kosten für die Müllabfuhr aus dem laufenden Haushalt zu tilgen und damit das Defizit einzusparen, müsste die Müllabholung durch Gebühren gegenfinanziert werden. Die Verwaltung rechnete in der Vergangenheit mit einer Gebührensteigerung von rund 30 Prozent - was laut SPD-Fraktionsvorsitzendem Florian Zarnetta den einzelnen Haushalt ungefähr sieben Euro monatlich mehr kosten würde: »Das entspricht etwa einer Falaffel im Monat.« Ein Verzicht, der für gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen der Müllwerker durchaus gerechtfertigt sei.

Personalrat sieht Lösung als Gewinn

Eine Einschätzung, die KST-Personalrat Horst Erdmann teilt. »Ich bin bezüglich der höheren Müllgebühren mit vielen Bürger ins Gespräch gekommen. Es gab nicht einen, der sich daran stören würde«, erklärte Erdmann auf GEA-Nachfrage. Selbst die »Oberbruddler« hätten nicht überzeugt werden müssen, dass Mehrkosten für eine saubere Stadt das Geld wert seien. Die Lösung in Form einer Kommunalanstalt sehe Erdmann als Gewinn. »Ich bin gestern mit einem richtigen Hochgefühl nach Hause gegangen«, gab der Personalrat zu. Da nun aber viel von den Verhandlungen mit dem Kreis abhänge, wolle man dort das Gespräch suchen - so, wie man es auch schon bei der Stadt gemacht habe. Unsicherheit verspüre er keine. »Meine persönliche Hoffnung ist, dass der neue Landrat, der Ende des Jahres kommt, auf dem Schirm hat, dass die Tübinger Bürger die Müllabfuhr behalten wollen.«

Von derartiger Beschwingtheit war im Gemeinderat wenig zu spüren. »Wir stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand und mit der Pistole auf der Brust«, meldete sich Grünen-Gemeinderat Christian Mickeler zu Wort. Die Mengen an Müll, die produziert werden würde, könne er ohnehin nicht verstehen. »Und diese Dekadenz mit Steuergeldern zu subventionieren, ist nicht einzusehen« - weshalb die Grünen dem Antrag auf Vertragskündigung zustimmten. Ebenso wie die Tübinger Liste: »Wenn wir die Müllabfuhr abgeben, ist das keine Kritik, sondern eine Situation, die sich im Haushalt widerspiegelt«, sagte Thomas Unger.

Uneinigkeit in der CDU

Anne Kreim (FDP) zeigte sich dem alternativen Lösungsweg über eine Kommunalanstalt offen, zog aber zugleich die klare Konsequenz aus der gegenwärtigen Verhandlungslage: »Da sich die Landkreis diesbezüglich noch nicht geäußert hat, stimmen wir heute der Vertragskündigung zu.« Die CDU-Fraktion stimmte indes uneins ab. »Herzensthemen aufzugeben, das fällt alles andere als leicht«, sagte Julia Mayer. Müllentsorgung sei aber Landkreisaufgabe, weshalb man der Kündigung zustimmen könne. »Hauptsache, die Arbeiter werden weiter innerhalb der KST beschäftigt.« Fraktionskollege Rudi Hurlebaus würde das Geld lieber sparen, indem die Stadt den Zuschuss zum Deutschland-Ticket streiche. »Da gebe ich lieber Geld für aus, dass der Müll vernünftig weggebracht wird.« Und ob es nachher bei einem privaten Diensleister wirklich billiger wäre, sei auch noch nicht klar.

Geschlossen dagegen stimmte die Linke - insbesondere aus Gründen der sozialen Ungleichheit. »Warum sollen wir uns als Kommune an dieser asozialen Abwärtsspirale mit eingebauter Tarifflucht beteiligen?«, fragte Gerlinde Strasdeit mit Blick auf private Müllentsorger. Fraktion und Klimaliste orientierten sich am Antrag der SPD. (GEA)