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Sozialverträglich? Zoff um Sanierung in Bodelshausen

In Bodelshausen saniert die Kreisbaugesellschaft Tübingen derzeit mehrere Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 64 Wohnungen. Die Mieter leben in einer Baustelle - und die Nerven liegen blank. Ein Baustellenbesuch.

In Bodelshausen leben die Bewohner dieser Mehrfamilienhäuser derzeit in einer Baustelle. Ist dies unzumutbar,  oder die sozialst
In Bodelshausen leben die Bewohner dieser Mehrfamilienhäuser derzeit in einer Baustelle. Ist dies unzumutbar, oder die sozialste Lösung? Foto: Alexander Thomys
In Bodelshausen leben die Bewohner dieser Mehrfamilienhäuser derzeit in einer Baustelle. Ist dies unzumutbar, oder die sozialste Lösung?
Foto: Alexander Thomys

BODELSHAUSEN. Die Reportage in der linksalternativen Tageszeitung »taz« im August liest sich skandalträchtig: Die Kreisbaugesellschaft Tübingen saniert in Bodelshausen mehrere Mehrfamilienhäuser, die Bewohner sind gezwungen, in einer Baustelle zu leben - trotz Asbestbelastung, dafür mit Sanitärcontainern vor den Häusern. Einer Familie, die sich mit dem Bauleiter angelegt haben soll, wurde von die Kreisbau fristlos gekündigt. »Die anderen sind schockiert«, heißt es effektheischend in der taz. Die Mieten würden zudem um 36 Prozent steigen. Die Stoßrichtung des Artikels ist klar: Vermittelt wird das Bild einer Baugesellschaft, die wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse ihrer Mieter nimmt und saniert, um mit Mieterhöhungen das große Geld zu machen.

Die Kreisbaugesellschaft, deren Aufsichtsratsvorsitzender Landrat Joachim Walter ist, rückt das in ein schlechtes Licht. Zurecht? Auf GEA-Anfrage lädt Kreisbau-Geschäftsführer Matthias Sacher zu einer Baustellenbegehung. Bauleiter Markus Hedrich vom Generalunternehmer »B&O Bau« aus Stuttgart und Holger Flaisch, Technischer Leiter bei der Kreisbau, begleiten Sacher zu dem Termin. Zunächst berichtet der Kreisbau-Chef vom ursprünglichen Zustand der Wohngebäude in der Teck- und Roßbergstraße. Errichtet wurden die Gebäude Ende der 1960er-Jahre, ungedämmte Außenhüllen, alte Fenster. Energieklasse F. Dazu: Balkone aus Beton-Elementen, die »statisch nicht mehr stabil« gewesen seien. »Nach mehr als 50 Jahren ist ein Punkt erreicht, wo eine grundlegende Sanierung nötig ist«, fasst Sacher die Ausgangslage zusammen. Auch, um die politischen Klimaziele zu erreichen. Bei der Kreisbau gelten bereits 70 Prozent der 2.400 Mietwohnungen als energetisch saniert. »Wir erreichen über alle Mietwohnungen hinweg einen durchschnittlichen Kohlenstoffdioxidausstoß von 17 Kilogramm pro Quadratmeter«, sagt Sacher. »Das ist ein hervorragender Wert.«

»Nach mehr als 50 Jahren ist ein Punkt erreicht, wo eine grundlegende Sanierung nötig ist«

Bislang habe die Kreisbau im »entmieteten Zustand« saniert, berichtet Sacher. Wie zuletzt etwa in Pliezhausen. Dort wurden Mehrfamilienhäuser über zweieinhalb Jahre bis zum Rohbau zurückgebaut und grundlegend modernisiert. »Das heißt aber auch, alle Mieter müssen vorher raus«, betont Sacher. In Bodelshausen sei dies keine Option gewesen, geht es hier doch um insgesamt 64 Mietwohnungen mit rund 100 Bewohnern. Die Kaltmiete liegt mit 6,42 Euro pro Quadratmeter sehr günstig - und unter dem Durchschnitt des Bodelshausener Mietspiegels. »Uns war klar: Das wird nicht funktionieren«, sagt der Kreisbau-Geschäftsführer. Im eigenen Bestand habe es nicht genügend freie Mietwohnungen gegeben, im überhitzten Wohnungsmarkt im Kreis Tübingen hätten die Bewohner große Probleme gehabt, bezahlbare Wohnungen zu finden. »Und wir hätten mit Kündigungen die sozialen Netzwerke, die hier entstanden sind, zerschlagen«, gibt Sacher einen weiteren Aspekt zu bedenken. »Wir wollen aber ein verlässlicher Partner für unsere langjährigen Mieter sein. Und wir wollten auch keine halbherzigen Lösungen.«

Die durchaus ambitionierte Lösung: Sanieren im Bestand, während die Mieter in ihren Wohnungen verbleiben. Mit dem Generalbauunternehmen »B&O« wurde der Zeitplan kalkuliert: Jede Wohnung sollte in zwei Monaten modernisiert werden, das ganze Bauvorhaben nicht länger als neun Monate dauern. »Das ist ein absolut sportlicher Zeitplan«, sagt Bauleiter Markus Hedrich. Ende 2024 gab es eine Mieterversammlung, anschließend jeweils zwei Vorbegehungen. »Dabei kamen auch Wünsche auf Seiten der Mieter auf, etwa nach Erneuerungen der Türen«, berichtet Sacher. Darauf wurde eingegangen. Wer Möbel nicht alleine zur Seite räumen konnte, den unterstützte der Hausmeisterservice der Kreisbau - kostenlos. »Wir haben sogar Toiletten und Duschen auf bereits sanierten Balkonen eingerichtet, wenn der Weg zu den Sanitärcontainern für mobilitätseingeschränkte Mieter nicht zumutbar war.« Dazu gehört aber auch: »Wir können den Mietern nur bis vor den Kopf schauen«, sagt Sacher. Heißt: Nicht alle meldeten Unterstützungsbedarf an. Und mancher Mieter dürfte die Belastungen unterschätzt haben, die eine solche Baustelle mit sich bringt. Etwa, wenn es nachts auf dem Weg zur Toilette plötzlich regnet.

»Einem Handwerker wurde mit der Faust ins Gesicht geschlagen, er erlitt einen Jochbeinbruch«

Probleme brachten auch Umbauten mit sich, die langjährige Bewohner ohne das Wissen der Kreisbau erledigt hatten. So wurde etwa Laminat in Eigenregie verlegt - und als die gewünschte, neue Türzarge eingebaut war, klaffte plötzlich ein Spalt im Boden. Unmut kam auf. Und entlud sich - teils auf unangemessene Art und Weise. »Einem Handwerker wurde mit der Faust ins Gesicht geschlagen«, berichtet Bauleiter Hedrich. Die Folge: Ein Jochbeinbruch. Es folgten Strafanzeige und Kündigung. »Bei einem tätlichen Angriff müssen wir das Mietverhältnis kündigen«, betont Holger Flaisch von der Kreisbau. Bei einem zweiten Vorfall wurde Bauleiter Hedrich selbst tätlich angegangen - und rief die Polizei. Auch in diesem Fall wurde eine Kündigung ausgesprochen. Während eine Kündigung angenommen wurde, läuft das zweite Verfahren noch. »Man kann mit uns sprechen, dann lösen wir Probleme. Aber Gewalt kann kein Mittel sein, um seine Ziele zu erreichen«, betont Geschäftsführer Sacher. Die Kreisbau hat zusätzlich reagiert: Es wurde eigens ein Ansprechpartner eingestellt, der zu regelmäßigen Zeiten vor Ort für die Mieter da ist. Und mitunter auch als Blitzableiter fungiert. »Wir wollen ein zuverlässiges Unternehmen für unsere Mieter sein«, sagt Sacher einmal mehr.

Die Mehrfamilienhäuser in Bodelshausen wurden in den 1960er-Jahren erbaut.
Die Mehrfamilienhäuser in Bodelshausen wurden in den 1960er-Jahren erbaut. Foto: Alexander Thomys
Die Mehrfamilienhäuser in Bodelshausen wurden in den 1960er-Jahren erbaut.
Foto: Alexander Thomys

In einer tatsächlich leerstehenden Wohnung zeigen Sacher, Hedrich und Flaisch, wie die Mieter künftig leben werden. Aus einem engen Badezimmer und einem noch engeren WC ist ein großer Raum geworden - ein Mini-Flur und Wände zwischen den Bereichen sind verschwunden. »Wir erreichen damit eine deutlich höhere Barrierefreiheit«, betont Sacher. Zwar würden die Altbauten nicht hundertprozentige Barrierefreiheit erreichen, durch das größere Badezimmer würde aber vieles vereinfacht, etwa auch die Unterstützung durch Pflegekräfte bei der Hygiene oder dem Toilettengang. Die Bewohner konnten entscheiden, ob eine Badewanne oder eine Dusche eingebaut werden sollte. Dazu kommen die absehbaren Einsparungen bei den Nebenkosten - die Energieeffizienzklasse C soll nach der Sanierung mindestens erreicht werden.

9 Millionen Euro werden von der Kreisbau in Bodelshausen investiert. Daher steigen nach der Sanierung auch die Mieten - um zwei Euro pro Quadratmeter. Bei den größten Wohnungen, die 89 Quadratmeter umfassen, wäre dies eine Mieterhöhung um 178 Euro. Demgegenüber stehen die erwarteten Einsparungen bei den Nebenkosten, die je nach Verbrauch variieren können. »Es ist uns ein großes Anliegen, dass es zu keiner Verdrängung kommt«, betont Kreisbau-Geschäftsführer Sacher. Gänzlich ohne Mieterhöhungen lasse sich die Sanierung aber nicht finanzieren. Und Sacher betont: »Würden wir die sanierten Wohnungen neu vermieten, dann zu 12 bis 14 Euro pro Quadratmeter.«

»Aufgrund der Asbestbelastung war das Landratsamt mehrfach vor Ort. Es gab keine Beanstandungen«

Die große Frage ist nun: Wie geht es weiter? Die Kreisbau hat für Dienstagnachmittag zu einer Mieterversammlung eingeladen, um Missverständnisse aufzuklären und denjenigen Mietern, deren Gebäude erst noch saniert werden, aufzuzeigen, was da auf sie zukommt. Große Verunsicherung brachte auch das Thema Asbestbelastung. Tatsächlich war der gesundheitsgefährdende Baustoff in einem Fliesenkleber auf den Balkonen entdeckt worden, in der schwer gebundenen Form - eine Gesundheitsgefährdung der Mieter hat deshalb nie bestanden, auch wenn die fachgerechte Entsorgung natürlich notwendig war. »Das ist auch geschehen. Das Landratsamt war, auch wegen der medialen Berichterstattung, mehrfach vor Ort«, sagt Hedrich. »Es gab keine Beanstandungen.«

Kreisbau-Geschäftsführer Matthias Sacher, Bauleiter Markus Hedrich und Holger Flaisch, Technischer Leiter bei der Kreisbau, in e
Kreisbau-Geschäftsführer Matthias Sacher, Bauleiter Markus Hedrich und Holger Flaisch, Technischer Leiter bei der Kreisbau, in einem der neuen Badezimmer (die Duschkabine ist im Vordergrund nicht zu sehen). Diesen Raum teilten sich früher Badezimmer, WC und ein Flur. Foto: Alexander Thomys
Kreisbau-Geschäftsführer Matthias Sacher, Bauleiter Markus Hedrich und Holger Flaisch, Technischer Leiter bei der Kreisbau, in einem der neuen Badezimmer (die Duschkabine ist im Vordergrund nicht zu sehen). Diesen Raum teilten sich früher Badezimmer, WC und ein Flur.
Foto: Alexander Thomys

Denn Kommunikation, das wird immer wieder deutlich, scheint das Wichtigste zu sein, um ein solches Projekt mit den Mietern durchzuziehen. Und doch geht die mediale Kritik, der Unmut mancher Mieter und vor allem auch die gewalttätigen Angriffe nicht spurlos an den Verantwortlichen vorbei. Als nächstes, erklärt Sacher, stünde eine solche Sanierung auf Waldhäuser-Ost in Tübingen an. 101 Wohnungen sind dort betroffen - im überhitzten Wohnungsmarkt der Unistadt würde eine Sanierung ohne »Entmietung« sicher vielen Bewohnern zupasskommen. »Wir stellen das aber gerade infrage«, sagt der Kreisbau-Geschäftsführer offen. Wie dann die Kritik ausfallen würde, wenn die Kreisbau einen Großteil des Objektes leer stehen lassen würde, bis die letzten Mieter im Zweifel herausgeklagt wären, kann man sich leicht ausmalen.

Die Ideallösung, das wird bei der Baustellenbesichtigung deutlich, gibt es nicht. In Bodelshausen startete die Kreisbaugesellschaft einen ambitionierten Lösungsversuch. Ob dieser am Ende doch als Erfolg gewertet wird, dürfte sich am Dienstagabend bei der Mieterversammlung entscheiden. Oder in einigen Monaten, wenn sich die Lage nach der Sanierung wieder beruhigt hat. Ein Mehr an Lebensqualität bringt die Sanierung auf jeden Fall - offen bleibt die Frage, wie die Bewohner dann auf die Zeit in der bewohnten Baustelle zurückblicken werden. (GEA)