TÜBINGEN. Martin Böger kann seine Wahl noch nicht so richtig fassen. Am Dienstagabend wurde er zum neuen Dekan des Kirchenbezirks Tübingen gewählt. Damit muss der 38-Jährige erst einmal lernen umzugehen. Er tritt in einer Zeit sein neues Amt an, in der einiges im Umbruch ist. Der evangelischen Kirche stehen schmerzhafte Einschnitte bevor. »Vieles ist in Bewegung«, sagt der Theologe. Das löse zwar einerseits Ängste aus, berge aber auch Chancen zur Veränderung. Die Kirche müsse jetzt so gestaltet werden, dass »auch kommende Generationen noch gestalten können«.
In einem komplexen Verfahren wurde Böger für zehn Jahre gewählt. Viele Gremien mischen dabei mit, berichtet die Vorsitzende der Bezirkssynode Christine Lichtenberger-Maier. Vertreter der Tübinger Stiftskirchengemeinde und dem Gesamtkirchengemeinderat, der Schuldekan, Mitglieder der Bezirkssynode und des Kirchenbezirksausschusses wählen den Dekan oder die Dekanin. Im Fall des Kirchenbezirks Tübingen sind das 35 Menschen. Es genügt dabei eine Stimme Mehrheit. Zuvor allerdings wählt schon der Oberkirchenrat und der Landeskirchenausschuss aus den eingegangenen Bewerbungen höchstens drei Kandidaten aus. Im Falle von Tübingen waren es zwei Bewerber. Danach wird beobachtet, wie die Kandidaten Gottesdienste feiern. Bei der eigentlichen Wahlsitzung stellen sie sich dem Gremium dann umfangreich vor und werden anschließend befragt.
»Nicht jeder Kirchturm wird künftig eine Pfarrstelle haben«
Martin Böger hat das alles hinter sich. Und jetzt eine spannende Zeit vor sich. Einziger Wermutstropfen: Derzeit ist er noch Pfarrer in der Tübinger Eberhards-Kirchengemeinde. Eine Gemeinde, wie am sie sich besser nicht vorstellen kann, erzählt er. Die Gottesdienste sind gut besucht, die Mitglieder sehr engagiert. Mit dem Weggang von Böger werden sie die Pfarrstelle verlieren, fünf Jahre früher als im Pfarrplan eigentlich vorgesehen. Das zeigt gleichzeitig, wohin die Reise in den kommenden Jahren in der Kirche geht. »Nicht jeder Kirchturm wird künftig eine Pfarrstelle haben«, sagt die derzeit noch amtierende Dekanin Elisabeth Hege.
Die Kirche hat mit vielen Kirchenaustritten zu kämpfen. Hege konnte ihr Amt noch unter vergleichsweise stabilen Verhältnissen ausüben. Nur moderate Eingriffe seien nötig gewesen. Aber Böger wird in einer Zeit des Umbruchs sein Amt antreten. Seit Corona hat sich die Zahl der Kirchenaustritte deutlich erhöht. Dazu kommt der demografische Wandel. Die größte Gruppe, die noch Kirchensteuer zahlt, ist die Boomer-Generation. Sie stellt aber auch die meisten Pfarrer, die nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben einen Anspruch auf Altersversorgung haben. Die jüngeren Jahrgänge kommen kaum nach. Das ist nur eines der Probleme: »Manchmal geht es gar nicht ums Geld, sondern um die Menschen«, sagt Lichtenberger-Maier. Es gebe schließlich auch einen deutlichen Rückgang bei den ausgebildeten Pfarrern und Pfarrerinnen.
»Ich bin euphorisch, aber auch in gewisser Habachtstellung«
Böger tritt sein Amt dennoch mit großer Zuversicht an. »Ich bin euphorisch, aber auch in gewisser Habachtstellung.« Klar ist für den Theologen aber eines: »Das wird die Kirche in ihren Grundfesten nicht ins Wanken bringen.«
Aufgewachsen ist Böger in Albstadt-Ebingen in einem sehr kirchennahen Elternhaus. Die Kirchengemeinde in Albstadt sei sehr vielfältig - von ganz liberal bis streng pietistisch. Das Theologiestudium in Neuendettelsau, Zürich, Berlin und Tübingen habe er sehr genossen, erzählt Böger. Das Vikariat brachte ihn nach Ulm-Wiblingen, in einen sozialen Brennpunkt in der Donaustadt. Von 2017 bis 2020 war er Repetent am evangelischen Stift in Tübingen. Nach der Promotion trat er seine Pfarrstelle in der Eberhards-Kirchengemeinde an.
Böger liebt die Vielfalt seines Kirchenbezirks. »Das ist unsere Stärke.« Viele unterschiedliche Strömungen sind unter dem Dach der evangelischen Kirche vereint. Dabei gehe es auch um die grundsätzliche Frage, »was uns alle zusammenhält.« Der künftige Dekan freut sich auf sein Amt und auf seine Mitarbeiter. Er übernehme schließlich ein Dekanat, das »super gut funktioniert«. Gemeinsam mit Anderen wolle er etwas aufs Gleis setzen. »Da freue ich mich drauf.« Sein Familienleben will er dafür aber nicht opfern. Schließlich ist er gerne Vater von drei Kindern.
Die Wahl ist entschieden. Wann genau Böger sein Amt antritt, steht noch nicht fest. Spätestens am 1. November wird es sein. Da beginnt der Ruhestand von Elisabeth Hege. (GEA)