TÜBINGEN. Die Work-Life-Balance - also das gesunde Gleichgewicht zwischen Arbeit und der restlichen Lebenszeit - wird für viele Menschen immer wichtiger. Das gilt auch für die Freunde Christian Ludwig und Christoph Hauser. Die 37-Jährigen kennen sich von Kindesbeinen an, haben beide für große internationale Unternehmen gearbeitet und dann ihre gut bezahlten Jobs aufgegeben.
»Wir hatten einfach keine Lust mehr auf die Konzernstrukturen. Da geht es nur um Gewinnmaximierung, alle sind vom Geld getrieben«, sagt Ludwig, der Betriebswirtschaftslehre studiert und 15 Jahre in Frankfurt gelebt und gearbeitet hat. Hauser hatte es zeitweise bis nach Mexiko-Stadt verschlagen, sein Geld verdiente er in der Unternehmensentwicklung.
Jetzt sind die alten Freunde in ihre Heimatregion zurückgekehrt und haben vergangenen Jahr die Personalvermittlung Steinlach GmbH mit Sitz in Tübingen gegründet. »Hier wollen wir etwas zurückgeben«, sagt Ludwig, der in Bodelshausen aufgewachsen ist. Um das zu erreichen, haben die jungen Männer einen Plan geschmiedet: Bei einer Vier-Tage-Woche gehört der fünfte Tag dem Ehrenamt - und zwar in dem Bereich, in dem sie so viel Expertise haben: der Personalvermittlung. An einem Tag in der Woche suchen Ludwig und Hauser nach passenden Kandidaten für offene Stellen bei der Stadt Tübingen. Kostenlos. »Im April sind wir in Mössingen bei Oberbürgermeister Michael Bulander eingeladen und schlagen ihm das Gleiche vor«, erklärt Hauser, der selbst aus der Steinlach-Stadt kommt.
Personalmangel vor allem im sozialen Bereich
Der Kontakt nach Tübingen war schnell hergestellt: eine Mail an OB Boris Palmer, eine Weiterleitung an den verantwortlichen Ressortleiter, eine kurze Vorstellung, wie die Freunde zu helfen gedenken - fertig. »Zuerst dachte die Stadt, wir wollen ihr was verkaufen«, sagt Ludwig und lacht. Dann sei die Hilfe aber schnell angenommen worden. Die Positionen, an denen es mangelt, liegen vor allem im sozialen Bereich. »Allein bei den Erziehern gibt es knapp hundert offene Stellen«, weiß Ludwig. »Ein Viertel derer, die eine städtische Ausbildung abschließen, arbeiten nachher gar nicht in der Kommune«, setzt Hauser nach. »Die würden aber nach einer gewissen Zeit gern aus der freien Wirtschaft wieder zurückwechseln.«
Häufig sei es so, dass diese Leute über die gängigen Berufsportale und -netzwerke nach kommunalen Jobs suchen, diese aber nicht finden. »Viele Kommunen schreiben in diesen Business-Netzwerken ihre Positionen nicht aus und sind somit für viele Interessenten unsichtbar.« Tübingen habe als Arbeitgeber nicht einmal eine LinkedIn-Seite. »Und da passiert alles«, sagt Ludwig mit Blick auf das internationale Job-Netzwerk. Die Unistadt sei bislang eine passive Gemeinde, die zwar auf Bewerbungen reagiere, aber zu wenig unternehme, um aktiv zu suchen. »Und da kommen wir ins Spiel«, sagt Ludwig.
Stadt bestätigt Vermittlungsvorschläge
Ist ein geeigneter Kandidat oder eine geeignete Kandidatin gefunden, wird in einem ersten Telefonat abgetastet, ob es grundsätzlich passt. Dann folgt ein konkretes, intensives Gespräch. »Es ist viel wichtiger, dass die Persönlichkeit ins Unternehmen passt, als dass sich der Lebenslauf gut liest«, weiß Hauser. So ließe sich auch viel ehrlicher herausfinden, warum eine Person ihren Job wechseln oder sich beruflich neu orientieren wolle. Dann werden die potenziellen Mitarbeiter schließlich an die Personalabteilung der Stadt Tübingen vermittelt. »Ob das letztendlich erfolgreich ist, wissen wir nicht. Wir sind die Mittelsmänner«, erklärt Ludwig.
Da kann die Stadtverwaltung Licht ins Dunkel bringen: »Eine Stellenbesetzung hat sich daraus bisher noch nicht ergeben.« Man habe aber bereits einige Vermittlungsvorschläge erhalten und sich auch bei potenziellen Kandidaten gemeldet. »Wir freuen uns über das Kooperationsangebot. Es wurde vereinbart, dass die Steinlach Personalberatung unverbindlich und im Rahmen ihrer Zeitressourcen ihre Netzwerke nutzt, um der Stadt Personalvorschläge für den Sozial- und Erziehungsbereich zu vermitteln.« Davon erhoffe sich die Stadt Kandidaten, die sich noch nicht auf dem »klassischen Wege« beworben hätten.
Auch beratend tätig
Ergibt sich die Gelegenheit, werden Hauser und Ludwig auch beratend tätig. »Kommunen sind häufig sehr ihren bestehenden Strukturen verhaftet«, sagt Hauser. Das sehe man gut am Beispiel der Bewerbungsfristen. Heute seien gute Kandidaten in zwei Wochen weg vom Markt, manche Fristen aber auf Monate angelegt. »Das ist absolut überflüssig«, denkt Ludwig. Das Instrument sei heute schlicht nicht mehr effektiv.
Was die Unternehmer aber nicht machen: Menschen abwerben. »Das verlagert das Problem, das wir lösen wollen, doch nur«, so Ludwig. Dann fehle nachher nur eine dringend benötigte Erzieherin in Ofterdingen. Zudem widerstrebe das ihrem Grundgedanken: etwas Gutes für Tübingen und das Steinlachtal zu tun. »Wir können unsere ehrenamtliche Arbeit nur deshalb machen, weil wir die Region kennen und uns mit ihr identifizieren«, sagt Ludwig.
Ihr Konzept eventuell auf Mössingen auszuweiten, verdopple indes die Arbeit nicht. Im Gegenteil: »Da können wir Synergien nutzen.« Am Ende entscheide der Kandidat, in welcher Stadt er lieber arbeiten wolle. Und wer weiß - vielleicht hilft ein freundschaftlicher Konkurrenzkampf auch dabei, verkrustete Strukturen aufzubrechen und Einstellungsprozesse in Zukunft zu beschleunigen. (GEA)