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Wie man in Tübingen mit Widerstand beim Klimaschutz umgeht

Boris Palmer über die richtigen Strategien bei der Umsetzung von Klimaschutz: Lieber direkt als die Leute einzulullen.

Der Tübinger OB Boris Palmer hat ganz unterschied-liche Erfahrungen bei der Umsetzung von Projekten gemacht. FOTO: KREIBICH
Der Tübinger OB Boris Palmer hat ganz unterschiedliche Erfahrungen bei der Umsetzung von Energie-Projekten gemacht. Foto: Joachim Kreibich
Der Tübinger OB Boris Palmer hat ganz unterschiedliche Erfahrungen bei der Umsetzung von Energie-Projekten gemacht.
Foto: Joachim Kreibich

TÜBINGEN. Windräder, Wasserkraftwerke, Solarparks und andere Formen der Energie-Erzeugung: Sie treffen nicht immer auf Zustimmung. Mitunter sind viele Widerstände zu überwinden, bevor Anlagen gebaut werden können. Boris Palmer hat als OB in allen Bereichen Erfahrungen gemacht. Beim Jubiläum »25 Jahre Südweststrom« plauderte der Rathauschef, zugleich Vorsitzender des Aufsichtsrats bei den Stadtwerken, aus dem Nähkästchen und verriet, wie man am besten mit Widerstand umgeht.

Skeptische Zwischenrufe haben den streitbaren OB nie entmutigt. Bedenken wie »hält das Modell? Geht es nicht bald kaputt?« sind durch sorgfältige Prüfung zu entkräften. Einige hätten stets befürchtet, man zahle für den übergroßen Ehrgeiz des OB beim Klimaschutz einen hohen Preis. Ihnen hält der viel Kritisierte die jährlichen Bilanzen der Stadtwerke vor die Nase – mit einem Rekordergebnis gerade im Krisenjahr 2023, als die Energiekosten für die Allgemeinheit nach oben schossen.

»Es regt die Leute auf, wenn man versucht, sie schläfrig zu moderieren«

Palmer verhehlt nicht, dass es Rückschläge gab. Tübinger Beteiligung an einem Windpark in der Nordsee und an einem Kohlekraftwerk in Brunsbüttel? Das endete mit Enttäuschungen.

Ein großes Problem ist die Bürokratie. Palmers Parade-Beispiel dafür sind die Lustnauer Ohren – Photovoltaikanlagen zwischen den Fahrbahnen an den Auf- und Abfahrten zur B 27. Ganz grob: Bis zur Genehmigung hat’s acht lange Jahre gedauert, Bauzeit dann ultrakurze acht Wochen. Das Regierungspräsidium hatte schwerwiegende Einwände: von einer möglichen Blendwirkung für Autofahrer bis zur Tatsache, dass die kleinen Areale als Ausgleichsflächen für den Naturschutz eingetragen waren. Tübingen musste Ersatz an anderer Stelle finden und dort Sträucher pflanzen. Immerhin: Fürs dritte Ohr reichten dann schon zwei Jahre Planungszeit.

Manchmal geht es aber auch darum, den richtigen Moment zu erwischen. 2019 ergab sich so eine Gelegenheit. Die Demos von Fridays-For-Future brachten in der Unistadt bis zu 10.000 Menschen auf die Beine und machten großen Eindruck auf alle. Die Sprecher der Listen für den Gemeinderat gaben auf Nachfrage der Aktivisten ausnahmslos zu Protokoll, auch sie würden dafür plädieren, dass die Unistadt bis 2030 klimaneutral wird.

Palmer machte damals die Probe aufs Exempel. Konstituierende Sitzung des neuen Gremiums. Einziger Tagesordnungspunkt außer den Formalien: Tübingen soll bis 2030 klimaneutral werden. Beschluss: einstimmig. Der OB beschreibt es als »politisches Judo: im richtigen Moment einhaken, rumwirbeln und an der richtigen Stelle landen«.

»Es gibt Menschen, die aus Prinzip dagegen sind – und es auch bleiben«

Gegenwärtig wird eine andere Diskussion intensiv geführt. Das Engagement der Tübinger für Windkraft in Starzach. Palmer macht sich nichts vor: »Es gibt Leute, die aus Prinzip dagegen sind – und es auch bleiben.« Da wird nicht viel Einsicht zu erzielen sein. Das hält er für vergebliche Liebesmüh. Den anderen aber rechnet der OB vor, welchen Nutzen sie selber daraus ziehen können. Die Gemeinde würde hohe Einnahmen aus Pacht und Gewerbesteuer bekommen – das aktuell finanziell arg gebeutelte Starzach wäre alle Sorgen los und dazu noch Vorzeigekommune bei erneuerbaren Energien.

Bei öffentlichen Veranstaltungen wählt der 51-Jährige lieber den direkten Weg: Die Vorbehalte ansprechen, die eigenen Argumente vorbringen. »Was die Leute aufregt ist, wenn man versucht, sie schläfrig zu moderieren.« Oft kämen lange Sachvorträge von Experten, ergänzt von umfangreichen Plänen und Statistiken. Den Gegnern werde erst sehr spät das Wort erteilt. Davon hält der Rathauschef nichts. »Das bringt nichts. Das erzeugt nur ein Gefühl von Ohnmacht.« In Starzach sei seine direkte Botschaft dagegen gut angekommen, zwei Ortschaftsräte hätten einstimmig pro Windkraft votiert.

Dem Vorwurf, Tübingen mache Starzach zu seiner Energie-Kolonie, begegnet der ehemalige Grüne mit dem Hinweis, dass man auch an der südlichen Grenze mit Dußlingen kooperieren will, obwohl dort die Wind-Bedingungen schlechter sind. Das Projekt auf den Härten zwischen Kusterdingen und Wankheim hingegen, fällt wieder unters Stichwort »Behinderung durch Bürokratie«.

»Im richtigen Moment einhaken, das ist politisches Judo«

Ausgerechnet diesen Korridor hält die Bundeswehr für Hubschrauberflüge frei. Die Flugroute wäre leicht um 300 Meter zu verschieben, sagt Palmer, »und alles wäre gut«. Doch auf irgendwelche Zeichen von Flexibilität warte man bisher vergebens.

Im Übrigen setzt Palmer noch einen Trick ein, damit sich seine Botschaft in Klima-Belangen besser einprägt. Immer wenn’s um diese Themen geht, zieht er seinen knallblauen Anzug an. Nicht weil er ihn so schön findet, sondern weil sich die Leute dann an ihn und die Dauer-Kampagne »Tübingen macht blau« erinnern. Das wirkt. Er ist sogar auf der Klimakonferenz in San Francisco darauf angesprochen worden. (GEA)