KUSTERDINGEN. Nach der Vereidigung des neuen Kusterdinger Gemeinderates und dem Gruppenfoto stürmte Lena Kühn aus dem Ratssaal. Auf dem Flur flossen die Tränen. »Das ist so unfair. Wie soll ich das machen?«, sagte Kühn und schneuzte ins Taschentuch. »Ich bin berufstätig und habe drei Kinder.« Sie wollte doch gar nicht in den Gemeinderat. Aber warum hat sie dann kandidiert? Die von ihr geltend gemachten »Hinderungsgründe« akzeptierte das Gremium in einer Abstimmung mehrheitlich nicht. Gewählt ist gewählt, so der Tenor. »Sowas muss man sich vorher überlegen«, raunte schon vorher durch den Saal im Publikum. »Damit im Nachhinein zu kommen, ist nicht akzeptabel«, sagte Michael Gassler (FWV). »Das ist eine Verarsche am Wähler.«
Ablehngründe nicht akzeptiert
Zuvor hatte Hauptamtsleiterin Claudia Marinic noch versucht, die »familiären« Ablehnungsgründe darzustellen. Kühn kandidierte für den Ortschaftsrat Immenhausen ebenso wie für den Gemeinderat und wurde in beide Gremien gewählt. Ihr Ehrenamt im Ortschaftsrat möchte sie antreten. »Ich war auf den hinteren Listenplätzen und habe nicht mit meiner Wahl gerechnet«, so Kühn nach der Abstimmung. »Das war eine doofe Idee.« Sie habe nicht einmal gewusst, dass der Kusterdinger Gemeinderat üblicherweise mittwochs tagt. An diesem Tag hat sie keine Zeit. Bürgermeister Jürgen Soltau, der ihre Gründe akzeptiert hätte, entgegnete: »Bis zur Verpflichtung haben Sie aber schon noch Zeit?«. Kühn erhielt rund 2.000 Stimmen. Im Wahlkampf hatte sie versprochen, sich besonders für die Belange von Familien und ein lebendiges Dorfleben einzusetzen. Außerdem brauche es bessere Begegnungsmöglichkeiten für Jung und Alt.
Dem Gemeinderat missfiel, dass auch Nachrückkandidat Thomas Nielebock »wichtige Gründe« geltend machte, das Amt abzulehnen. Er lehnte die Tätigkeit im Hinblick auf sein Alter und seine langjährige Tätigkeit im Ortschaftsrat ebenfalls ab. Erst der zweite Nachrücker Burkhard Schall (1082 Stimmen) hätte als nächste und letzte Ersatzperson der Härtenliste das Mandat akzeptiert. »Er hat nur halb so viele Stimmen wie die Gewählte«, sagte Jörg Kautt nach der Sitzung. »Es kann ja nicht sein, dass sich die Liste selbst heraussucht, wer in den Gemeinderat einzieht.« Dafür gebe es schließlich demokratische Wahlen.
»Sie alle haben das große Los gezogen«, sagte Bürgermeister Jürgen Soltau lächelnd. »Die nächsten fünf Jahre bestimmen Sie die Geschicke ihrer Heimatgemeinde.« Monatlich gebe es von der Verwaltung ein dickes Paket mit Informationen und einige Abende seien ebenso planbar wie Seniorenbesuche. »Allerdings werden die finanziellen Voraussetzungen in den nächsten Jahren schwieriger«, so der Bürgermeister ernst: Gleichbleibende oder geringere Einnahmen, hohe Umlagen und große Investitionen.
Der letzte Gemeinderat habe 50 Sitzungen absolviert, davon einige mit Überlänge. Die Ratsmitglieder mussten sich durch 750 Sitzungsvorlagen ackern und erhielten als »Gesichter der Gemeinde« aus der Bevölkerung nicht immer nur positive Rückmeldungen.
Projekte der vergangenen Jahre
Als Meilensteine führte Soltau das Neubaugebiet in Wankheim, die Sanierung der Turnhalle in Kusterdingen, den neuen Kanal in der Mozartstraße, die Einrichtung barrierefreier Bushaltestellen sowie den Bau und die Ertüchtigung von Kindertageseinrichtungen an. Ein Schwerpunkt sei das Energiemanagement gewesen. Mit einem Quartierskonzept möchte Kusterdingen beispielsweise einen aktiven Beitrag gegen die Klimaerwärmung leisten. Dazu wurde die Bürgerschaft ausführlich beteiligt. Vom Land gibt es 1,8 Millionen Euro Zuschuss.
Als kommende Großprojekte hob Soltau den Windpark Großholz und den PV-Aufbau an den »Wankheimer Ohren« heraus. Die Biotopverbundplanung soll dem Artensterben entgegenwirken.
»In den letzten fünf Jahren haben wir 38 Millionen Euro investiert und gut gehaushaltet«, sagte Soltau. Es sei gelungen, viele Fördermittel einzuwerben und keine neuen Schulden zu machen. »Wir haben manchmal kontroverse Diskussionen und sind nicht immer einer Meinung«, so Soltau. Differenzen würden mit Wertschätzung ausgetragen. Dennoch sei es so, dass Gemeinderat und Verwaltung an einem Strang ziehen: »und zwar in dieselbe Richtung.« Er wünsche sich auch künftig, dass sich der Gemeinderat nicht als Opposition sehe. Soltau: »Wir haben dasselbe Ziel, Kusterdingen voranzubringen.«
Der Kusterdinger Gemeinderat nahm nach der offiziellen Verpflichtung gleich seine Arbeit auf. Aus der Mitte des Gremiums wurde Elvira Hornung (FWV) zur ersten ehrenamtlichen Stellvertreterin von Bürgermeister Soltau gewählt. Zweite ehrenamtliche Stellvertreterin ist künftig Vera Ambros (Härtenliste), der dritte Stellvertreter ist Adam Dürr (FWV) und die vierte Vertreterin ist Gudrun Witte-Borst (Härtenliste). (GEA)