TÜBINGEN. Nüchtern von einem »Brand mehrerer Holzbaracken« berichtete das Polizeipräsidium Reutlingen am Mittwochmorgen um 3.31 Uhr. Da war die Feuerwehr schon mehrere Stunden im Einsatz- und konnte ein Übergreifen der Flammen auf den Baumarkt und das angrenzende Waldstück gerade noch verhindern. Für die »Holzbaracken« selbst kam jede Hilfe zu spät, sie brannten bis auf die Grundmauern nieder. Wie gefährlich der Einsatz war, machen große Gasflaschen deutlich, die sichtlich unter dem Brand gelitten haben und nun an einer Ecke der Brandruine aneinandergereiht stehen.
In den Schuttbergen selbst ist am Donnerstagnachmittag ein Brandermittler mit seinem Spürhund unterwegs. In Kontaminationsschutzkleidung führt er seinen Hund vorsichtig durch die Brandruine und sichert Spuren. Andere Ermittler nehmen ihm so manches Teil ab und fotografieren es neben einem Meterstab auf dem Boden. »Der Brandort bleibt als möglicher Tatort weiterhin beschlagnahmt, das Betreten also verboten«, erklärt Christian Wörner von der Pressestelle der Polizei auf GEA-Anfrage. »Die Ermittlungen zur Brandursache, zu denen auch ein Sachverständiger hinzugezogen wurde, dauern weiterhin an. Wann mit einem Ergebnis gerechnet werden kann, ist derzeit nicht absehbar.« Während die Brandursache ermittelt wird, stehen andere fassungslos vor den Trümmern ihrer kulturellen Existenz.
Zufluchtsort für die Musikszene
Denn die drei abgebrannten »Holzbaracken«, die einstmals wohl die Arbeiter einer nahegelegenen Firma beherbergten, waren nicht nur Lagerhallen. Vielmehr waren die Gebäude ein Zufluchtsort für die Musikszene geworden. Mindestens fünf Bands hatten dort zuletzt ihre Proberäume, berichtet Fabian Schaller. Der 45-Jährige war selbst mit seiner Punk-Rock-Band »Glad we met« dort untergebracht - und der Toningenieur, der als Set-Tonmeister in der Filmbranche tätig ist, hatte dort seinen Traum wahrgemacht: Ein eigenes Tonstudio. Erst kürzlich war nach 13 Jahren alles fertig. »Die Soundqualität bei den Testläufen war überragend«, berichtet der zweifache Vater, der über viele Jahre sein Erspartes in die Tontechnik investiert hatte. Ein sechsstelliger Betrag sei nun zu Staub zerfallen. »Man kann noch den Metallrahmen des Mischpultes sehen. Der Rest ist ausgebrannt, da ist alles kaputt.«
Am Morgen des Brandes sei ein Bekannter mit seinem Lastwagen an der Brandstelle vorbeigefahren - und hatte Schaller alarmiert. Gemeinsam mit mehreren Bandmitgliedern beobachtete der 45-Jährige fassungslos die Löscharbeiten. »Wir standen nebeneinander. Keiner konnte Worte finden.« Erleichtert war Schaller, als die Feuerwehrleute vermeldeten, dass niemand in den Gebäuden zu Schaden gekommen sei.
Lob für die Einsatzkräfte
Der Musiker lobt den Einsatz der Feuerwehrleute und Rettungskräfte: »Es ist irre, was die da im Einsatz leisten.« Und das bei widrigen Temperaturen: In der Nacht lagen die nur knapp über dem Gefrierpunkt. Die DRK-Bereitschaften aus Tübingen sowie Kirchentellinsfurt-Kusterdingen sicherten deshalb nicht nur die Erstversorgung der Feuerwehrleute bei deren körperlich anstrengender Arbeit, sondern versorgten sie auch mit kalten und waren Getränken und Mahlzeiten. Zudem bauten die DRK-Helfer zwei beheizte Zelte auf, in denen sich die Einsatzkräfte aufwärmen konnten.
Während die Zelte den Feuerwehrleuten halfen, suchen die Bands nun händeringend nach neuen Räumlichkeiten. »Wenn irgendjemand irgendjemanden kennt, der einen Proberaum im Raum Tübingen oder Reutlingen vermieten oder zur Verfügung stellen kann – bitte meldet euch«, heißt es etwa auf dem Facebook-Auftritt der Band »The Mash Ups«. Weiter heißt es dort, dass das Equipment ersetzt werden könne. Doch seien die Räumlichkeiten dort den Musikern ans Herz gewachsen. »Dieser Raum war mehr als nur vier Wände. Er war unser Herzschlag. Unser Zuhause. Jede Woche haben wir verdammt nochmal darauf hingefiebert, wieder in diesem Proberaum zu stehen und gemeinsam Musik zu machen.« Auch Fabian Schaller ist es wichtig, zu betonen, dass dort nicht nur drei »Holzbaracken« abgebrannt seien: »Es war ein wichtiger, kulturschaffender Ort, der da verloren gegangen ist.«
Einig sind sich indes wohl alle Bands in einem Punkt: Es soll weiter gehen. Und die Solidarität ist groß. Gast-Proberäume werden angeboten, ebenso wie Tontechnik für Konzerte. Glad-we-met-Schlagzeuger Rainer Paul hat bereits ein Konzert in Ulm im Juli bestätigt - nachdem seitens der Organisatoren bereits eine besorgte Anfrage erfolgte. Und auch die Mash-Ups schreiben: »Helft uns bitte, bitte, unsere Musik wieder zum Leben zu erwecken.« Viele Musiker leiden indes vor allem mit Fabian Schaller. Denn der 45-Jährige hat in seinen Tonstudios schon in der Vergangenheit viele Bands bei ihren Aufnahmen unterstützt. So schreibt die Tübinger Band »TFNRSH«, Schaller sei »für den fantastischen Sound auf unseren beiden Alben« verantwortlich. Und sie teilen einen Spendenaufruf auf »Gofundme«, wo bereits mehr als 6.500 Euro zugunsten des 45-Jährigen zusammengekommen sind.
»Ich kann es kaum glauben. Ich hätte das nie gedacht in einer Welt, die immer mehr verrückt zu spielen scheint«, sagt Schaller dankbar. Ein erster Lichtblick auf dem Weg, seinen Traum vom professionellen Tonstudio erneut wahr werden zu lassen. Der Toningenieur kann dabei jede Hilfe brauchen, denn versichert war die teure Technik in der Straße »Vor dem Großholz« nicht. Und das nicht freiwillig: »Ich hatte sogar einen Vor-Ort-Termin mit einem Versicherungsmakler. Aber in einer Holzbaracke ohne Heizung und Wasser - da ließ sich nichts versichern.« (GEA)