MANNHEIM/KIRCHENTELLINSFURT. Die Entscheidung der Richter ist noch nicht gefallen, aber es spricht vieles dafür, dass sie anders ausfallen wird, als alle Beteiligten gedacht haben. Nach Einschätzung des Vorsitzenden Richters des achten Senats im Verwaltungsgerichtshof Mannheim, Conrad Pfaundler, wird wohl die Normenkontrollklage des Fischereivereins Reutlingen gegen die Gemeinde Kirchentellinsfurt Erfolg haben. Allerdings nicht in erster Linie wegen der Gastronomie, der geplanten Wakeboard-Anlage oder des Sandstrands, sondern weil dort etwas versucht worden sei, was, so Pfaundler, rechtlich in dieser Weise nicht möglich ist: Man wollte über einen Bebauungsplan in einem Landschaftsschutzgebiet Ordnung am See schaffen. Die Maßnahmen seien zwar alle sinnvoll, aber so rechtlich nicht möglich. Es könnte also sein, dass der gesamte Bebauungsplan bald Makulatur ist.
»Welches städtebauliche Ziel wollten Sie erreichen?«, fragte der Richter die Vertreter der Gemeinde Kirchentellinsfurt. Er habe noch nie gesehen, dass Probleme an einem Baggersee mit einem Bebauungsplan gelöst werden. Dabei bezweifelte er nicht nur die Rechtmäßigkeit der im Plan vorgesehene Wakeboard-Anlage, sondern auch die der einzelnen Nutzungszonen.
»Es war Süddeutschlands größter Sexualtreffpunkt«
Die Gemeinde hatte auf diese Weise versucht, Ordnung an den See zu bekommen, erklärte Bürgermeister Bernd Haug den Richtern. »Unmögliche Zustände« hätten an dem See geherrscht, als er 2015 Bürgermeister wurde. »Es war Süddeutschlands größter Sexualtreffpunkt.« Damals sei von allen Beteiligten, einschließlich des Gemeinderats, der Wille da gewesen, das Thema anzupacken. »Es war ein großes kommunalpolitisches Erfordernis, Ordnung in und an den See zu bringen«, sagte Haug vor Gericht. Die Gemeinde sei bei diesem Vorhaben auch vom Landratsamt nach Kräften unterstützt worden.
Zum Konzept für den See gehörte auch eine Wakeboard-Anlage. Man habe die verschiedenen Interessen wie Fischerei, Freizeitnutzung und Parkplatz unter einen Hut bringen wollen, sagte Mike Kirchner, der Rechtsanwalt der Gemeinde. Die damaligen Besitzer, die IG Epple - bestehend aus vier Fischereivereinen -, hätten ihre wohlmeinende Zustimmung erklärt. Auch die Wakeboard-Anlage sei dabei eingeschlossen gewesen. Für den Fischbestand im See sei die Anlage sogar von Vorteil, sagte der Rechtsanwalt. Über die Anlage werde Sauerstoff in den sauerstoffarmen See gepresst.
Mittlerweile haben sich die Besitzverhältnisse geändert. Der Fischereiverein Reutlingen, dem der See nun gehört, störte sich an dem Bebauungsplan. Er greife stark ins Eigentums- und Fischereirecht ein, argumentierten die Fischer. Vor allem die geplante Wakeboard-Anlage war dem Verein dabei ein Dorn im Auge. Diesen Einwand konnte der Richter durchaus nachvollziehen. Schließlich könne man an einer derartigen Anlage »nicht ohne weiteres mit einem Fischerboot rumpaddeln«.
»Es wird mir schwindelig, wenn ich daran denke, was hier geplant ist«
Gut möglich, dass der Bebauungsplan nun vom Verwaltungsgerichtshof komplett gekippt wird. Allerdings weniger, weil er das Eigentums- oder Fischereirecht einschränkt, sondern weil er entscheidende Fehler aufweise, sagte Pfaundler: Die ordnungsrechtlichen Probleme am See seien nur mit Ordnungsrecht zu lösen. »Da müssen andere Behörden einschreiten.« Auch die Rechtmäßigkeit der Zoneneinteilung des Seeufers bezweifelte der Richter. Natur und Landschaft dürfe jeder frei betreten. Dieses Recht könne nur durch Einzelverordnungen eingeschränkt werden, nicht aber durch einen Bebauungsplan.
Aber vor allem liege der Baggersee im Landschaftsschutzgebiet. Dort dürften keine Veränderungen vorgenommen werden, die die Landschaft verschandeln. »Da wird es mir ganz schwindlig, wenn ich daran denke, was hier geplant ist.« Darüber hinaus seien die Parkflächen in einem Gebiet vorgesehen, das vom Regionalverband als Fläche für den Biotopschutzverbund vorgesehen sei. Außerdem: »Im Bebauungsplan steht einfach zu viel drin. Es wäre eine Jahresaufgabe, den Plan Satz für Satz auseinanderzunehmen.«
»Wir hätten den Plan nie so aufgestellt, wenn wir gedacht hätten, dass er uns um die Ohren fliegt«
Diese Einschätzung erstaunte Bürgermeister Haug. Sowohl Landratsamt als auch Regierungspräsidium und Regionalverband seien alle frühzeitig eingebunden worden. »Wir hätten den Plan nie so aufgestellt, wenn wir gedacht hätten, dass er uns um die Ohren fliegt.« »Durchaus unerwartet« sei der Verlauf der Sitzung gewesen, sagte Haug. Sollte die Entscheidung so fallen, wie sie sich bisher ankündigt, dann »wird es wohl nur Verlierer geben«. Und weiter: »Die Folgen können wir heute noch gar nicht ermessen.« Was werde nun aus den Vohrers, die das Kiosk am See betreiben, fragte sich der Bürgermeister. »Sie haben mehr als 500.000 Euro investiert.«
Auch der Fischereiverein, vertreten durch die beiden Vorstandsmitglieder Christian Becker, Gerd Schwarz und ihren Anwalt Thomas Würtenberger, kann noch nicht abschätzen, was der Richterspruch, sollte er so fallen wie es sich jetzt abzeichnet, für die Fischer bedeutet. Jetzt wolle man erst einmal die Entscheidung und die Begründung des Senats abwarten, sagte Würtenberger.
Nicht abzusehen ist auch, was es für die Vohrers heißt, wenn der Bebauungsplan gekippt wird. »Wir hatten eine Baufreigabe vom Landratsamt«, sagte Vildana Vohrer. »Es wäre natürlich schrecklich, wenn wir zurückbauen müssten.« Für die Familie wäre eine solche Entscheidung existenzgefährdend. Sie hatten im Vertrauen darauf, dass alles rechtmäßig ist, gebaut und viel Geld investiert. (GEA)