MANNHEIM/KIRCHENTELLINSFURT. Was sich bereits am Donnerstag bei der mündlichen Verhandlung vor dem achten Senat des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofes abzeichnete, wurde am Freitag bestätigt. Um 11.39 Uhr erhielt Kirchentellinsfurts Bürgermeister Bernd Haug die Nachricht, dass der Verwaltungsgerichtshof den Bebauungsplan für den Baggersee und die dazu erlassenen örtlichen Bauvorschriften in seinem Urteil für unwirksam erklärt hat. Gegen den 2018 erlassenen Bebauungsplan hatte der Eigentümer des Baggersees, der Fischereiverein Reutlingen, am 28. April 2023 geklagt - mit einem sogenannten Normenkontrollantrag vor dem Verwaltungsgerichtshof.
Die kurze Urteilsbegründung, die der Verwaltungsgerichtshof am Freitagmittag veröffentlichte, liest sich wie eine schallende Ohrfeige für die Gemeinde und das Landratsamt Tübingen, welches eng in die Abstimmungen des Bebauungsplans involviert war. Ein solcher Bebauungsplan sei schon 2018 »städtebaulich nicht erforderlich gewesen«, heißt es in der Urteilsbegründung kritisch. Auch würde für die vorgenommene Zonierung am »Epplesee« eine »Rechtsgrundlage im Baugesetzbuch weitgehend fehlen«. Der achte Senat wird deutlich: »In einem Bebauungsplan könnten weder die Ausübung des Gemeingebrauchs an einem oberirdischen Gewässer oder das Verhalten am Uferbereich, noch das Betreten der freien Natur und Landschaft sowie des Waldes geregelt, beschränkt oder verboten werden.« Gemeint ist damit: Was die Menschen auf und rund um den See tun (dürfen), lässt sich nicht durch einen Bebauungsplan regeln.
Zudem sahen die Mannheimer Richter in der im Bebauungsplan vorgesehenen Wakeboard-Anlage einen Rechtsbruch: Solche baulichen Anlagen seien im Landschaftsschutzgebiet »Mittleres Neckartal« nicht erlaubt und für diese Anlage »würde es aller Vorraussicht nach auch keine Befreiung geben«. Der Fischereiverein Reutlingen ist zufrieden mit dem Urteil. »Jetzt haben wir die Klarheit, die wir brauchen«, erklärt Gerd Schwarz aus dem Vorstand des Fischereivereins auf GEA-Anfrage. Zunächst aber wolle der Verein die Urteilsbegründung und die Rechtskraft des Urteils abwarten. Grundsätzlich sei man nach wie vor an einer Einigung interessiert, betont Schwarz: »Wir sind offen für Gespräche auf Augenhöhe, um eine für alle tragbare Lösung zu finden.«
Indes sieht sich der Fischereiverein zu Unrecht in der Kritik. »Wir üben nur die Rechte aus, die uns der Staat gegeben hat. Schließlich sind wir Grundstückseigentümer und Fischereirechteinhaber.« Insbesondere für die Badegäste strebe der Fischereiverein demnach »eine gute Lösung« an. Betont wird zudem, dass der Verein »keine vertragliche Beziehung zu den Gastronomen« und »auch nicht gegen die Gastronomen geklagt« habe. Indes könnte die Aufhebung des Bebauungsplans und die Betonung des Landschaftsschutzgebietes auch die baulichen Anlagen des Fischereivereins selbst gefährden. Hier geht der Verein allerdings von »Bestandsschutz« aus.
Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen
Ungewiss ist nun, wie es mit der Gastronomie und den Freizeitanlagen am Kirchentellinsfurter Baggersee weitergeht. Bekanntlich haben dort Vildana und Clemens Vohrer rund eine halbe Million Euro in einen Kiosk investiert, um das beliebte Ausflugsziel attraktiver zu machen. »Von einem Tag auf den anderen wird sich da sicher nichts ändern«, gibt Bürgermeister Haug Entwarnung für alle, die das Freizeitangebot gerne genutzt haben. Schließlich hätten die Vohrers nach einer vom Landratsamt erteilten Baugenehmigung gehandelt. »Diese müsste der Fischereiverein nun ebenfalls anfechten oder uns als Gemeinde die Pacht kündigen«, erklärt Haug, der indes ebenfalls die schriftliche Urteilsbegründung abwarten will. Eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde von den Mannheimer Richtern allerdings zunächst nicht zugelassen. Dagegen könnte die Gemeinde innerhalb eines Monats nach Zustellung der schriftlichen Urteilsbegründung eine Nichtzulassungsbeschwerde erheben.
Besorgt sind dagegen Vildana und Clemens Vohrer. »Für uns ist das existenzzerstörend«, sagt Vildana Vohrer. Fassungslos zeigt sich die Gastronomin, dass der gültige Bebauungsplan und die Baugenehmigung offenbar auf Sand gebaut gewesen seien. »Dass das Landratsamt das durchwinkt, darf einfach nicht passieren. Man hat uns ins Messer laufen lassen.« Für die Vohrers gäbe es nun ausschließlich offene Fragen. »Wir gehen davon aus, dass wir auf lange Sicht werden zurückbauen müssen. Doch wann genau, kann uns keiner sagen. Wir müssen in einem Schwebezustand leben.« Auch die rund zehn Saisonmitarbeiter, die in der Gastronomie am Baggersee mitarbeiten würden, hätten schon Angst um ihre Arbeitsplätze. Den Saisonstart am 1. Mai werde es - Stand heute, so Vildana Vohrer - dennoch geben. »Diese Saison werden wir noch mitnehmen, schließlich brauchen wir jetzt jeden Euro.« Mit dem Urteil gäbe es nun aber nur Verlierer, meint die zweifache Mutter: »Das Aus für die Gastronomie am See wird ein großer Verlust für die komplette Region.«
Landratsamt will schriftliche Urteilsbegründung abwarten
Den Schwebezustand, den die Vohrers beklagen, kann auch das Landratsamt aktuell noch nicht durch Klarheit ersetzen. Auf GEA-Anfrage verwies Martina Guizetti von der dortigen Pressestelle auf die noch fehlende schriftliche, ausführliche Urteilsbegründung. »Bevor wir eine öffentliche Einschätzung geben, bewerten wir das Ganze zunächst intern und sprechen zuerst mit den Beteiligten.« (GEA)