Wie kamen Sie dazu, Rapper zu werden?
Ingo Walter: Wie es dazu kam? Gute Frage, ich bin als 15-Jähriger mit der Schule nach New York geflogen und kam dort zum ersten Mal in Kontakt mit der Musik. Ich hab das eben auf der Straße erlebt, dass Leute Breakdance getanzt haben, dass die Musik überall war; ich hab mich dafür begeistert und dachte, das ist eine gute Möglichkeit, sich auch als junger Mensch musikalisch auszudrücken.
Wie waren Sie in der Schule und auf welcher Schule waren Sie?
Walter: Ich war in Nürtingen auf dem Hölderlin-Gymnasium, und ich würde sagen, ich war ein durchschnittlicher Schüler. Ich hab mich für viele Dinge mehr interessiert als für die Schule, unter anderem auch für die Musik oder meine Freizeitgestaltung. Ich war viel im Jugendhaus, da habe ich mich engagiert und auch Hip-Hop-Jams organisiert. So nennt man die Konzerte oder die Veranstaltungen, bei denen Rap-Musik, Breakdance und Graffiti aufgeführt werden. Das sind so die drei Kernpunkte der Hip-Hop-Kultur, und das hab ich damals total gelebt.
»Ich bin ein gutes Beispiel dafür, dass der 'gerade Weg' nicht immer der richtige Weg sein muss«Wie war Ihr Leben als Rapper?
Walter: Am Anfang hat sich mein Leben nicht großartig geändert. Solange ich auf der Schule war, war das ein reines Hobby. Dann mit 17, 18 habe ich unser erstes großes Konzert organisiert. Das war alles damals für einen guten Zweck. Und (räuspert sich) nach dem Abi hat sich das dann verschärft: Ich bin nach Stuttgart gezogen, in eine Szene, die schon ziemlich erfolgreich war. Da waren unter anderem die Massiven Töne, Freundeskreis, Afrob, also Rap-Bands, die schon einen Namen hatten. Wir waren der Nachwuchs von denen und sind dann so reingewachsen. Nach meinem Zivildienst und nach einem kurzen Jura-Studium hatten wir einen Plattenvertrag angeboten bekommen und dann hat sich mein Leben sehr stark verändert, weil dann aus dem Hobby ein Beruf wurde, was viele positive, aber auch negative Veränderungen mit sich brachte. Ich hatte die Möglichkeit, meinen Traum zu leben und ein interessantes Leben zu führen: Man trifft sehr viele interessante Leute, man ist unterwegs in ganz Deutschland, Österreich, Schweiz, auf Tour in Rumänien, auf vielen großen Festivals, auf denen man vor 20 000 bis 30 000 Leuten auftritt, aber halt auch in Jugendhäusern irgendwo in Bayern vor sieben Leuten. Also man erlebt wirklich alles Mögliche und klar gibt es dann irgendwann Fans. Das ist etwas ganz arg Seltsames, wenn man erstmals Autogramme schreiben muss, dann denkt man sich »Hey, ich bin doch eigentlich auch nur ein ganz normaler Junge, komisch!«. Es war eine interessante Zeit, eine lehrreiche Zeit, man sammelt Erfahrungen in der Musikbranche. Wenn man einen Plattenvertrag hat, bedeutet das ja auch, dass man Geld bekommt und dass die Labels etwas dafür verlangen - nämlich dass Du eine Platte ablieferst und die sollte dann am besten auch erfolgreich sein. Also man kommt mit Druck in Berührung, man muss Vorleistung bringen und das kann viel verändern, weil man vielleicht nicht mehr so frei ist in seinen Entscheidungen und man hat nicht mehr so viel Spaß.
Haben Sie die Texte selber geschrieben, und wenn ja: Schreiben Sie heute noch manchmal aus Langeweile oder so?
Walter: Also, wir haben alles selbst gemacht, sowohl die Beats selber produziert als auch die Texte selbst geschrieben. Heute schreibe ich ganz selten Texte, aber vielleicht kommt das eines Tages wieder. Allerdings würde ich heute keine klassische Rap-Musik mehr machen und auch über ganz andere Themen sprechen als damals. Ich war damals (zögert) ein spät pubertierender Teenager, der auch so ein bisschen seine proletige Seite ausleben wollte, aber das war schon in Ordnung . . . für damals.
Warum ist die Band auseinandergegangen?
Walter: (überlegt) Ich habe ja anfangs schon erwähnt, dass das Musikbusiness durchaus seine Tücken hat, und dass, wenn ein Hobby zum Beruf wird, das nicht immer nur positiv laufen kann. Bei uns war es so: Ich war Ende 24, als unsere erste Platte rauskam und die ist kommerziell gefloppt. Für mich stellte sich die Frage, will ich weiter Rap-Musik machen, das volle Risiko gehen und damit Geld verdienen, oder hab ich andere Ansprüche an mein Leben? Und für mich war klar, dass ich eines Tages noch etwas anderes machen will; ich wollte nicht mein ganzes Leben am Wochenende nachts auf Konzerten sein, meine Nächte im Studio verbringen, ein ganz unregelmäßiges Leben führen. Ich wollte unbedingt studieren, ich wollte Politik, Geschichte und Spanisch lernen. Das waren die Sachen, die mich richtig interessiert haben und ich wollte mehr wissen vom Leben. Das war einer der wichtigsten Gründe, warum ich am Ende ausgestiegen bin. Es war eine wunderschöne Zeit, aber ich bereue es auch nicht, dass ich aufgehört habe.
Warum sind Sie Lehrer geworden und was wollen Sie als Lehrer bewirken?
Walter: Anfangs wollte ich eigentlich nur die Fächer studieren, die mich interessiert haben, und dann hat mein Studiendekan mir beim ersten Gespräch an der Uni gesagt: »Studieren Sie doch auf Lehramt.« Er erklärte mir, dass man damit auch alle anderen Optionen hat und dann hab ich mir gesagt »okay, dann mach ich das eben.« Als ich in mein Praktikumssemester gegangen bin und erstmals Kontakt mit Schülern hatte, fand ich das sehr genial, weil ich gemerkt habe, ich kann einigermaßen gut mit jungen Leuten umgehen und ich hab schon auch was zu sagen. Das ist ein bisschen wie bei der Rap-Musik, da hat man ja auch was zu sagen. Man belehrt die Leute vielleicht über andere Dinge und manchmal unterhält man sie auch nur oder will sie schockieren oder rumalbern, aber man kann auch eine Nachricht verbreiten. Heute bin ich sehr glücklich, dass ich Lehrer geworden bin. Ich kann mir keinen anderen Beruf vorstellen. Ich bin das mit Leib und Seele, weil ich denke, dass das was sehr Sinnvolles ist, jungen Menschen auch was auf ihren Lebensweg mitzugeben. Das bedeutet nicht nur sachliche Inhalte, wie jetzt zum Beispiel eine korrekte Grammatik in Deutsch, sondern eben auch so was, dass man im Leben seinen eigenen Weg gehen sollte und auch versuchen, seine Träume zu leben. Gerade auch bei der Berufswahl. Ich bin ein gutes Beispiel dafür, dass der »gerade Weg«, also nach der Schule sofort ins Studium, dann sofort in den Beruf, vielleicht nicht immer der richtige Weg sein muss, sondern dass das jeder für sich selber rausfinden muss. Durch meine Vergangenheit hab ich schon auch eine einigermaßen gute Ansprache an junge Leute und kann zu vielen Sachen Stellung nehmen, die vielleicht mit Schule nicht unbedingt etwas zu tun haben, aber trotzdem wichtig sind. Ich will die Leute auf ihrem Weg zur Selbstständigkeit ein Stück weit begleiten. Also: Lehrer aus Leidenschaft!
Haben Sie es jemals bereut, dass Sie Lehrer geworden sind?
Walter: Nein!!! Also bis jetzt noch nicht. Natürlich gibt es Tage, an denen man denkt: »Was für ein Idiot bin ich? Jetzt mach ich hier diesen Beruf, arbeite mir einen ab und dann hock ich da vor Schülern, die einfach kein Interesse und keinen Bock haben.« Und du denkst, du hast gestern Nacht bis um zwei die Stunde vorbereitet, dir Mühe gegeben und »WOUAH!!!« Das sind so die kleinen Frusterlebnisse, aber die sind eher selten. Im Großen und Ganzen geben die Schüler einem so viel zurück. Es macht so wahnsinnig viel Spaß, man lernt auch selber immer weiter, und junge Leute sind einfach interessant und witzig - ihre Gedanken und auch ihre Meinungen zu bestimmten Themen. Als Lehrer ist jeder Tag anders, unberechenbar, und das macht den Beruf so wahnsinnig faszinierend. Wenn man möchte, hat man immer die Möglichkeit, auf dem Laufenden und aktuell zu bleiben. Was gibt es Schöneres, als sich mit jungen Menschen auseinanderzusetzen, also Menschen, die leben, die vielleicht kompliziert sind und auch manchmal eine Herausforderung? Ich finde das für einen Typen wie mich besser, als mein Leben am Fließband zu verbringen oder vor einem Computer zu sitzen und mit dem zu kommunizieren. Nein, ich hab das bis jetzt noch nicht wirklich bereut. Bin ja auch an einer schönen Schule gelandet!
Hat es Ihnen bisher irgendwelche Vor- oder Nachteile gebracht, dass Sie mal Rapper waren?
Walter: Ich hatte anfangs ein bisschen Sorge, ob die Schüler einen dann nicht ernst nehmen, aber ich habe jetzt erlebt, dass es gar keine Nachteile bringt. Das macht die Sache viel eher interessanter für die Schüler, dass jemand vorne steht, bei dem sie eigentlich nicht glauben, dass er Lehrer geworden ist, weil das der Typ ist, der mal auf der Bühne rumgesprungen ist.
Und was hören Sie heute so für Musik?
Walter: Wow - alles Mögliche. Von Rap über Indie, Elektro und Rock bis hin zu Klassik. Die Musik spielt auf jeden Fall nach wie vor eine sehr große Rolle in meinem Leben, denn mein Tag beginnt mit Musik und hört mit Musik auf - dazwischen ist die Schule angesagt (lacht).
Wo hatten Sie überall Auftritte und Interviews?
Walter: Überall in ganz Deutschland, in allen größeren und kleineren Städten. In Berlin haben wir mit Outkast gespielt, in Stuttgart sind wir mit Eminem aufgetreten und wir waren mit Afrob auf Tournee. Interviews: alles Mögliche! MTV, VIVA, die Fernsehstation, also die Musiksender eben. Auch beim DSF waren wir, die hatten mal so eine Jungendsendung mit Trendsportarten wie Skaten. Wir waren auch immer viel mit Skateboardern unterwegs, und Skatevideomacher haben auch zum Teil unsere Videos gedreht. Ansonsten bei Radiostationen, Zeitungen. Ich erinnere mich nicht mehr, das war so viel, das Leben war damals sehr schnell, weil wirklich jedes Wochenende zwei bis drei Termine anstanden.
Wie kamen Sie auf den Künstler- namen »Walterama«?
Walter: Das ist eine schöne Geschichte. Da kam nicht ich drauf. Also mein Nachname ist ja Walter, wie Ihr wisst (lacht). Als wir in Rumänien auf Tour waren, war ein guter Freund von mir dabei, Emil, DJ Emilio, ein Stuttgarter Hip-Hop-Urgestein. Als wir zusammen Fußball gespielt haben, meinte er, ich würde kicken wie Valderrama, das war damals ein Fußballer, ein kolumbianischer Mittelfeldspieler mit so einer fetten Matte mit Locken, der eine extrovertierte Persönlichkeit war. Weil ich halt Walter mit Nachnamen heiß, hat er gesagt, ich kicke wie Valderrama. Und daraus wurde dann der Künstlername »Walterama«.
Sie wirken ja schon jugendlicher als andere Lehrer.
Walter: Ist das so?
»Ein gutes Vorbild ist jemand, der ehrlich mit seinen Stärken und Schwächen umgeht«Ja, ist so. Glauben Sie, Sie können dadurch ein besonders Verhältnis zu Ihren Schülern aufbauen?
Walter: Das müsst Ihr mir sagen, das weiß ich nicht. Ich denke, jeder muss für sich selber entscheiden, ob er mit einem Lehrer in Kontakt sein will oder nicht. Für mich ist ganz arg wichtig, dass ich authentisch bin und im Unterricht nicht, weil ich jetzt Lehrer bin, urplötzlich zu jemand völlig anderem werde. Klar, ich muss Regeln strenger durchsetzen und habe auch eine gewisse Vorbildfunktion und das ist auch alles in Ordnung. Aber ich denke, ein gutes Vorbild ist jemand, der ehrlich mit seinen Stärken und Schwächen umgeht und auch zeigt, dass man nicht nur alles richtig machen kann im Leben. Sondern dass man auch mal Sachen falsch machen darf, aber dann auch wieder in die richtige Spur kommen kann. Ich hoffe durch meine authentische, ehrliche Art, dass die Schüler wissen, dass, wenn sie das Interesse daran haben, sie zu mir kommen und über alle möglichen Dinge mit mir quatschen können. Jugendlich? Also ich fühle mich nicht alt, im Herzen und im Geist überhaupt nicht. Ich nehme die jungen Leute total ernst, respektiere sie hundertprozentig. Das bekomme ich, glaub ich, auch von den meisten zurück, und deswegen ist das eine gute Sache (lacht).
Was sind heute Ihre Hobbys?
Walter: Unterricht vorbereiten, Zeit mit meinen Freunden und meiner Freundin verbringen. Außerdem gehe ich gern ins Kino und ins Theater. Ich lese ab und zu auch mal nicht nur Schulbücher oder Fachtexte, wenn ich die Zeit dazu habe. Ich interessiere mich auch in meiner Freizeit sehr für Politik und diskutiere mit meinen Freunden gerne darüber. Debattieren ist auch ein Hobby von mir, das unterrichte ich nicht nur in der Schule. Ansonsten nach wie vor Musik. Ich habe meine alte Gitarre wieder ausgepackt. Außerdem koche ich sehr gerne und zwar gut. Ansonsten gehe ich gerne auch tanzen. Ich bin ja noch nicht zu alt zum Feiern - wenn ich mal die Zeit dazu hab. Und Sport, ach ja, genau. Ich war mal im Fitnessstudio, aber irgendwie bin ich da nicht so der Typ dazu, und ich spiel jetzt Fußball. Mach ich aber auch schon immer. Nicht im Verein, sondern manchmal mit Kumpels, mit anderen Lehrern und hier jetzt auch mit den Lehrern beim Lehrersport. Macht 'ne Menge Laune. (ZmS)
Meike Zyschka, Sandra Nill und Selina Schrade, Friedrich-List-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9 c