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Aktuell INTERVIEW

Nicht abschieben. Fördern!

REUTLINGEN. In meiner Bekannt- und Verwandtschaft gibt es mehrere Lehrer. Mich hat besonders der Sonderschulpädagoge interessiert - die »normalen« Lehrer sind mir während meiner Schulzeit ja persönlich begegnet. Deshalb habe ich einen Sonderschulpädagogen interviewt.

ZmS: Zuerst interessiert mich der Unterschied zwischen Sozialpädagoge und Sonderpädagoge? Ist das nicht das Gleiche?

Sonderschulpädagoge: Nein, ein Sozialpädagoge arbeitet zwar auch mit lernschwachen oder behinderten Kindern, aber nicht in einer Schule. Er ist in einer sozialen Einrichtung oder beim Jugend- oder Sozialamt beschäftigt. Ein Sonderschulpädagoge hat eine spezielle Ausbildung zum Unterrichten behinderter Kinder. Er ist eine große Bezugsperson für seine Schüler. Ich unterrichte an einer Förderschule, meine folgenden Aufgaben beziehe ich vor allem auf die Arbeit mit Förderschülern.

Was für ein Studium muss man für diesen Beruf machen? Wie lange dauert es?

Sonderschulpädagoge: Zuerst studiert man vier Semester für Grund- und Hauptschullehrer und danach noch vier Semester für die Sonderschulpädagogik. Hier lernt man, wie man mit lernschwachen oder behinderten Kindern umgeht, deren Schwächen erkennt und ihnen bei Problemen hilft. Dabei hat man verschiedene Fächer zur Auswahl, jeweils ein Haupt- und ein Nebenfach. Nach dem Studium macht man ein eineinhalbjähriges Referendariat. Insgesamt dauert es fünf, sechs Jahre, bis man an einer Sonderschule Lehrer werden kann.

»Man darf sich selbst nicht zu wichtig nehmen«
Welche Voraussetzungen sollte man für diesen Beruf erfüllen?

Sonderschulpädagoge: Zunächst ist es wichtig, dass man gerne in die Schule geht. Außerdem sollte man keine Probleme haben, mit schwierigen Kindern zu arbeiten. Dazu ist es sehr wichtig, dass man sich in die Kinder gut hineinversetzen kann. Nur so können gute Beziehungen entstehen und guter Unterricht gemacht werden. Auch sehr wichtig ist, Gelassenheit und Geduld mit den Kindern zu haben, da sie nicht so aufnahmefähig sind wie andere.

Was genau ist Ihre Aufgabe an der Schule? Was unterrichten Sie?

Sonderschulpädagoge: Ich unterrichte ganz normale Fächer wie zum Beispiel Mathe, Deutsch oder Geschichte. Wir haben an der Schule das Klassenlehrerprinzip, das heißt ein Lehrer für fast alle Fächer. Wir kennen das meist aus der Grundschule. Hier bietet sich projektartiges Arbeiten an, in dem viele Fächer bearbeitet werden können, zum Beispiel Thema Wasser, Römer, Europa. Meine Aufgabe ist es, den Schülern die »Basics« zu lehren, wie zum Beispiel addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren. Außerdem wird auf die Lesefähigkeit und sinnerfassendes Lesen großen Wert gelegt. Viele meiner Schüler haben einen Migrationshintergrund oder kommen aus einem bildungsfernen Elternhaus. Aber uns Lehrern an der Schule ist es sehr wichtig, den Schülern viele soziale und grundlegende Dinge beizubringen, wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Respekt zu haben vor sich selbst und vor anderen Personen. Dinge, die in sozial schwachen Familien einfach nicht innerhalb der Familie stattfinden. Dort findet die Erziehung leider meist durch den Fernseher statt. Wir sehen den Schüler als ganzen Menschen, den wir am Ende der Schulzeit so in die Gesellschaft entlassen wollen, dass er dann auch gut leben kann. So findet bei uns wöchentlich eine Gesprächsrunde statt, in der die Kinder ihre Probleme der vergangenen Woche mitteilen können. Wir suchen dann gleich nach einer Lösung und sprechen über die Vorfälle. So wollen wir dafür sorgen, dass größere Streitigkeiten erst gar nicht entstehen.

Wie groß sind die Klassen in einer Sonderschule?

Sonderschulpädagoge: Die Klassen sind klein mit normalerweise acht bis zehn Schülern, zwölf Schüler sind schon viele. Das ist sehr wichtig, da jeder Schüler anders ist. Der eine reagiert aggressiv, der andere ist in sich gekehrt und wieder andere muss man ständig aufbauen, da sie selbst kein Vertrauen in sich haben. Die Klassen bestehen meist zu drei Vierteln aus Jungs und einem Viertel aus Mädchen, da die Jungs meist schneller auffällig werden.

Was für einen Bezug haben Sie zu den Schülern?

Sonderschulpädagoge: Ich habe ein sehr starkes Vertrauensverhältnis zu den Schülern. Wir besprechen ihre Probleme, die sie zu Hause oder in der Schule haben, mit ihren Mitschülern. Ich bin also die Bezugsperson für die meisten Schüler. Man kann sagen, ich ersetze teilweise das Elternhaus. So kommen oft Schüler mit Sorgen zu mir, die sie normalerweise mit ihren Eltern besprechen würden. Gleichzeitig versuche ich aber, einen Austausch mit dem Elternhaus herzustellen. Ich mache deshalb auch Hausbesuche bei den Eltern.

Wie kommen die Schüler auf diese Schule?

Sonderschulpädagoge: Es werden Gutachten geschrieben, in denen steht, dass dieses Kind einen erhöhten Förderbedarf hat. Damit man aber auf die Sonderschule gehen kann, benötigt man die Einverständniserklärung der Eltern. Wenn sie nicht zustimmen, muss das Kind auf der Grund- oder Hauptschule bleiben. Manchmal wollen aber auch die Eltern, dass ihr Kind auf eine Förderschule kommt. Sie wollen ihrem Kind, das in der Hauptschule Probleme hat, einen »Schonraum« geben, damit es wieder Selbstbewusstsein aufbaut.

Was für einen Abschluss können die Schüler machen? Welche weiteren Möglichkeiten haben die Schüler?

Sonderschulpädagoge: Die Schüler machen am Ende der 9. Klasse einen Förderschulabschluss. Dieser beinhaltet auch eine Projektarbeit mit Präsentation, für die sie dann eine Note bekommen. Im Abschlusszeugnis stehen nicht nur Noten, sondern auch ein Bericht, in dem nochmals genau geschildert wird, wo die Stärken des Schülers liegen. Darin wird beschrieben, wie die Note zustande kam. Die Schüler haben danach noch die Möglichkeit, einen Hauptschulabschluss nachzuholen.

Macht Ihnen die Arbeit Spaß und warum?

Sonderschulpädagoge: Ja! Es ist einfach sehr spannend, jeden Tag passiert etwas anderes. Ich kann zwar den Unterricht planen, aber so wie es geplant war, wird der Unterricht nie ablaufen. Es gibt immer wieder Zwischenfälle, die sofort geklärt werden müssen. Ich finde es auch sehr schön, wenn ich positive Rückmeldung von den Schülern bekomme, wenn sie lachen und zufrieden sind, wenn man sehen kann, wie die Schüler Fortschritte machen und es am Ende geschafft haben.

Warum haben Sie sich für diesen Beruf entschieden?

Sonderschulpädagoge: Weil mir die Arbeit mit Kindern einfach Spaß macht. Mit Menschen zu arbeiten liegt mir viel mehr als beispielsweise handwerkliches Arbeiten oder den ganzen Tag vor dem Computer zu sitzen. Durch den Zivildienst habe ich festgestellt, dass ich mich gut mit anderen Menschen, speziell mit Kindern, verstehe und mir ist klar geworden, dass ich unbedingt mit Kindern arbeiten möchte. Außerdem bleibe ich so körperlich und geistig in Bewegung.

Haben Sie noch Ratschläge für zukünftige Studenten, die sich überlegen, Sonderschulpädagoge zu werden?

Sonderschulpädagoge: Auf jeden Fall ist wichtig, dass man viel Spaß daran hat, mit Menschen beziehungsweise Kindern zu arbeiten. Natürlich darf man auch keine Scheu vor Behinderungen haben. Auch darf man sich selbst nicht zu wichtig nehmen. Außerdem ist sehr wichtig, dass man sich gut in die lernschwachen Schüler hineinversetzen kann. Lebenserfahrung kann auch sehr hilfsreich sein. Deshalb ist eine gute Vorbereitung wie zum Beispiel mehrere Praktika, ein freiwilliges soziales Jahr oder ein Auslandsjahr, von Vorteil. (ZmS)

Annika Scherf, Isolde-Kurz-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9a