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Lange Flucht aus Syrien

Nermin hat in Aleppo gelebt. Dann brach der Krieg aus. Für ZmS beschreibt sie den weiten Weg, den sie und ihre Familie auf sich genommen haben, um in Sicherheit zu sein .

Eine Stadt in Schutt und Asche: In Aleppo ist nichts mehr, wie es einmal war.  FOTO: DPA
Eine Stadt in Schutt und Asche: In Aleppo ist nichts mehr, wie es einmal war. FOTO: DPA
Eine Stadt in Schutt und Asche: In Aleppo ist nichts mehr, wie es einmal war. FOTO: DPA

REUTLINGEN. Ich heiße Nermin bin 14 Jahre alt , und komme aus Syrien. Ich bin Kurdin. Vor ungefähr acht Jahren lebte ich in Syrien, ich bin dort geboren und aufgewachsen. Ich lebte in Aleppo mit meiner Familie glücklich bis der Krieg im Jahr 2012 begann. Ab da war nichts mehr in Ordnung. Der Krieg in Syrien hat alles zerstört.

Als erstes mussten wir unsere Wohnung verlassen. Wir wussten nicht, wohin wir hingehen sollen. Danach hat mein Vater gesagt, dass wir zu meinem Opa gehen und dort bleiben. Nach ungefähr zwei Monaten wurde unsere Wohnung vor unseren Augen zerstört. Ein Flugzeug hat drei oder vier Bomben genau auf die Wohnung geschmissen. Das war sehr schlimm, denn alles was wir hatten, war in dieser Wohnung. Und das aller wichtigste: unsere Bilder. Alle unsere Bilder waren verbrannt. Wir hatten nicht mal ein Bild von uns. Wir dachten, wir werden wieder zurückkommen, deswegen haben wir nichts mitgenommen. Ab da war das Leben in Syrien unmöglich.

58 Leute auf einem Boot

Zum Glück hatten wir ein Dorf, in das wir gehen konnten. Acht Monate lang haben wir in unserem Dorf gelebt. Es war sehr schwer dort zu leben. Sehr oft gab es keinen Strom und auch kein warmes Wasser. Meine Eltern konnten es nicht mehr aushalten. Deswegen haben sie entschieden, dass wir in die Türkei gehen. Der Cousin von meinem Vater hat eine Arbeit für meinen Vater gefunden und auch eine Wohnung für uns. Das war natürlich für uns sehr schwierig, weil wir erstens unsere Familie verlassen mussten und zweitens unser Land. Aber es musste sein wegen unsere Zukunft, meine Eltern wollten, dass ich und meine Schwester in Sicherheit leben.

Am 10. Januar 2014 gingen wir in die Türkei. Drei Tage später starb mein Opa, der Vater von meinem Vater. Mein Vater ging dann direkt wieder nach Syrien. Ich, meine Schwester und meine Mutter sind bei der Cousine von meiner Mutter geblieben, fast zwei Wochen lang. Nachdem mein Vater wieder zurückgekommen ist, gingen wir in unsere Wohnung. Am 28. März 2014 bekam ich einen Bruder. Endlich nach so einer langen Zeit waren wir wieder glücklich.

In der Türkei haben wir ungefähr zwei Jahre gelebt. Aber auch in der Türkei war das Leben schwer. Mein Vater hat von 8 Uhr morgens bis 22 Uhr abends gearbeitet und hat sehr wenig Geld verdient. Ich und meine Schwester gingen nicht in die Schule. Nach ungefähr einem Jahr und fünf Monaten hat der Vermieter die Miete der Wohnung erhöht. Mein Vater hat ja wenig Geld bekommen und so konnte er die ganze Miete nicht bezahlen. Der Vermieter hat uns zwei Monate Zeit gegeben – entweder bezahlen wir die ganze Miete oder wir verlassen die Wohnung. Mein Vater hat nach einer anderen Wohnung gesucht aber hat keine gefunden. Wir mussten die Wohnung verlassen und wir hatten keine andere Wohnung. Wir gingen dann wieder zu der Cousine von meiner Mutter. Wir konnten ja nicht für immer bei ihr bleiben. Und so hat mein Vater entschieden, entweder wir gehen wieder nach Syrien oder nach Deutschland. Aber meine Mutter wollte nicht wieder nach Syrien zu gehen, weil wir dort keine Wohnung mehr hatten . Und meine Eltern wollten für mich und meine Geschwister ein sicheres Leben. Dann war es klar: Es gibt nur noch eine Lösung, wir gehen nach Deutschland.

Zuerst sind wir mit dem Bus von Istanbul nach Izmir gefahren. Izmir ist eine türkische Stadt, die in West-Türkei liegt. In Izmir waren wir für drei Tage in einem Hotel. Am vierten Tag um vier Uhr morgens sind wir mit einem Auto zum Strand gefahren. Zum Glück waren wir nicht alleine, mein Cousin und noch ein paar andere Jungs aus der Familie waren mit dabei. Am Anfang wusste ich nicht, dass wir mit einem Boot fahren werden. Als ich das Boot sah, wollte ich nicht mehr nach Deutschland, weil ich sehr viel Angst hatte. Obwohl wir sehr oft in den Nachrichten gesehen haben, wie viele Menschen so starben, haben wir nicht aufgegeben. Wir waren 58 Leute in einem Boot, es waren 40 Erwachsene und 18 Kinder und unsere Koffer. In dem Boot waren wir drei Stunden. Wir wussten nicht, werden wir leben oder sterben. Nach drei Stunden sind wir an einer griechischen Insel angekommen, die hieß Chios. In Chios waren wir nur für einen Tag in einem Heim. Die Aussicht dort war sehr schön: das blaue Meer, der Strand und alles andere.

Hartes Brot und Salami

Mein Vater hat ein Ticket für ein Schiff gekauft: von der Insel Chios bis nach Kavala. Kavala ist eine griechische Stadt. Die Fahrt hat 12 Stunden gedauert. Um sechs Uhr morgens sind wir los gefahren und erst um 18 Uhr in Kavala angekommen. Nun fuhren wir mit dem Bus von Kavala bis nach Thessaloniki. Thessaloniki ist auch eine griechische Stadt. Von Thessaloniki fuhren wir wieder mit einem Bus bis an die Grenze von Mazedonien, als wir dort angekommen sind, war es schon zwei Uhr nachts. Von dort aus ging es wieder mit einem Bus bis an die Grenze von Serbien. Es war fünf oder sechs Uhr morgens, als wir ankamen. Danach sind wir eine Stunde gelaufen, bis wir an einem Dorf angekommen sind. Und von aus ging es wieder mit einem Bus weiter bis nach Belgrad. Belgrad ist die Hauptstadt von Serbien.

In Belgrad waren wir für zwei Tage in einem Hotel. Am dritten Tag so gegen 14 Uhr sind wir wieder mit einem Bus gefahren bis an die Grenze von Ungarn. Dort kam die ungarische Polizei und hat uns mit Autos an einen Ort gebracht, es war wie ein Lager. Es waren sehr viele Zelte dort, und rundherum waren zwei Zäune. Wir sind in diesem Lager einen Tag lang geblieben. Essen und Trinken haben wir nur dre Mal bekommen. Sie haben uns nur warmes Wasser gegeben in kleinen Flaschen und das Essen konnte man gar nicht essen. Es gab nur hartes Brot und Salami. Nicht mal ein Tier würde essen, was die uns gegeben haben. Es war auch sehr heiß. Das war sehr schlimm. Sie sind mit uns umgegangen, als wären wir keine Menschen.

Am zweiten Tag hat die Polizei uns mit Bussen zum Bahnhof geschickt. Von dort aus sind wir mit dem Zug nach Budepast gefahren. In Budapest waren sehr viele Flüchtlinge, überall war es voll. Dann hat die Polizei den Bahnhof zugemacht, keine Züge sind mehr gefahren. Eine Woche lang waren wir im Bahnhof. Wir haben in Zelten geschlafen. Nach einer Woche haben sie für alle Flüchtlinge Busse geholt. Danach sind alle Flüchtlinge mit den Bussen bis an die Grenze von Österreich gefahren. Und von dort aus sind wir mit einem Zug nach Wien gefahren, weiter von Wien nach Salzburg auch mit einem Zug. Von Salzburg fuhren wir weiter bis nach München.

Im September 2015 sind wir in Deutschland angekommen, genau in München. Und die Fahrt ging weiter von München nach Stuttgart. Am 3. Oktober 2015 bekam ich einen weiteren Bruder. In Stuttgart lebten wir zwei Jahre. Ich und meine Schwester gingen dort in die Schule, in eine Vorbereitungsklasse. Es war schon schwer, die Sprache zu lernen. Innerhalb von fünf, sechs Monaten konnte ich deutsch reden, meine Schwester auch. Mein Vater hat dann eine Arbeit in Reutlingen gefunden und auch eine Wohnung. Im Oktober 2017 kamen wir nach Reutlingen. Im Momentan hat mein Vater ein eigens Restaurant. Ich und meine Schwester gehen in die Schule, ich in die siebte und sie in die fünfte Klasse. Meine Brüder gehen in den Kindergarten. Wir sind jetzt alle gemeinsam glücklich und ich hoffe, das wird für immer so bleiben. (ZmS)

Nermin Kasem, Eichendorff-Realschule Reutlingen, Klasse 7e