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Ein neues Leben in einem fremden Land

DETTINGEN/LANGENDORF. Der Zweite Weltkrieg: Tschechien ist von den Deutschen besetzt. Die russische Armee fällt im Mai 1945 in Tschechien ein, um die Deutschen zu vertreiben. Heinrich, einer der vertriebenen Deutschen, beginnt nach einer strapaziösen Reise in einem ihm fremden Land ein neues Leben.

Trotz vieler Unterbrechungen schaffte er einen exzellenten Abschluss und integrierte sich ohne große Probleme. Heute lebt er in Dettingen, ist 72 Jahre alt, hat zwei Kinder und zwei Enkel.

Als Heinrich zwölf Jahre alt war, erfuhren er und seine Familie ein Jahr nach dem Einmarsch der Russen im Mai 1946 durch ein Plakat an ihrer Türe, auf dem »Staatseigentum« stand, dass sie Langendorf - 95 Prozent Deutsche leben dort, es liegt in Tschechien - verlassen müssen. Nur Personen mit tschechischer Abstammung durften bleiben.

Das bedeutete, dass er, seine Eltern und seine zwei Brüder mit nur 50 Kilogramm Gepäck ihr Heimatdorf verlassen mussten, da ihre Gaststätte »Blauer Stern« von der russischen Besatzung verstaatlicht wurde. Sie wussten bereits, dass ihr Dorf aufgelöst werden sollte und hatten ihre Sachen gepackt.

Sie wurden auf Lastwägen aufgeladen und mit ihrem Gepäck in ein Sammellager abtransportiert. Nach drei Tagen Aufenthalt im Lager wurden sie in Viehwaggons verladen. Der Zug durfte nur in ruhigen Zeiten fahren, wenn wenig Verkehr auf den Gleisen herrschte. Sie waren deshalb etwa drei Tage nach Deutschland unterwegs. Die Fahrt war sehr kräftezehrend, da es keine Sitzplätze gab und sie nur auf den Gepäckstücken oder Strohballen sitzen beziehungsweise schlafen konnten.

Es gab sehr wenig Arbeit

In Wiesau in Bayern angekommen, wurde der Zug waggonweise auf verschiedene Bezirke Deutschlands aufgeteilt. Einer der Waggons inklusive Heinrich und seiner Familie wurde mit einem Lkw nach Neukirchen (Heilig Blut - bayrischer Wald) gebracht. Dort musste sie ein Witwer und seine Haushaltsgehilfin in seinem Haus aufnehmen, da diese den Flüchtlingen Zimmer bereitstellen mussten. Unter dem Dach hausten schon andere Flüchtlinge. Die fünfköpfige Familie hatte nur ein Zimmer und eine Küche zur Verfügung.

Da die anderen Waggons in andere Bezirke transportiert wurden, waren Heinrichs Verwandte von nun an in ganz Deutschland verteilt (Mannheim, Garmisch, Tussenhausen, Mindelheim). Ihr Aufenthalt dort dauerte drei Monate. Da es sehr wenig Arbeit gab, ging Heinrichs Mutter zum Bauern und half diesem auf dem Hof. Als Lohn erhielt sie Kartoffeln. Sein Vater ging in den Wald, um Holz für das Feuer zu sammeln. Außerdem bekamen sie ein wenig Sozialhilfe in Form von Geld. Die einzige Arbeit, die sie fanden, war Heimarbeit für eine Textilfabrik und Holzknöpfe mit Edelweiß zu bemalen.

Heinrichs Schulausbildung begann 1940 in Langendorf (Tschechien) mit der Einschulung in die erste Klasse. Er besuchte die Grundschule bis zur vierten Klasse und wurde im Herbst 1944 auf die Realschule in Neustadt, der nächst größeren Stadt zu Langendorf, versetzt.

Unterricht oft unterbrochen

Der Unterricht musste oft wegen Fliegeralarms unterbrochen werden, und ab Weihnachten war kein Unterricht mehr möglich. Ab April hätte Heinrich auch gar nicht mehr zur Schule gehen können, da die Besatzung der russischen Armee nur tschechisch sprechenden Schülern den Schulbesuch erlaubte.

Im Herbst 1946 wurde er nach dem »Umzug« in Deutschland in die fünfte Klasse eingeschult. Kurz darauf merkte man, dass er zu fortgeschritten für diese Klasse war. Er wurde daraufhin in die sechste Klasse versetzt. Nachdem er diese regulär beendet hatte, kam er in die siebte Klasse. Der Unterricht der siebten und achten Klasse fand im gleichen Raum statt, und Heinrich merkte, dass er reif für die achte Klasse wäre und wechselte in die Achte. Seinen Abschluss schaffte er nach der achten Klasse und nur sechs Jahren Schulzeit mit der Note »sehr gut«.

Im Herbst 1948 fing er eine Konditorlehre an. Die Ausbildungsdauer betrug drei Jahre. Um in das elf Kilometer entfernte Furth im Wald zu kommen, musste er monatlich 4,80 Mark für den Bus bezahlen. Da er aber nur 5 Mark im Monat verdiente, war er froh darüber, dass das Essen inbegriffen war.

Nachdem er die Lehre im Jahr 1951 beendet hatte, wurde ihm gekündigt. Er zog daraufhin nach Dettingen an der Erms, da seine Brüder ihm eine Arbeitsstelle bei der Bäckerei Hermann vermittelt hatten. Diese wohnten bereits selbst in Dettingen, da sie in Neukirchen von der Weberei Eisenlohr angeworben worden waren.

Hier ließ sich Heinrich nieder und gründete eine Familie. (ZmS)



Sarah Rupprecht und Christine Krusche, Graf-Eberhard-Gymnasium, Bad Urach, Klasse 10 d