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Aktuell Menschenrechte

Ein grausames Verbrechen

REUTLINGEN. Stell dir vor, sie versprechen dir ein großartiges Fest. Deine Mutter badet dich, cremt dich ein, damit du gut duftest, flechtet deine Haare. Du bekommst viele Geschenke, Schuhe, Tücher. Du freust dich. Doch dann fragst du dich: Warum das alles? Was ist das für ein Fest, von dem alle reden? Dann kommt dir der Gedanke, dass du vielleicht morgen verheiratet wirst. Doch vor der Hochzeit kommt die Beschneidung.

Dir geht durch den Kopf, was die anderen darüber erzählt haben. Du bekommst Angst vor dem morgigen Tag, zerbrichst dir den Kopf. Und der nächste Tag wird dein ganzes Leben verändern. Alle 11 Sekunden wird ein Mädchen beschnitten. Also über 300 in der Stunde und 8 000 am Tag! Doch was ist Beschneidung eigentlich? Das Wort Beschneidung mag für viele harmlos klingen, doch für die Mädchen und Frauen bedeutet es kaum vorzustellende Schmerzen und lebenslange Folgen.

»Es ist Zeit, das Schweigen zu brechen«
Es gibt drei verschiedene Formen der Beschneidung. Die Klitoridektomie, bei der ausschließlich die Klitoris abgetrennt wird. Die Exzision, bei der außer der Klitoris auch die inneren Schamlippen ganz oder zum Teil entfernt werden. Und die Infibulation, bei der zusätzlich die äußeren Schamlippen ausgekratzt werden und die Wunde bis auf eine Öffnung, gerade mal so groß wie ein Streichholzkopf, zusammengenäht wird. Keine der Verstümmelungen kann je wieder rückgängig gemacht werden.

Durchgeführt wird die Beschneidung ausschließlich von Frauen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Bei der Prozedur wird das zu beschneidende Mädchen meist von mehreren Frauen mit Gewalt festgehalten. Das Ganze wird unter stark unhygienischen Bedingungen durchgeführt. Die Werkzeuge sind Rasierklingen, Messer und Glasscherben bis hin zu Deckeln von Konservendosen, die für mehrere Mädchen benutzt werden. Dadurch kann HIV oder Hepatitis übertragen werden.

Hauptsächlich erfolgt diese Praktik in großen Teilen Afrikas sowie in Arabien und Asien, aber auch in vielen anderen Ländern. Beschnitten werden die Mädchen ein bis zwei Wochen nach der Geburt, im Kindesalter von vier bis zwölf Jahren bis hin zur Hochzeit oder nach der ersten Entbindung. Viele Mädchen und Frauen verbluten dabei. Die Genitalverstümmelung hat für die Mädchen gravierende Folgen: Probleme und Schmerzen beim Wasserlassen, Geschlechtsverkehr und Geburtsverlauf. Oft sterben Mutter und/oder Kind bei der Entbindung.

Das Anstauen der Monatsblutung sowie dauerhafte Infektionen im Harnwegsbereich und Unterleib können bis hin zur Unfruchtbarkeit führen. Außerdem kann es an der Narbe zu Vereiterungen, Zysten und Wucherungen kommen. Natürlich ist es für die Mädchen und Frauen auch eine psychische Belastung. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass dieses schreckliche Erlebnis ähnliche Auswirkungen wie bei Folter oder Vergewaltigung haben kann und die Frauen ihr Leben lang verfolgt.

Außerdem folgen Konzentrationsschwächen, gestörtes Essverhalten, Depressionen und in vielen Fällen leidet die sexuelle Empfindung darunter. Doch warum werden den Mädchen diese Qualen angetan? Einen für uns ersichtlichen Grund gibt es nicht. Die meisten Befragten antworten, dass es ihre Tradition sei. Sogar ihre Großeltern praktizierten diesen Brauch schon. Außerdem empfinden viele eine unbeschnittene Frau als hässlich und unrein.

Religiöse Gründe hat die Beschneidung nicht, denn sie wird weder in der Bibel noch im Koran erwähnt. Aber sie ist eine Voraussetzung für die Heirat, denn der Mann möchte sicher gehen, dass die Frau bis zur Eheschließung Jungfrau ist und in der Ehe treu bleibt. Eine nicht beschnittene Frau in Afrika wird mit einer Prostituierten bei uns gleichgestellt. Was kann man dagegen tun? Wir haben mit Johanna Richter, der Regisseurin des Films »L'excision. Un thème pour tout le monde«, in dem betroffene Frauen, Beschneiderinnen und auch Männer aus Burkina Faso über ihre Meinung zur Beschneidung reden, gesprochen. Sie betont: »Das Wichtigste ist die Aufklärung über dieses Thema!«

Richters Kollegen wandern gerade durch Burkina Faso und präsentieren dort den Film, um Diskussionen anzuregen. Denn normalerweise ist Beschneidung ein Tabu-Thema. Viele Mädchen denken, dass alle Frauen auf der Welt dieses Schicksal erleiden, da sie es nicht anders kennen. Außerdem sind Mythen über unbeschnittene Frauen weit verbreitet. Bekannt ist der Glaube daran, dass ein Kind stirbt, wenn es bei der Geburt mit dem Kopf die Klitoris berührt.

Johanna Richter erklärte: »Auch wenn ich natürlich dagegen bin, kann ich nach meiner Arbeit mit den Menschen aus Burkina Faso die Gedankengänge der Befürworter der Beschneidung besser nachvollziehen. Es ist nicht einfach, eine Tradition aufzugeben, die so viele Jahre für richtig gehalten wurde.« Durch ihre Aufklärung versucht Johanna Richter, die Beschneidung zu stoppen. Auch in Deutschland ist es wichtig, die Menschen aufzuklären, denn auch hier leben, hauptsächlich durch die Zuwanderung, an die 20 000 betroffene Frauen.

»Genitalverstümmelung hat nichts mit Religion oder Kultur zu tun«
»Terre des femmes« eine Organisation, die sich für Frauenrechte einsetzt, klärt, unter anderem in Deutschland, über weibliche Genitalverstümmelung auf. Zum Beispiel konnte man am 24. November im Tübinger Rathaus eine informationsreiche Ausstellung der Organisation besuchen, die viele Fragen beantwortet hat. Nicht nur betroffene Frauen müssen aufgeklärt werden, auch jeder andere soll wissen, was diese Frauen für ein Schicksal erleiden. Waris Dirie, die erste betroffene Frau, die sich öffentlich gegen den Brauch wehrte, fordert die Menschen auf: »Es ist Zeit, das Schweigen zu brechen. Es ist Zeit zu kämpfen. Weibliche Genitalverstümmelung hat nichts mit Religion, Kultur oder Tradition zu tun. Es ist ein Verbrechen an Mädchen und Frauen.« (ZmS)

Valerie Daiber, Anna Kunz, Celine Vesin, BZN, Reutlingen, Klasse 9 c