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Aktuell INTERVIEW

Der Beginn eines neuen Lebens ohne Drogen

STUTTGART. Was ist eine Drogenentgiftung, wie läuft ein Entzug ab? Diese Frage wurde uns im Zentrum für seelische Gesundheit in Bad Cannstatt beantwortet. Wir unterhielten uns mit Margit Reaves, die dort seit 20 Jahren als Pflegerische Bereichsleiterin in der Station »Demos« arbeitet. »Demos« ist die Abkürzung für Drogen-, Entzugs- und Motivationsstation. Hierher kommen Personen ab 18 Jahren. Die meisten Patienten sind zwischen 24 und 33 Jahre alt. Die Betroffenen kommen teilweise aus eigenem Willen, viele aber auch auf Druck von Freunden, Familie, Partner oder dem Gericht. Die Station hat eine sehr wichtige Aufgabe. Die Patienten, die zum Teil »auf Drogen« und nicht mehr überlebensfähig sind, werden dort zu Beginn körperlich entgiftet. Vorerst geht es darum, sie am Leben zu erhalten. Nachdem diese Hürde überwunden ist, versucht man die Patienten darin zu unterstützen, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Sie sollen selbst den Wunsch haben, eine Therapie zu machen und somit ihre Lebensumstände zu verbessern. ** Eine w ichtige Aufgabe der Menschen, die für »Demos« arbeiten, ist die Motivation. Einerseits werden die Personen in Einzelgesprächen und in Gruppen zum Denken angeregt. Andererseits sollen sie auch abgelenkt werden, damit sie sich nicht nur Gedanken über die Drogen und ihre Vergangenheit machen. Zur Ablenkung dienen gemeinsames Kochen, Spaziergänge, Kinobesuche, Beschäftigungstherapie und mehr. Die Patienten sind im Schnitt drei bis vier Wochen hier, einige machen danach eine Therapie, denn die Rückfallquote nach der ersten Entgiftung liegt bei 90 Prozent. Im Durchschnitt sind 15 bis 16 Entgiftungen und drei Therapien notwendig, um ein Leben ohne Drogen führen zu können. Man muss sich klar machen, dass eine Entgiftung nur der erste Schritt ist, um von den Drogen loszukommen. Bei u nserem Besuch auf der Station durften wir mit den zwei Patienten Dimi (27) und Steffen (35) reden.

ZmS: Wie seid Ihr zu den Drogen gekommen?

Dimi: Ich hab’ mit zwölf Jahren angefangen zu kiffen. Ich bin aus Frankreich, damals hat jeder dort geraucht. Ich hab’s bei meiner Schwester probiert, damit hat es angefangen. Später kamen andere Drogen dazu – Speed, Kokain, Heroin, es hat sich immer gesteigert. Steffen: Ich habe mit 15 angefangen zu kiffen, dann kamen die Partydrogen LSD, Extasy, Amphetamine, irgendwann Koks und Heroin. Dann war ich vier Jahre im Methadonprogramm. Ich bin jetzt hier, um vom Methadon zu entgiften.

»Das Partyleben war schon ’ne geile Zeit«
Wie habt Ihr Euch die Drogen finanziert?

Dimi: Ich hab’ erst mal gearbeitet, und danach hab’ ich nebenher verkauft. Wenn du alleine arbeiten musst und 1 000 Euro verdienst, dann reicht dir das nicht – vor allem, wenn du nebenher noch spielsüchtig bist. Du musst nebenfinanzieren und verkaufen. Steffen: Kleine Dealereien ...

Hat Euch die Einrichtung bisher schon geholfen?

Dimi: Ich bin erst seit gestern hier, das ist zu kurz, um das zu beurteilen. Das ist jetzt meine fünfte Entgiftung und ich habe schon mal einmal Therapie gemacht. Ich war schon mal zweieinhalb Jahre clean, 2007, dann kam die Haft und jetzt bin ich wieder hier. Ich war 2010 schon mal hier, da bin ich rausgeflogen – nicht wegen eines Rückfalls, sondern weil ich eine Rangelei hatte. »Demos« ist eine gute Einrichtung, finde ich. Die Atmosphäre unter den Mitarbeitern gefällt mir. Und ich muss sagen: Ja, ich denke, vielleicht kann ich’s schaffen.

Steffen: Auf jeden Fall! Ist ein gutes Team hier. Man kann gut und langsam und warm entgiften, damit es nicht zu schlimm wird.

Wie lange seid Ihr schon hier?

Dimi: Seit gestern.

Steffen: Ich bin schon fünf Wochen hier. Ich bin jetzt mit der Entgiftung seit vier Tagen durch, aber ich hab’ noch Entzug ohne Ende, trotzdem habe ich’s fast geschafft. Nächste Woche bin ich fertig, aber das ist bei jedem unterschiedlich. Es kann sein, dass es noch länger dauert.

Welche Pläne habt Ihr für die Zukunft?

Dimi: Also ich schaue, dass ich jetzt erst mal die Entgiftung schaffe, also drei Wochen. Dann gehe ich vier Monate auf Therapie, danach Job und Umzug, in eine andere Gegend, ja. Und schauen, dass ich die Scheiße nie wieder anfass’. Steffen: Ich habe vor, nicht ganz drogenfrei zu leben. Ich will weiter kiffen und Partydrogen konsumieren, so wie früher. Das Partyleben war schon ‘ne geile Zeit und ich werd weiter arbeiten. Ich habe eine Wohnung, ich bin erst umgezogen vor ein paar Monaten.

Dimi (unterbricht): Ich seh’ das eher skeptisch, wenn anfängst mit Drogen, glaub mir. Du kommst wieder in den gleichen Kreis. Steffen: Ich mach mir halt nichts vor ...

Wenn Ihr die Zeit zurückdrehen könntet, was würdet Ihr anders machen?

Dimi: Ich würde gar nichts ändern. Vielleicht die Knastsache – aber sonst? Durch die Drogen hab ich zwar viel Scheiße erlebt, aber auch viel Gutes. Ich hab meine Schule gemacht, eine Ausbildung angefangen, mein Job gemacht. Aber ich hab’ durch die Drogen auch viel viel…. (überlegt). Du siehst die Sachen anders als jemand, der normal ist. Das kann man nicht beschreiben. Warum soll ich die Zeit zurückdrehen? Es ist so gekommen. Wenn ich entscheiden könnte, würde ich natürlich immer clean leben wollen. Aber ändern muss ich gar nichts. Es ist so gekommen, Gott hat so entschieden. Das ist mein Weg! Steffen: Ich würde keine harten Drogen mehr anfassen. Ich würde auch nicht mehr ins Methadonprogramm gehen, das war ein Fehler.

Wie kam es dazu, dass Ihr eine Therapie macht? Wurdet Ihr gezwungen?

Dimi: Ich hab’ Druck von meiner Ex-Freundin, klar. Ich bin ehrlich, vielleicht ist es jetzt ein bisschen zu früh gekommen. Ich wollte eigentlich lieber erst nach Silvester auf Entgiftung gehen und Therapie machen. Aber jetzt bin ich hier und muss und will es durchziehen. Ich hab’ noch Haft für zwei Jahre. Klar, ich habe Druck, aber ich will es auch für mich schaffen, und ich will meiner Ex-Freundin zeigen, dass ich auch was kann. Ich war drei Jahre mit ihr zusammen und dauerbreit. Ich hab’ immer versprochen, dass ich auf Entgiftung gehe und eine Therapie mache. Ich bin zwar gegangen, aber ich habe immer abgebrochen, deswegen glaubt sie mir nicht. Steffen: Ich bin aus eigener Motivation hier. Ich kann nicht mehr und will nicht mehr, ich muss irgendwie da raus und jetzt entgifte ich und dann mal kucken, ob ich’s so hinkriege ohne Programm.

»Ich kann nicht mehr und will nicht mehr, ich muss irgendwie da raus«
Wo bekommt Ihr Eure Motivation her?

Dimi: Von meiner Ex-Freundin. Die raucht nicht, die trinkt nicht, die macht gar nichts. Und ich denk mir, wenn sie’s schafft, kann ich’s auch schaffen. Steffen: ** Meine Motivation ist einfach, aus dem Methadon-Programm rauszukommen. Ich musste jeden Morgen um 8 Uhr zum Arzt.

Danke für das Interview.

Nach diesem Gespräch wurde uns klar, dass nicht jeder das Ziel hat, komplett »clean« zu werden. »Das Partyleben war schon ‘ne geile Zeit«, sagt Steffen. Offensichtlich verbinden die Betroffenen den Drogenkonsum nicht nur mit schlechten Zeiten. Dennoch ist der Wunsch, clean zu werden und sagen zu können: »Ich hab’s geschafft«, größer als der Spaß am Konsum. Für uns war der Tag sehr spannend und interessant, trotzdem sind wir geschockt, welch drastische Auswirkungen eine »kleine Pille« oder ein »bisschen Pulver« haben kann. Deshalb ist es besser, man fängt gar nicht erst damit an. Wir wünschen den Betroffenen und vor allem Dimi und Steffen alles Gute für die Zukunft. (ZmS)

Svenja Kistler und Svenja Sulzberger, BZN-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9d