ZmS: Herr Röckel, was ist denn eine Gemeinschaftsschule?
Ralf-Michael Röckel: Eine Gemeinschaftsschule ist eine Schule, in der alle Kinder gemeinsam lernen. Das Ziel ist, dass nach Möglichkeit alle Schüler einen mittleren Bildungsabschluss absolvieren. Die Kinder werden nach der Grundschule nicht mehr getrennt beziehungsweise selektiert, sondern jedes Kind darf aufgrund seiner Fähigkeiten, in seinem eigenen Lerntempo lernen. Das heißt, jeder Schüler wird in seiner Einzigartigkeit angenommen, die Schülerinnen und Schüler bestimmen selbst ihre Lerninhalte und ihr Lerntempo. Dadurch wird jeder bestmöglichst nach seinen eigenen Stärken gefördert.
Was ist der Unterschied zwischen einer Gemeinschaftsschule und einer Gesamtschule?
Röckel: Gemeinschaftsschule heißt, die Kinder bleiben als Lerngruppe zusammen. In einer Gesamtschule, wie es früher war, waren alle Kinder in einer Klasse und wurden dann in einzelnen Fächern aufgetrennt nach Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Bei uns an der Gemeinschaftsschule lernen alle Kinder gemeinsam, ganz egal, in welchem Kompetenzbereich sie arbeiten. Wir reden nicht mehr von einer Klasse, sondern von einer Lerngruppe.
»Wir haben immer vom Schüler aus gedacht«Was ist der Vorteil und der Nachteil einer Gemeinschaftsschule?
Röckel: Ich sehe im Prinzip überhaupt keinen Nachteil, es gibt nur Vorteile. Durch die neue Art des Lernens lernen Kinder besser, schneller und effektiver und jeder nach seinen besonderen Bedürfnissen. Die Schüler erleben hier an der Gemeinschaftsschule einen verlässlichen und rhythmisierten Tagesablauf. Sie entwickeln Freude am Lernen und erkennen darin eine erstrebenswerte Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Und was noch wichtig ist: Bisher hat man von einer G-Begleitung gesprochen. Alle versuchten zum gleichen Zeitpunkt, am gleichen Ort, mit der gleichen Systematik möglichst gleichzeitig zum Ziel zu kommen. Für die Gemeinschaftsschule gibt es eine V8-Konzeption, das heißt: »Auf vielfältigen Wegen, mit vielfältigen Menschen, an vielfältigen Orten, zu vielfältigen Zeiten, mit vielfältigen Materialien, in vielfältigen Schritten, in vielfältigen Ideen und vielfältigen Rhythmen zu gemeinsamen Zielen gelangen.« Ich glaube, das ist der große Unterschied.
Wie kamen Sie auf die Idee, aus der Grund- und Hauptschule eine Gemeinschaftsschule zu machen?
Röckel: Ob das eine Idee war? Wir haben immer vom Schüler aus gedacht. Wir wollten unseren Schülern schon immer einen mittleren Bildungsabschluss anbieten, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass sich Kinder immer weiter entwickeln. Wir wollten einfach das Stigma einer Hauptschule loshaben und unseren Schülern gerecht werden. Denn wir haben festgestellt, dass einige Kinder in den Klassen 8 und 9 so einen großen Entwicklungssprung gemacht haben, dass sie durchaus auch die mittlere Reife erlangen können.
Wie läuft der Alltag in einer Gemeinschaftsschule ab?
Röckel: Der Alltag an einer Gemeinschaftsschule ist sehr stark rhythmisiert. Wir beginnen um 7.30 Uhr mit einem pädagogischen Ankommen, das heißt, die Schüler haben die Möglichkeit, ins Klassenzimmer zu gehen. Hier werden sie bereits von einem Lehrer empfangen und können Lerninhalte, die sie nicht verstanden haben, nacharbeiten. Der Lehrer beziehungsweise Lernbegleiter steht hier für Fragen zur Verfügung. Wir haben an jedem Tag individuelles Lernen auf dem Stundenplan, das heißt an jedem Tag IL (individuelles Lernen) für die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch. Hier können die Schülerinnen und Schüler ganz speziell in ihrem Lerntempo an verschiedenen Lerninhalten arbeiten. Und dann gibt es natürlich auch normale Unterrichtsfächer in denen schwerpunktmäßig Projektarbeiten stattfinden. Die Mittagspause dauert von 12.45 Uhr bis 13.50 Uhr. Ab 13 Uhr haben alle Schüler die Möglichkeit, ein warmes Mittagessen in unserer Mensa einzunehmen. Nach dem Mittagessen ist Bewegungszeit angesagt oder die Schüler bereiten sich auf den Nachmittagsunterricht vor. Die Gemeinschaftsschule ist eine Ganztagesschule, dies bedeutet, dass alle Schüler an drei Tagen Nachmittagsunterricht haben.
»Die Rückmeldung von den Eltern ist sehr, sehr, sehr positiv«Wie kommen die Schüler und die Lehrer damit zurecht?
Röckel: Die Schüler kommen sehr, sehr gut zurecht. Wir haben seit diesem Schuljahr Schülerinnen und Schüler aus neun verschiedenen Ortschaften. Sie haben die Systematik im Prinzip ganz gut verstanden. Die Rückmeldung von den Eltern ist sehr, sehr, sehr positiv. Die Eltern berichten uns im täglichen Gespräch, dass die Kinder sehr gerne in die Schule gehen und sich auch sehr wohlfühlen. Sie begrüßen es, dass es so gut wie keine Hausaufgaben gibt und die Schülerinnen und Schüler an ihrer Selbstständigkeit arbeiten. Die Lehrer, die in der Gemeinschaftsschule unterrichten, sind sehr motiviert und haben einen sehr hohen Arbeitseinsatz.
Was ändert sich genau an der Gustav-Werner-Schule?
Röckel: Vieles hat sich geändert beziehungsweise wird jetzt die Regel, was wir schon früher gehabt haben, wird jetzt Normalität. Es ändern sich Lernorganisationen, Lerninhalte, Lernatmosphäre und die Lernhaltung. Es ist ein völlig anderes Lernen als bisher. Es gibt keine Klassen, sondern Lerngruppen und sogenannte Input-Phasen. Natürlich gibt es auch neue Unterrichtsbücher, sowohl für die Hauptschule, Realschule als auch fürs Gymnasium. Das heißt, die Gemeinschaftsschule ist von der Art, wie sie angelegt ist, gar nicht mehr mit der Schule von letztem Jahr zu vergleichen.
Welche Schulabschlüsse kann man machen?
Röckel: An der Gemeinschaftsschule sind alle Schulabschlüsse machbar. Ein Schüler kann nach Klasse 9 oder auch nach Klasse 10 die Hauptschulabschlussprüfung absolvieren. Nach Klasse 10 kann er den mittleren Bildungsabschluss erreichen. Mit diesem Realschulabschluss kann er auf jedes Gymnasium wechseln und steigt dort wieder mit der 10. Klasse ein. Das ist für uns hier sehr, sehr positiv, da unsere zukünftigen Gemeinschaftsschüler dann aufs BZN gehen können oder auf sonst ein anderes Gymnasium, wie WG (Wirtschaftsgymnasium) oder TG (Technisches Gymnasium).
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Röckel. (ZmS)